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"Tod an der Ostsee": Im Arte-Film kämpfen Ina Weisse und Maria Simon gegen dicken Kitsch und dünnen Krimi

Der Tod des kleinen Mädchen war ein Unfall, der Mord am Todesfahrer war es nicht. Im Arte-Krimi „Tod an der Ostsee“ gibt es reichlich Verdächtige, bloß die rechte Inspiration bleiben Buch und Regie dem Zuschauer schuldig.

Es gibt da diese Tricks. Bauernfängerei ist ein altmodischer, trotzdem passender Begriff dafür. „Tod an der Ostsee“ tut genau das. Süßes Mädchen hat gerade noch der Mutter (Ina Weisse) eine Geburtstagstorte gebracht, da sitzt der blonde Engel schon auf einem mechanischen Pferd, leckt voller Vergnügen ein Eis. Die Mutter ist in eine Bäckerei gesprungen, ein Auto nähert sich und überfährt das Kind. Der Zuschauer weiß schon davon, denn jeder Moment voller Harmonie und Innigkeit wird scharf kontrastiert mit Bildern des toten Mädchens, das in einen Sarg gelegt wird. Beide Stränge schleppen sich über den Schirm, der Einbruch des Unglücks in das Glück geschieht in Zeitlupe. Die Musik tropft in Moll, mehr Empathie auf einer kurzen Strecke ZDF-Krimi kann es nicht geben. Der Zuschauer ist nicht mehr nur dabei, er ist mittendrin.

Das alles geschieht in Bredersen, einem Bilderbuchort an der mecklenburgischen Küste. Kübelweise schüttet die Sonne Licht übers Land, es gleißt und glänzt, schier will sich die Szenerie in Helligkeit auflösen. Der geübte Seher ahnt es schon: Es ist nicht alles gut in Bredersen, eigentlich ist gar nichts gut. Die Dorfgemeinschaft hetzt gegen den Todesfahrer Ralf Kossack (Matthias Koeberlin) und dessen Familie. Evelyn Kossack (Maria Simon) verliert ihren Job in der Bäckerei (!), der jüngere, asthmakranke Sohn Lukas (Gustav Körner)  wird böse gefoppt, vom älteren Jan (Jonas Nay) trennt sich die Freundin (Isabel Bongard). Und dann liegt Ralf Kossack tot im Garten; was nach einem Unfall aussah, war Mord.

Schon bis dahin, bis zur 30. Minute, ist die Idylle auseinandergefallen. In der Gemeinde, in den Verwandtschaften, in den Familien, in den Bekanntschaften lauert ein Gemisch aus Wut, Trauer, Verzweiflung, Rachsucht, Fremdenfeindlichkeit – fehlt etwas aus dem Baukasten zwischenmenschlicher Bösartigkeit? Meike Hansen, die Mutter des toten Mädchen, verachtet ihren Mann (Justus von Dohnanyi) nur noch, eine Geliebte soll er haben, den Tod der Tochter für seine Immobiliengeschäfte ausschlachten.

Autor Jochen Werner und Regisseur Martin Enlen haben den 90-Minüter jetzt dort, wo sie ihn längst haben wollten – auf der Krimi-Ebene. Genug Verdächtige sind erkannt, es beginnt das allgemeine Mörderraten. Dorfpolizistin Sonja Paulsen (Bernadette Heerwagen) sagt zur Kossack-Witwe, die nur noch ihre Ruhe haben will: „Ihr Mann hat die Wahrheit verdient.“ Und der Zuschauer die Aufklärung.

„Mord an der Ostsee“ ist ein schwer atmender Film mit schwer atmendem Spitzenpersonal. Die Aktion soll sich mit der Atmosphäre vermählen, ein hehres, großes Ziel, beide aber verkrampfen und verkämpfen sich, nicht genug, dass die Dialoge nur Sätze aus dem Drehbuchkatalog transportieren. Der Film transpiriert, wo Buch oder Regie wenigstens momentweise Inspiration beweisen sollten. „Tod an der Ostsee“, das ist ein Film der Effekte und ausgestellten Affekte. Das Ensemble befeuert den Emo-Generator, dass es nur so eine Unart ist. Selbst eine Ina Weisse oder eine Maria Simon bleiben in diesem Schlamm aus dickem Kitsch und dünnem Krimi stecken. Geht es nicht eine Nummer kleiner und wahrhaftiger, möchte der Rezensent voller Verzweiflung ausrufen. Er wird nicht gehört werden.

Warum der Film nicht nach 60, 70 Minuten abgeschaltet wird? Weil der Ausgang nicht feststeht, weil die meisten Figuren mittlerweile so aufgeladen sind, dass wohl jeder wissen will, wo, wie, bei wem Entlastung, Entladung, Enthüllung staffinden. Das ist eine Leistung, und sie ist auch keine. Jeder noch so durchschnittliche Who-Done-it-Krimi garantiert Spannung bis zur 90. Minute. „Tod an der Ostsee“ ist Verrat an der Geduld des Publikums. Joachim Huber

„Tod an der Ostsee“, 20 Uhr 15, Arte

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