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Dringend gebraucht wurden türkische Arbeitskräfte, als Anfang der 60er Jahre die Wirtschaft in Deutschland boomte. Ihre Nachkommen fühlen sich jetzt hier zu Hause. Foto: WDR

© WDR/Zuhal Er

Doku: Träume am laufenden Band

Wie sich die „Ford-Väter“ in Deutschland eingerichtet haben: Eine Dokumentation über Gastarbeiter und ihre starken Töchter.

Als junger Mann träumte Hüseyin Aydogan von einem amerikanischen Auto. Er verließ sein Heimatdorf und arbeitete in einer Fabrik in Istanbul. 1964 folgte er dem Ruf Deutschlands, dessen boomende Wirtschaft dringend Arbeitskräfte benötigte, und heuerte bei Ford in Köln an. „Wir hatten damals das Gefühl, die Straßen in Deutschland seien mit Gold gepflastert“, erinnert er sich. Man blieb unter sich, in der Gemeinschaftsunterkunft und in der Endmontage-Halle, wo nur Türken arbeiteten. Es war eine harte Arbeit am Band, Drei-Schicht-Betrieb, auch am Wochenende. Später holte Hüseyin Aydogan seine Familie nach, und weil seine Kinder eine gute Ausbildung bekommen sollten, ist er geblieben. „Dann waren 32 Jahre rum“, sagt er lakonisch – auf Türkisch. Deutsch hat er bis heute nicht gelernt: „Ich dachte ja immer, ich würde zurückgehen.“

In der ARD-Doku „Die Ford-Väter“ sehen wir, wie Hüseyin Aydogan von seiner Tochter Özlem zu einem Autohändler begleitet wird. Er steigt in einen Ami-Schlitten und freut sich wie ein Kind, lacht schallend und rüttelt am Lenkrad. Gekauft hat er einen solchen Wagen nie. Seine Tochter aber ist Juristin geworden, sie spricht perfekt Deutsch, ihr Zimmer ist modern eingerichtet. Die Verbundenheit mit den Eltern ist eng, die Kinder der zweiten Generation mussten aufgrund ihrer besseren Sprachkenntnisse oft im alltäglichen Leben aushelfen. Özlem Aydogan überlegt auszuziehen, doch „emotionaler Druck“ und ein schlechtes Gewissen, wie sie sagt, hindern sie noch daran.

Vor 50 Jahren, im Oktober 1961, unterzeichneten die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei das Anwerbeabkommen. Innerhalb von zwölf Jahren, bis die Aktion während der Wirtschaftskrise im Jahr 1973 gestoppt wurde, wanderten 634 000 türkische Arbeitnehmer ein, 12 000 von ihnen wurden allein beim Autobauer Ford in Köln eingestellt. Die einst als „Gastarbeiter“ geholten Menschen haben längst Wurzeln geschlagen, die einen mehr, die anderen weniger. Der Film von Zuhal Er und Achim Scheunert nimmt sich knapp 45 Minuten Zeit, um ein paar dieser Geschichten zu erzählen, ganz persönlich, aus Sicht der Väter und ihrer selbstbewussten Töchter. Es geht um Familie und Heimat, um ein Leben im Provisorium, natürlich auch um Integration, aber das I-Wort fällt kein einziges Mal. Aktuelle politische Debatten spielen zumindest vordergründig keine Rolle.

Der Tonfall bleibt angenehm unaufgeregt, das Publikum wird nicht belehrt, allenfalls in seinen Vorurteilen irritiert: Wenn etwa Münevver Toktas, die Kopftuch trägt, in ihre eigene kleine Rechtsanwaltskanzlei zur Arbeit geht. Auch Mediengestalterin Zuhal Er, die hier Autorin und Protagonistin ist, ist eine gläubige Moslemin. Vor drei Jahren habe sie sich dazu entschlossen, Kopftuch zu tragen, gewünscht habe sie sich das schon als Kind, sagt die 30-Jährige. Ihre lebhafte, sympathische Art lässt keine Fragen offen, ein wenig angestrengt wirkt nur, dass die Umzugshilfe ihrer deutschen Freunde als Beleg für friedliche Koexistenz herhalten muss.

Die Religion spielt nur eine Nebenrolle in dieser Dokumentation, die wohl auch eine Liebeserklärung der Töchter an ihre Eltern ist und dennoch ohne falsche Romantik die Probleme der Gastarbeiter und ihrer Nachkommen schildert. Zuhal Er besucht gerne ihre Verwandten in der Türkei. Sie weint am Grab ihres 2007 verstorbenen Vaters, der sich in der Heimat beerdigen lassen wollte, aber sie selbst sitzt zwischen den Stühlen. Irgendwann habe sie sich entschieden, deutsch zu sein, sagt sie: „Aber das ist Quatsch, weil das Deutschsein kauft man mir ja nicht ab.“ Und Münevvers Vater Abdulbak Toktas pendelt im Ruhestand hin und her zwischen seinem in Köln gekauften Haus und der alten Heimat in der Türkei, die ihn nicht loslässt, auch wenn sie ihn dort ab und zu als „Deutschländer“ beschimpfen.

„Die Ford-Väter – Zu Gast in einem fremden Land“, 23 Uhr 30, ARD

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