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Quasi gesamtdeutsch.

© Repro:Tsp

Superillu: Neue Heimat

Ratgeber, Unterhalter, Sprachrohr: Die „Superillu“ ist auch im 24. Jahr nach der Wiedervereinigung ganz nah an der Befindlichkeit der Deutschen im Osten.

Die Arbeiter-und Bauernmacht triumphiert im Herzen von Berlin, direkt am Potsdamer Platz. Die sozialistische Revolution ist allerdings eher durch eine Splittergruppe vertreten. Genau gesagt, mit einem weinroten, schon leicht verblichenen Wimpel, eine Trophäe des Kreisverbands Neukölln der Sozialistischen Einheitspartei Westberlin (SEW). „Beste Parteigruppe im Wahrheitswettbewerb“, steht auf dem angestaubten Stoff. Die SEW war mal der Westableger der DDR-Einheitspartei SED.

Jetzt steht der Wimpel in einem Büro mit Blick auf das Sony-Center, gleich hinter dem Schreibtisch von Gerald Praschl, Chefreporter der „Superillu“. Ein Magazin mit klar strukturierter Leserschaft: Geschätzt 98 Prozent der Konsumenten haben einen ostdeutschen Hintergrund.

Der Wimpel ist natürlich Folklore, vor allem aber kein Symbol für die „Superillu“. Das stellt Praschl gleich mal klar: „In die Ostalgiefalle sind wir nie gegangen.“

Die Ostalgiefalle, das wäre die Verklärung der DDR gewesen, die Legende vom Volk, das über Nacht vom behüteten Leben im Sozialismus in die grausame Not des Kapitalismus gestürzt ist.

„Superillu“ ist ein Sprachrohr der Ostdeutschen, das war sie, als der „Burda-Verlag“ sie 1990 gegründet hat, das ist sie bis heute. Aber sie hat jetzt eine andere Tonlage. Die Mauer fiel vor 25 Jahren, die Welt hat sich weitergedreht, die „Superillu“ hat sich mitgedreht.

„Mit reiner Nostalgie machst du hier keinen Punkt“, sagt Gerald Praschl. Früher gab die „Superillu“ den Menschen zwischen Rügen und Erzgebirge viele Tipps fürs Leben im rauen Westen und streichelte ihre ostdeutsche Seele, mit rührenden Geschichten über DDR-Stars, die zugleich für Heimat standen. Herbert Köfer, Frank Schöbel, Dagmar Frederic, Claudius Dreilich und und und, die ganze Platte der künstlerischen Ost-Größen, die immer noch genügend Fans hatten.

Die neuen Praktiken

Die erste Titelgeschichte, erschienen am 23. August 1990, hieß: „Sex: Die neuen Praktiken – Große Freiheit auch im Bett.“ Das Blatt hatte in dieser Aufbauphase West-Chefredakteure wie Peter Balsiger oder Andreas Petzold, die glaubten, die Neu-Bundesbürger hätten beim Thema Sex noch Informationsdefizite. 1991 übernahm Jochen Wolff, ein Bayer, die Chefredaktion. Bald darauf rückten vor allem die bekannten Gesichter auf das Zeitschriftencover.

Jetzt albert auf dem Titel Model Heidi Klum mit ihrem „Millionen Knaben“, oder Rekord-Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher lächelt einem entgegen, obwohl er im Koma liegt („Der lange Kampf zurück ins Leben“). Titel der aktuellen Ausgabe ist Ex-Schwimmstar Franziska van Almsick. Die ist quasi gesamtdeutsch. Sogar Kate und Prinz William schafften es mit ihrer Hochzeit aufs Cover. Obwohl „Königshäuser eigentlich nicht unsere Baustelle ist“, sagt Praschl.

Praschl hat jede Phase dieser Entwicklung live erlebt. Der 46-Jährige marschierte schon durch die Redaktionsräume, als die „Superillu“ 1990 noch in einem Plattenbau am Alexanderplatz entstand. Ein Mann, der einfühlsam über die Seele des Ostens redet, mit einem Dialekt, als spielte er gerade im bayerischen Volkstheater. Praschl stammt aus der bayerischen Provinz, Heimat ist für ihn mehr als eine Worthülse. Deshalb versteht er die Leute, für die er schreibt. „Wir machen das Blatt für Menschen, die ihrer Region verbunden sind.“ Und für die Region zwischen Rügen und Fichtelberg gibt es nur „Superillu“.

Das Heimatgefühl bedient „Superillu“ zum Beispiel mit dem „Heimatheft“. Das liegt wöchentlich bei, gefüllt mit wunderschönen Fotostrecken aus den fünf östlichen Bundesländern. Und jede Woche klebt noch eine DVD mit DDR-Film-Klassikern auf der Titelseite eines Hefts. „Die Legende von Paul und Paula“ natürlich, aber auch „Spur der Steine“ mit Manfred Krug, in der DDR verboten. Und viele Märchenfilme. „Die kann Opa den Enkeln schenken“, sagt Praschl.

