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Die Ukraine will die körperbehinderte russische ESC-Teilnehmerin Julia Samoilowa nicht einreisen lassen.

© AFP

Streit beim ESC: Ukraine sperrt russische Kandidatin aus: "Die EBU wird sicherstellen, dass Russland am ESC mitwirken kann"

Der Eurovision Song Contest 2017 ist von heftigem politischen Streit begleitet. Die Ukraine verbietet der russischen Kandidatin ein Einreise. Interview mit dem ESC-Verantwortlichen Freiling

Herr Freiling, am 13. Mai 2017 wird der "Eurovision Song Contest" zum 62. Mal ausgetragen. Dieses Mal in Kiew, weil Jamala, Siegerin im vergangenen Jahr, aus der Ukraine stammt. Wie laufen die Vorbereitungen in Kiew?
Die Vorbereitungen laufen natürlich auf vollen Touren, aber gestalten sich nicht immer einfach. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der bislang staatliche Sender NTU zum 1. Januar in einen öffentlich-rechtlichen Sender umgewandelt wurde. Dies führte zu gewichtigen strukturellen Verschiebungen, aber auch zu personellen Veränderungen an der Spitze, die Entscheidungen immer wieder verzögern ließen. Auch ist die ukrainische Regierung, vertreten durch einen Ministerausschuss unter Leitung des stellvertretenden Ministerpräsidenten, stark in die Vorplanung eingebunden. Auch dies beschleunigt Entscheidungen nicht immer.

Stockholm 2016 bot mit dem massiven Einsatz der LED-Technik fast schon eine unwirkliche, virtuelle Perfektion für die weltgrößte Fernsehshow. Was wird der ukrainische Fernsehsender NTU auf die Beine stellen können?
Ein Eurovision Song Contest wird nie allein und mit Bordmitteln des gastgebenden Senders bestritten. Auch in den vergangenen Jahren wurden wesentliche Elemente der Technik und Bühnenausstattungen international eingekauft. Hier gibt es Spezialisten, die in der Lage sind, schon allein mit Blick auf die Menge der Materialanforderungen für eine solche Show, Vorschläge zu machen und diese auch technisch umzusetzen. Dies wird in Kiew nicht anders sein als in Wien, Kopenhagen oder Stockholm. Lassen Sie sich überraschen im Mai.

"Celebrate Diversity" heißt das Motto in Kiew

Der ESC 2017 hat ein Motto: "Celebrate Diversity". Ein politisches Motto? In der Ukraine, und nicht nur dort, ist die Akzeptanz der LGBT-Community durchaus ausbaufähig.
"Celebrate Diversity" ist ein Motto, das sich natürlich nicht nur auf die LGBT-Communities bezieht, sondern auf die ganze Vielfalt des Lebens. Damit ist es durchaus ein politisches Motto, wie dies auch in den Vorjahren der Fall war. Die Ukraine wird zeigen, dass Vielfalt in alle Richtungen gewünscht ist und Umsetzung finden wird.

Laut Statuten soll der ESC ja unpolitisch sein. Tatsächlich ist der Wettbewerb 2017 längst politisch. Der ukrainische Geheimdienst hat der russischen Teilnehmerin Julia Samoilowa die Einreise verboten. Anlass ist ein aus Kiewer Sicht illegaler Auftritt der Sängerin auf der Halbinsel Krim, die Russland 2014 annektiert hatte. Wie reagiert der Veranstalter, die European Broadcasting Union, auf das Einreiseverbot?
Noch liegt uns keine offizielle Benachrichtigung der ukrainischen Regierung in dieser Angelegenheit vor. Präsident oder Ministerpräsident könnten die Entscheidung der Sicherheitsapparate per Dekret außer Kraft setzen. Natürlich hat in dieser Frage die EBU ukrainische Gesetze zu beachten. Allerdings hatten wir von Beginn an sehr deutlich gemacht, dass wir erwarten, dass alle Teilnehmer, die für die Ausrichtung des Song Contests notwendig sind, auch mitwirken können. Sollte es jedoch bei der Entscheidung bleiben, die russische Teilnehmerin nicht einreisen zu lassen, so wird die EBU weiter versuchen sicherstellen, dass Russland in der Show mitwirken kann. Unser Vorschlag einer Live-Schalte ist allerdings von beiden Seiten nicht aufgegriffen worden.

Frank-Dieter Freiling ist Leiter der Hauptabteilung Internationale Angelegenheiten des ZDF und seit 2009 Vorsitzender der Reference Group, des Exekutivkomitees beim Eurovision Song Contest.
Frank-Dieter Freiling ist Leiter der Hauptabteilung Internationale Angelegenheiten des ZDF und seit 2009 Vorsitzender der Reference Group, des Exekutivkomitees beim Eurovision Song Contest.

© ZDF

Was hören Sie, schicken die Russen einen neuen Kandidaten?

