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Angenockt: Der Dortmunder "Tatort"-Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann, links) und sein Kollege Daniel Kossik (Stefan Konarske) werden wohl keine Freunde mehr.

© WDR/Wolfgang Ennenbach

"Tatort" aus Dortmund: Überdruck im Pott

Ein Mord, ein verschwundenes Kind, vier zutiefst betroffene Kommissare: Im "Tatort“ aus Dortmund sind Hundstage angebrochen.

Ein desolateres „Tatort“-Team als aus Dortmund hat es im deutschen Fernsehen wohl noch nicht gegeben. Vier Kommissare, mit deren Leben man schwerlich tauschen möchte. In der neuen Folge der ARD-Krimireihe eskalieren die Probleme. „Hundstage“, so der Name der Episode, spielt mitten im Hochsommer. Die Hitze lastet bleischwer auf der Ruhrgebietsstadt, von den Temperaturen her machen Tag und Nacht kaum einen fühlbaren Unterschied, nur Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) trägt weiter Parka. Die Spannungen zwischen ihm und seinem jungen Kollegen Daniel Kossik (Stefan Konarske), der Faber ein Disziplinarverfahren angehängt hat, erreichen ihren Höhepunkt. Es fliegen Fäuste. Doch zu schaffen macht allen besonders der neue Fall.

Im Kern dieser Folge geht es um die Angst aller Eltern, dass ihr Kind entführt wird oder auf andere Weise plötzlich nicht mehr da ist – und niemand weiß, wo es ist. Die Fälle Maddie und Natascha Kampusch dienten als Vorlage, nicht nur bei diesem Fall. Im Film erleidet die Familie Dehlens dieses Schicksal. Vor 14 Jahren verschwindet Sohn Tommi im Westfalenpark. Vater Max Dehlens (Ralf Drexler) schafft es dennoch, zumindest beruflich seinen Weg zu gehen – er leitet ein international agierendes Unternehmen. Von seinem Büro aus hat er den besten Blick über die Stadt. Seine Frau Eva (Maren Eggert) hat den Verlust hingegen nie verwunden. Sie glaubt, ihren Sohn erst vor kurzer Zeit auf der Straße wiedererkannt zu haben. Judith Stiehler (Anne Ratte-Polle), die Mutter des jungen Mannes, streitet das jedoch vehement ab.

Kommissar Faber im trüben

Der „Tatort“ beginnt an einer anderen Stelle. Als Kommissar Faber eine dieser heißen Sommernächte am Dortmunder Stadthafen verbringt, hört er plötzlich Hilferufe vom Hafenbecken. Faber springt ins trübe Wasser, kann eine Frau retten, die zweite Person wird erst später tot geborgen. Es handelt sich um Manager Max Dehlens. Bevor er ertrank, wurde er von einem Schuss in die Lunge getroffen. Und die Frau ist just jene Judith Stiehler, von der Dehlens Ehefrau behauptet, sie habe ihren Sohn geraubt. Was ist dran an diesem Vorwurf? Und hat sie nun auch den Vater getötet?

Dieser „Tatort“ ist mehr Drama als Krimi. Nicht nur für die beiden betroffenen Familien, sondern auch im Ermittlerteam. Bei den Kommissaren sammelt sich ein großes Maß an persönlicher Betroffenheit. Alle vier Mitglieder des ungleichen Teams haben schon in der einen oder anderen Form unter dem Verlust eines Kindes gelitten. Der regelmäßige Zuschauer der Dortmunder „Tatort“-Folgen hat sämtliche dieser Dramen miterleben können. Fabers Frau und Tochter wurden ermordet, die Aufklärung des Verbrechens hatte die ersten Folgen aus Dortmund bestimmt. Noch immer ist Faber nur einen Schritt vom Wahnsinn entfernt. Die jungen Kommissare Nora Dalay (Aylin Tezel) und Daniel Kossik waren sich anfangs sehr nahe gekommen, die Beziehung zerbrach unter anderem daran, dass die Kommissarin schwanger wurde, sich aber zu einer Abtreibung entschied. Daniel Kossik hat weder das Beziehungsende noch die Abtreibung verwunden. Und auch Martina Bönisch (Anna Schudt) hat ihr Paket zu tragen. Die Ehe zerbrochen, der Sohn entfremdet, den bestandenen Führerschein feiert er lieber mit dem Vater. Hinzu kommt, dass die erfolglose Suche nach dem vermissten Jungen einer ihrer erste Fälle war, bei dem sie offenbar mehr hätte unternehmen können, wie sie sich selbst später vorwirft.

Autor Jeltsch hat die Fäden gut verwoben

Eine so geballte Ansammlung von Tiefschlägen und Problemen kann schnell konstruiert wirken. Doch Autor Jeltsch hat die vorhandenen Fäden mit dem neuen Fall perfekt verwoben. Durch die Figur von Peter Faber sind die „Tatort“-Folgen aus Dortmund ohnehin immer ein Tanz auf dem Vulkan. Regisseur Stephan Wagner hält die Balance, lässt den Wahnsinn nicht Überhand nehmen. Die Konstruktion mit vier Kommissaren bietet zudem ausreichend Binnendynamik für immer neue Wendungen - und ist nicht zuletzt darum auch so erfolgreich.

Ein sehenswerter Tatort

Absolut sehenswert ist der neue Dortmund-„Tatort“ aber auch mit Blick auf die Dialoge: „Mitleid ist die Vorstufe zum Gnadenschuss“, erwidert Faber, als er von Kollegin Bönisch auf sein schlechtes Gewissen angesprochen wird, weil er möglicherweise eine Mörderin gerettet hat, aber ein Opfer ertrinken ließ. Bei Faber läuft Autor Jeltsch zu Höchstform auf: „Ohne Parka kann ich nicht denken“, lautet ein weiterer Ausspruch des Borderline-Kommissars, der sämtliche Konventionen für einen Ermittler im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland durchbricht.

„Tatort: Hundstage“, ARD, Sonntag um 20 Uhr 15.

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