In den ersten Jahren verschlangen die Leser den Serviceteil, Infoquelle für Fragen des mitunter verstörenden Alltags („Welche Versicherung brauche ich?“, „Welche Rechte habe ich im Job?“). Die Antworten waren ein enorm wichtiger Kaufanreiz. „Über den Serviceteil hatten wir in den früheren 90er Jahren eine enorme Leserblatt-Bindung“, sagt Praschl.

Damals verkaufte die „Superillu“ über 600000 Exemplare, jeder fünfte Ostdeutsche hielt eine Ausgabe in der Hand. Eine Ausgabe über den Honecker-Prozess hatte 1992 sogar eine Auflage von einer Million Exemplare. Selbst heute noch bezahlen 320 000 Menschen jede Woche für das Blatt. Der Burda-Verlag verkündet seit Jahren, dass im Osten Deutschlands die Zahl der verkauften „Superillu“-Exemplare höher ist als die von „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ zusammen.

„Superillu“ komponiert clever Heimatgefühle und aktuelle Themen. Wenn Petra Zieger, schon in der DDR als Rocklady gefeiert, nach 35 Jahren Anlauf doch noch „Ja“, sagt, rückt diese Botschaft natürlich auf den Titel. Und als Reinhard Lakomy, den alle nur Lacky nannten, starb, das war 2013, da hievte die „Superillu“ ihn natürlich auch auf den Titel. „Im Westen kannte doch kaum einer Lacky“, sagt Praschl. Im Osten war der ein Star. Jeder hatte seine Kinderlieder im Ohr. Praschl drückt auf ein paar Tasten seines Computers, dann erfüllt Lackys Stimme den Raum. Praschl nickt dazu begeistert.

„Aber unsere Leute fahren nicht mehr in die Lausitz zum Campen“, sagt Praschl. „Sondern nach Norwegen Spanien, Tunesien, überall hin.“ Also taucht im Sommer 2014 eine Fotostrecke über die Kapverden auf, als Reisetipp. Selbstverständlich wird auch Bayern-Startrainer Pep Guardiola porträtiert.

Überhaupt, die Stars. Hat sich ja auch vieles gewandelt. „Damals“, sagt Praschl, „hatten wir 25 Ost-Stars, die konnten wir feiern.“ Jetzt ist einer wie Lacky eine Ausnahme. Stefanie Hertel, Florian Silbereisen, Carmen Nebel, „das sind doch gesamtdeutsche Stars“. „Superillu“ feiert sie natürlich trotzdem. Und die Zeiten, in denen man sich beim Lesen der „Superillu“ die Mauer problemlos mitdenken konnte, sind längst vorbei. Stasi, Doping, alles Themen, die zwar angefasst, aber doch eher in Watte verkauft wurden. Heute sind das sowieso keine Aufreger mehr.

Jetzt nähert sich Praschl der DDR-Vergangenheit eher gelassen. 2013 ließ er den Linken Bundestagsabgeordneten Stefan Liebich mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Lengsfeld über den Mythos des kommunistischen Widerstandskämpfers Ernst Thälmann diskutierten. Beide sind gleich alt, beide wuchsen in der DDR auf, beide waren Thälmann-Pioniere.

Nicht in großer Liebe mit der Linken

Gregor Gysi, jetzt Linken-Fraktionschef, war sogar mal Kolumnist. Aber das hatte nicht allzu viel zu bedeuten. „Wir sind mit der Linken nicht in großer Liebe verbunden“, sagt Praschl.

Vermutlich erhält er auch deshalb viele böse Briefe von Lesern, die sich emotional dem früheren Brudervolk noch nahe fühlen. Praschl ist Ukraine-Kenner, er ist oft in dem Land, im aktuellen Konflikt attackiert er Russlands Machthaber.

Aber natürlich steht auch „Superillu“ vor der Frage: Wie holen wir die jungen Leser? Wie binden wir sie ans Blatt? Robert Schneider versucht die Antworten zu geben. Schneider ist der Chefredakteur, ein sportlicher Mann, der an diesem Abend im abgedunkelten Newsroom sitzt und die aktuelle Ausgabe produziert.

Schneider wurde 1976 in Leipzig geboren, er kennt das Heimatgefühl seiner Leser. Seit 2011 ist er Chef, Nachfolger von Jochen Wolff. Der Bayer Wolff wusste 1991 nicht, wer Lacky ist. „Aber Robert kannte Lacky natürlich“, sagt Praschl, „der ist ja mit ihm aufgewachsen.“

Und der Chef achtet darauf, dass auch 2014 noch genügend Nostalgie im Blatt ist. Die Männchen, die Horst Jankowski schon vor 50 Jahren als Comicfiguren für das DDR-Magazin „Neue Berliner Illustrierte“ gezeichnet hatte, tauchen bis heute in der „Superillu“ auf.

Es gab mal Diskussionen in der Redaktion, ob man die Männchen aus dem Blatt werfen solle. Abgelehnt. „Diesem Aufschrei der Leser“, sagt Praschl grinsend, „wollten wir uns nicht aussetzen.“

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