Warten wir doch ab, wie die Ukraine abschließend in dieser Angelegenheit entscheidet. Dann wird mit Russland zu sprechen sein, welches weitere Vorgehen sinnvoll ist. Allerdings haben wir auch sehr wohl wahrgenommen, dass bereits vor der ukrainischen Entscheidung die russische Delegation an eigentlich verbindlichen Vorbesichtigungsterminen nicht teilgenommen und auch noch keine Unterkünfte reserviert hat, im Gegensatz zu allen anderen Delegationen. Russland muss seinerseits deutlich machen, dass eine Teilnahme, so wir sie ihnen ermöglichen, auch wahrgenommen wird.

Können Sie erklären, warum sich Deutschland nicht über die Halbfinals für das Finale qualifizieren muss? An den Siegchancen für Kandidatin Levina kann es nicht liegen.
Die großen fünf Mitglieder haben seit langer Zeit eine Sonderregelung, dass sie unmittelbar - und zusammen mit dem Gastgeberland - im Finale auftreten. Der Ursprung liegt hier in der Notwendigkeit der Rückfinanzierungdes Contests. Die fünf großen westeuropäischen Länder stehen überproportional für die Mitwirkung im Televoting und die sich daraus ergebenden anteiligen Vergütungen durch die nationalen Telekomanbieter. Sicherlich ist dieser Aspekt immer wieder auf seine Aktualität und Rechtfertigung zu überprüfen, aber derzeit macht diese Regelung, auch aus Sicht der übrigen Teilnehmersender, Sinn und findet Zustimmung. Im Übrigen haben wir bereits im letzten Jahr versucht, auch in den Halbfinales die direkt gesetzten Finalisten stärker mitwirken zu lassen, damit das Publikum und die beobachtende Presse sich auch mit diesen Kandidaten besser vertraut machen können und nicht erst im Finale auf sie aufmerksam werden.

2017 ist nicht das Jahr der drastischen Regeländerungen

Was ändert sich beim ESC 2017 im Vergleich zu 2016?
2017 ist nicht das Jahr der drastischen Änderungen. Wir hatten im vergangenen Jahr bereits im Voting Neues eingeführt, was zu dem großen Überraschungselement am Ende der Abstimmung führte. Dieses Modell soll in diesem Jahr weiter eingesetzt werden. Und sich dabei hoffentlich auch weiter bewähren.

Warum ist Australien wieder dabei? Der Kontinent wird ja nicht direkt mit Europa assoziiert.
Australien hat künstlerisch ungemein bereichernd auf den ESC bewirkt. Die hohe Qualität der australischen Sänger war ein Ansporn an alle anderen Nationen, sich ebenfalls künstlerisch weiter zu steigern. Auch zeigte sich mehr als deutlich, wie sehr Australien für den Wertekodex des ESC steht und wie groß das Interesse der Australier, auch in den Zuschauerquoten, am ESC ist. Es gilt, was wir bereits im vergangenen Jahr als Begründung gesagt haben. Australien ist dem ESC über Jahrzehnte mit der Live-Ausstrahlung am frühen Sonntagmorgen verbunden, und sieht sich - obgleich am anderen Ende der Welt gelegen - durch die vielfältigen Ethnien der Australier als Teil europäischer Geschichte und Kultur. Also eine Win-win-Situation für alle Beteiligten, die den ESC noch interessanter gemacht hat.

Stimmt es, dass China unbedingt am ESC teilnehmen will?
Es gibt eine Vielzahl von Ländern außerhalb Europas, die sich sehr für eine Teilnahme interessieren. Bislang jedoch konnte außer Australien kein Interessent nachweisen, dass es hier ein nachhaltiges Interesse am ESC und nicht nur ein Aufspringen auf die größte europäische Unterhaltungsshow ist. Auch gilt die Anforderung, für einen gemeinsamen Wertekatalog der Vielfalt zu stehen, wie dies bereits für alle Mitglieder des ESC gilt.

Noch eine persönliche Frage: Sie sind Leiter der ZDF-Abteilung für Internationale Angelegenheiten und arbeiten beim Song Contest seit 2009 als Vorsitzender der Reference Group, sprich des ESC-Zentralkomitees. Das ZDF aber ist am ESC nicht beteiligt, diese Aufgabe fällt für Deutschland der ARD zu. Wie also kommt der ZDF-Manager Freiling zum ESC?
Die Begründung ist hier ziemlich einfach. Der Vorsitzende der Reference Group wird durch die EBU, den europäischen Dachverband, benannt. Idealerweise hilft es, in dieser Leitungsfunktion neutral zu sein, also nicht für einen der an der Ausstrahlung beteiligten Sender zu sprechen. Da in Deutschland der NDR die Federführung für den ESC hat, sprach einiges für die Einbindung des ZDF und das erklärt letztlich meine Tätigkeit. Von meinem ausgleichenden Wesen als zusätzliches Element schweigen wir hier lieber.

Das Interview führte Joachim Huber.

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