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Dieses Produkt sorgte gleich doppelt für Ärger. Die Motive auf den Shakes wurden im Netz als eindeutig sexistisch kritisiert. Zudem empfanden Nutzer die dunkelhäutige Frau auf dem Schokodrink als diskriminierend. Foto: imago/teutopress

© imago/teutopress

Sexismus in der Werbung: „Abschleppen ist genau dein Ding?“

Der Verein Pinkstinks kämpft öffentlich gegen geschlechterdiskriminierende Reklame. Der Werberat ist davon nicht begeistert.

Wer mit seiner Werbung Aufmerksamkeit erzeugen will, der zeigt eine halbnackte Frau in aufreizender Pose. Das ist auch 2017 – trotz Sexismus-Debatte – noch so. Eine aktuelle Studie der Hochschule der Medien Stuttgart belegt, dass fast jede dritte Frau in der Werbung sexualisiert dargestellt wird.

1996 war es allerdings noch mehr als jede zweite Frau. Damals dominierten sexualisierte Reklamen vor allem die Bereiche Automobil und Dienstleistungen. 20 Jahre später wirbt die Kosmetikbranche mit 68 Prozent am häufigsten mittels freizügiger Frauen oder verführerischer Gesten.

Deshalb fördert das Bundesfamilienministerium seit Oktober den Hamburger Verein Pinkstinks mit rund 400 000 Euro, damit dieser bis 2019 ein bundesweites Monitoring sexistischer Werbung durchführt. Mit Materialien soll der Verein Bildungseinrichtungen über das Thema informieren.

Gegen Sexismus, Diskriminierung und Geschlechterstereotype

Die vier Aktivisten kämpfen bereits seit vier Jahren gegen Diskriminierung in der Werbung. Mit Kampagnen und Shitstorms treibt der Verein Unternehmen vor sich her. Auf der Online-Plattform „Werbemelder*in“ können Nutzer Werbeinhalte einsenden.

Die Aktivisten kategorisieren die Einsendungen in sexistische Werbung (die Frauen sexualisiert als Blickfang ohne Produktbezug benutzt oder als käuflich darstellt), nicht-sexistische (nicht diskriminierend), und stereotype Werbung, die Frauen limitierende Rollenbilder zuschreibt.

Rund 800 Einsendungen sind laut Pinkstinks seit Oktober eingetroffen, davon betreffen etwa 80 Prozent sexistische, je zehn Prozent nicht-sexistische und stereotype Werbung. Als Stereotyp gilt etwa das rosa Überraschungsei „für Mädchen“.

Pinkstinks-Gründerin Stevie Schmiedel erklärt: „Bei den Einsendungen handelt es sich vor allem um Handzettelwerbung und Plakate mittelständischer Unternehmen wie Pizzalieferdienste und Kfz-Werkstätten. Diese Werbung wird häufig inhouse gemacht, vom Chef zu Hause am Rechner. Das erspart die teure Agentur.“

Die Werbung eines Pannendienstes, die eine halbnackte Frau über eine Motorhaube gebeugt zeigte und mit der Überschrift „Abschleppen ist genau dein Ding?“ versehen war, wurde als sexistisch markiert.

„In den Großstädten ist der Herrenwitz längst verpönt“

Sensibilisierung für das Problem sei dringend notwendig: „In den Großstädten ist der Herrenwitz längst verpönt, während er in den Dörfern noch ein Schenkelklopfer ist.“ Allerdings habe sich das Problem bei großen Unternehmen fast erledigt, sagt Schmiedel. „Sexistische Werbung wird dort immer weniger.“

Mit einem geforderten Verbot sexistischer Werbung konnten sich Pinkstinks und die SPD zuletzt zwar nicht durchsetzen. Dass ihre Kampagnen auch im Bundestag wirkten, beweist allerdings das nun stattfindende Monitoring.

Pinkstinks’ Kampagnen verbreiten sich dank einer Community von rund 40 000 Followern rasant im Netz. „Unsere Shitstorms funktionieren, weil die Leute so aktiv sind“, sagt Schmiedel. „Es braucht den Shitstorm auch, weil unsere Proteste immer schnell von den Medien aufgegriffen und dann öffentlich debattiert werden.“

Da Unternehmen außerhalb von Werberats-Rügen nicht sanktioniert werden, findet Schmiedel dessen Arbeit „nicht ausreichend“ und setzt Firmen öffentlichem Druck aus, damit sie reagieren.

