zum Hauptinhalt
Günther Jauch bei seiner gleichnamigen Talkshow in Berlin.

© promo

Social Freezing: Günther Jauch, Ranga Yogeshwar und die Natur der Frau

Günther Jauch lud zur Talkshow über Social Freezing, das Einfrieren von Eizellen, für das Apple und Facebook Mitarbeiterinnen bezahlen, damit sie Karriere machen können. Heraus kam eine Sendung mit frauenfeindlichem Unterton, kaschiert durch mittelmäßige Kapitalismuskritik.

Von Anna Sauerbrey

Dem Fernsehen fällt nichts schwerer, als echt und natürlich zu wirken. Von daher muss man Günther Jauch einen gewissen Respekt entgegenbringen dafür, dass er sich eine Sendung getraut hat, in der es um Künstlichkeit geht, um künstliche Reproduktion nämlich, und das Ganze auch noch im Konjunktiv. Aber, um es gleich vorwegzunehmen: Das Ganze ging natürlich echt schief.

Zwei Wochen ist es nun her, dass „Social Freezing“ in Deutschland zum Aufreger wurde. Amerikanische Medien hatten berichtet, dass Apple und Facebook Mitarbeiterinnen in den USA das Einfrieren von Eizellen bezahlen. Die Technik ermöglicht es, eine Schwangerschaft auf einen späteren Zeitpunkt im Leben zu verschieben. Beide Unternehmen bieten diesen „Bonus“ in Deutschland nicht an. Zeitungen recherchierten, dass hierzulande bislang nur wenige hundert Frauen jährlich aus anderen als medizinischen Grünen Eizellen konservieren lassen. Jauch behauptete dennoch im Verlauf der Sendung, es hätten sich schon „viele, viele Frauen“ der Prozedur unterzogen.

Zwei von den „vielen, vielen“ hat Jauch für die Sendung gewinnen können: Die eine ist Sharon Berkal, Regisseurin und Fernsehautorin, die sagt, ihr Partner wünsche sich Kinder, während sie noch nicht ganz sicher sei, ihr Partner sitzt im Publikum und lächelt schockgefrostet wie, nun, ja, Sie wissen schon. Die andere ist Elisabeth Niejahr, Redakteurin der "Zeit". Sie hat Eizellen zwar aus anderen Motiven einfrieren lassen, als denen, um die es eigentlich geht, aber sei’s drum. Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar und ein österreichischer Reproduktionsmediziner sollen die Technik erklären. Vertreter von Apple und Facebook waren offenbar nicht zu gewinnen. Für die Arbeitgeberseite ist deshalb die Anwältin und Personalerin Petra Dalhoff geladen.

Ranga Yogeshwar bekommt von Günther Jauch den größten Redeanteil

Die Kernfrage des aktuellen Falls, nämlich: Sollten Arbeitnehmer für ein solches Verfahren bezahlen, ist bei Jauch aber ohnehin nachrangig. Es geht um die Moral von „Social Freezing“ allgemein und, noch allgemeiner, darum, wie weit Frauen gehen dürfen, um Karriere zu machen.
An dieser Stelle wird es dann natürlich, es geht um die Natur der Frau, und die kennt vor allem Yogeshwar sehr gut. Der steuert den Tenor der Sendung und Jauch lässt ihn. Yogeshwar, ein dezidierter Gegner des Social Freezing, bekommt den größten Redeanteil. Er sagt, die Frauen würden pathologisiert, damit die „Unternehmen noch reicher werden.“ Die Entwicklung hin zum späteren Mutter-Werden findet er „total falsch“. Er beklagt eine entfremdete Techno-Kultur, sieht die Welt aber gleichzeitig vor einer Trendwende. Die Leute essen wieder bio und und bald, so Yogeshwar, wollen sie bestimmt auch wieder „Bio-Kinder“. Einmal fragt Jauch dazwischen: „Und was, wenn der Strom ausfällt“, doch die Frage bleibt unbeantwortet.

Auch in den Filmen der Redaktion wird ordentlich eingeheizt. Bei 73 Prozent der Frauen sei es mit dem Kind mit der Karriere vorbei, behauptet einer im Einspieler, ohne Quellen zu nennen. Als „Fall“ wird eine ehemalige Dax-Konzern-Mitarbeiterin gezeigt, die schon mit der ersten Schwangerschaft „kalt gestellt“ wurde und die deshalb jetzt Yoga-Lehrerin ist und mit ihren Kindern Karten spielt. So weit, so schematisch. Diesen Film kann auch Frau Dalhoff nicht mehr einfangen, obwohl sie betont, wie groß die Marktmacht der Frauen inzwischen ist.

Der nächste Einspieler besucht „den Erfinder“ der Pille, Carl Djerassi. Der ist inzwischen 98, lebt in Kalifornien und trägt ein exzentrisches Hütchen. Djerassi sagt, wenn die Einfrier-Technik erst einmal besser entwickelt sei, könnten sich Männer und Frauen ja nach der Entnahme von Eizellen und Spermien alle sterilisieren lassen, dann seien Sex und Reproduktion endgültig entkoppelt. Dazu Yogeshwar: „Da schaudert uns.“ Stimmt. Ist ja auch so gewollt.

Elisabeth Niejahr und Petra Dalhoff sollen als Betroffene auftreten

Als Counterparts zum Frauenbeschützer Yogeshwar treten die anwesenden Damen als „Betroffene“ auf. Elisabeth Niejahr ist zwar Expertin für Familien- und Gesellschaftspolitik, sie soll Jauch aber vor allem erzählen, warum sie sich heute für das Einfrieren ihrer Eizellen „schämt“. Selbst die Arbeitgeberanwältin muss erklären, warum sie „erst“ mit 43 ein Kind bekommen hat. Beinahe jedes Mal, wenn eine der Frauen spricht, zeigt die Kamera Yogeshwar, der künstlich-empathisch lächelt.

Nur mühsam wird so eine Stunde lang ein frauenfeindlicher Unterton mit mittelmäßiger Kapitalismuskritik kaschiert. Die Freaks sind am Ende die Frauen. „Das System“ hat sie „eiskalt“ werden lassen, wie der Titel der Sendung suggeriert. Sie und ihre Arbeitgeber haben sich gegen die Natur verschworen, sie glauben, wie Yogeshwar sagt, dass das ginge: „Eizelle oben rein, Baby unten raus.“

So reproduziert diese Sendung vor allem eins: Noch mehr Schematisches. Bleibt Jauchs Frage: Und was, wenn der Strom ausfällt…? Im Fernsehen hätte man jedenfalls nichts verpasst.

Zur Startseite