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Götz Alsmann über das Formatradio: Ruhe, bitte!

Götz Alsmann kann das lärmende Formatradio mit seinen krankhaft gut gelaunten Moderatoren nicht mehr ertragen

Sie sind im Auto unterwegs. Sie merken: Gleich ist es elf Uhr, wie wär’s mit Nachrichten, Wetterbericht und Verkehrshinweis? Sie machen das Autoradio an. Die automatische Sendersuche überrascht Sie mit einem Sender, den Sie noch nicht kennen. In ein paar Augenblicken werden Sie sich wünschen, ihn nie kennen gelernt zu haben.

In den wenigen Minuten bis zu den Nachrichten, jeweils vor und nach den Wettereinblendungen, verheißt eine dröhnende Stimme: „Die Hits der Achtziger und Neunziger und das Beste von heute!“ Dann kommen Nachrichten, etwa zwei Minuten, unterlegt mit DrumBeats und vorgetragen von einem Sprecher, den Sie, Hand drauf, gerade noch in seiner Eigenschaft als Propagandaminister für den örtlichen Takko-Modemarkt gehört haben. Das sind keine Nachrichten für Erwachsene, das sind Nachrichten für Doofe. Das ist Formatradio.

Sie sind nicht sicher, woran man Formatradio erkennt? Sobald Ihre Ohren anfangen zu kotzen, hören Sie Formatradio.

Pestilenz und Fußpilz über den, der das erfunden hat! Das Radio war immer eine Wundertüte. Man ließ sich überraschen, was als Nächstes kommen würde. Die Beatles oder Rex Gildo oder das Jochen Brauer Sextett oder T. Rex. Und man schaute in die Programmzeitschrift, um zu erfahren, wann das ersehnte Kriminalhörspiel, die Glückwunschsendung oder der politische Kommentar ausgestrahlt würden. Heute ist das Radio keine Wundertüte mehr. Es ist ein Brechbeutel.

Die darin frei marodierenden Kotzbrocken sind krankhaft gut gelaunte Moderatorendarsteller, eine musikalische Bandbreite zwischen Platz eins und Platz vierzig der aktuellen Hitparade – vorausgesetzt, die Lieder werden in englischer Sprache oder dem, was Dieter Bohlen dafür hÄlt, interpretiert. So, wie man offensichtlich im beginnenden 21. Jahrhundert im Kino keinen zweieinhalbstündigen Film mehr überstehen kann, ohne ständig irgendwelchen popcornförmigen und nach Nacho-Saucen stinkenden Lebensmittelersatz in sich zu verklappen, so darf es im Formatradio auch keinen Moment ohne irgendeine musikalische Berieselung geben. Immer schwabbelt ein rhythmisches Geräusch durch den Äther, jede Moderation muss mit Tsikke-tsikke-wumm untermalt werden.

Vielleicht wollen die moderierenden Lachsäcke von der Kargheit ihres Wortschatzes ablenken. So kennen sie das eigentlich leicht fassliche Wörtchen „Sie“ nicht. Ständig wird man als Hörer eines Formatsenders geduzt. Vielleicht wissen sie gar nicht, dass es Menschen gibt, die es nicht mögen, einfach so geduzt zu werden. Vielleicht glauben ja die Moderatoren des Format-Radios, dass ihre Zuhörer allesamt Angehörige desselben Kegelclubs sind, mit ihnen in die gleichen Discos gehen, um dort zur selben Musik wie im Formatradio zu feiern. Vielleicht glauben sie, dass man mit ihnen zusammen in der Scheiße gelegen hat und dass man sich freut, in diesem altvertrauten und verbindenden Element wieder aufeinander zu treffen. Also verkleistern sie das traditionsreiche Medium Rundfunk mit ihrem Format-Unrat.

Es ist eine gute Idee, einem Sender ein Gesicht zu geben. Es kann hilfreich sein zu wissen, welche Rundfunkquelle vorwiegend Klassik, Popmusik oder Wortanteile präsentiert. Dass der Sender ein Gesicht braucht, kann aber nicht heißen, ihm die Küblböck- Maske aus dem Fußgängerzonen-Ramschladen überzustülpen.

Ich höre Sie schon rufen: „Gemach, Gevatter! Man kann ja auch umschalten!“ Auf was denn, bitteschön? Die Lust mancher öffentlich-rechtlicher Sender, das private Formatradio auf der Fäkalspur zu überholen, hat etliche langjährige Gebührenzahler zur Verzweiflung getrieben. Wenn Sie beispielsweise die gesamte WDR-Fußball-Berichterstattung, seriös und durchaus nicht ohne Humor, hören, ist das trotz Joe-Cocker- und Britney-Spears-Sperrfeuer in der Halbzeitpause ein Genuss, der Spaß bringen kann. Verlassen Sie aber das Sendegebiet und überschreiten Sie die Demarkationslinie zum NDR, bricht ein Inferno geballten Formatradio-Flachsinns über Sie herein. Man gibt dort die „NDR 2 Bundesligashow“, anscheinend ein Radioprogramm für Vorschulkinder mit leichtem Fußballinteresse. Jede Tonmeldung wird endlos mit Trailern und Jingles angekündigt, bis man endlich erfährt, wer für wen getroffen hat. Und wenn der Moderator mal gerade nicht die Lust am Fußball tötet, kommt das akustische Ebola-Virus in Form eines regelmäßig wiederholten Jingles: „NDR 2 – und das Leben beginnt“.

Ist dies die lang gefürchtete Neudefinition einfacher Wörter? Steht „Leben“ jetzt für Folter per Äther? Lebt man etwa nur, wenn man mit der Non-Stop-Berieselung durch die Produkte des englischsprachigen Pop/Rock-Stalinismus einverstanden ist? Heißt Lebensfreude, dass man Trauer zu tragen hat, wenn man das Privileg genießt, auf Formatradiosender verzichten zu können? Wenn dem so ist, grüße ich Sie aus dem Reich der Zombies, denn in meinem persönlichen Katalog der Dinge, ohne die ich bestens auskomme, steht das Stichwort „Formatradio“ ganz oben.

Götz Alsmann ist Jazzmusiker und Moderator der Sendung „Zimmer frei“. Der leicht gekürzte Text ist entnommen aus „Pardon“.

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