Mit ihren Kampagnen wurde Schmiedel zur Chef-Lobbyistin des Anti-Sexismus. Wenn Journalisten über sexistische Werbung schreiben, rufen sie Medienprofi Schmiedel für ein griffiges Zitat an.

Werberat: Immer mehr Beschwerden über Sexismus

Werberatschefin Julia Busse sieht das Monitoring kritisch: „Warum soll es eine neue Anlaufstelle für Werbekritik geben, zumal ohne jegliches Beschwerdeverfahren?“ fragt sie. Genau das mache der Werberat - das Selbstkontrollgremium der Werbewirtschaft - seit Jahrzehnten.

62 Prozent aller Fälle betrafen 2016 den Vorwurf geschlechterdiskriminierender Reklame. 273 Mal gaben Beschwerdeführer diesen Grund an, davon wurde etwa jeder dritte Fall vom Werberat beanstandet. Weil aktuell verstärkt über Sexismus diskutiert werde, kämen häufiger Beschwerden, 39 Prozent mehr als im Vorjahr.

Nicht alle Meldungen verstoßen gegen die Verhaltensregeln. Was manch einer als geschmacklos empfindet, ist nicht zwangsläufig diskriminierend. 17 Mal rügte der Werberat 2016 Firmen wegen sexistischer Werbung. Viele Unternehmen ziehen ihre Reklame zurück, wenn der Werberat sie über Beschwerden informiert.

Pinkstinks’ Monitoring findet Busse problematisch, weil es auf „Skandalisierung durch öffentliches Anprangern“ abziele. Man müsse den Unternehmen Gelegenheit zur Stellungnahme geben, findet sie.

„Wir sind nicht der neue Werberat“

Der Werberat rügt erst dann eine Werbung, wenn das verantwortliche Unternehmen sie nach einer Beanstandung nicht ändert oder zurückzieht. Teilweise würden beim Werbemelder auch ältere Motive hochgeladen: „Es wird offensichtlich gar nicht recherchiert, ob es sich überhaupt um eine aktuelle Werbung handelt“, bemängelt Busse. „Wenn überhaupt, sollte solch ein Monitoring von einer objektiven wissenschaftlichen Einrichtung durchgeführt werden. Nicht von einer NGO, die ein gesetzliches Kommunikationsverbot durchsetzen will.“

Gender-Forscherin Schmiedel bestreitet Schlagzeilen, wonach Pinkstinks sich für den neuen Werberat halte: „Wir haben nie gesagt, dass wir der Werberat seien oder ihn ersetzen würden.“ Der Werberat mache ganz wichtige Arbeit, etwa bei Alkohol- und Tabakwerbung.

„Betroffene Firmen können uns mitteilen, dass sie die Werbung zurückgezogen haben. Wir würden das auf dem Werbemelder sofort ausgrauen.“ Zum Vorwurf, Pinkstinks behandele Altfälle des Werberats, sagt sie: „Diese Fälle würden nicht gemeldet werden, wenn sie trotz Rüge nicht immer noch auf Fahrzeugen durch Deutschland gefahren oder an Gerüsten hängen würden.“

Monitoring für die Medienlandschaft?

Schmiedel geht noch weiter: Sie könne sich vorstellen, auch gegen Sexismus in den Medien vorzugehen und dem Deutschen Presserat, dem Organ der Freiwilligen Selbstregulierung der Presse, zuzuarbeiten.

Zuletzt legte sie sich mit dem Frauenmagazin „Inside“ an und warf dem Blatt wegen Überschriften wie „Beulenpest“ und „Schenkelschande“ frauenverachtendes „Body Shaming“ vor, weil es über das Aussehen weiblicher Stars herzog.

Gegen die Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ protestierte der Verein, weil Teilnehmerinnen gedemütigt und gefährliche Schönheitsideale propagiert würden. „Es gibt so viele Bereiche, Musikvideos oder TV-Serien, wo wir etwas tun könnten“, sagt Schmiedel. „Aber Sexismus in der Werbung ist unsere Nische, da können wir am meisten bewegen.“

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