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Patriarch und Patriarchin. Willy Millowitsch (2.v.l., linkes Foto) mit seinen Kindern Mariele (links) und Peter sowie dessen Ehefrau Barbie Steinhaus 1985 in „Waidmannsheil“.

© picture alliance / dpa

Volkstheater im Fernsehen: Rechnung ohne den Zuschauerwirt

Der WDR beendet seine Zusammenarbeit mit dem Millowitsch-Theater. In Bayern und in Hamburg wird die TV-Volksbühne am Leben gehalten. Fragt sich nur, wie lange noch.

Was heute für machen undenkbar zu sein scheint, das war einmal Samstagabend-Unterhaltung zur allerbesten Sendezeit in den Hauptprogrammen. Heidi Kabel im Ohnsorg-Theater, Willi Millowitsch, Peters Steiners Theaterstadl, der Komödienstadel, das Volkstheater holte gute bis herausragende Quoten. Nun ist Humor eine wandelbare Größe, und im Wandel der lustigen Zeiten ist die Dialektbühne nach hinten, respektive in die Dritten ARD-Programme durchgereicht worden; dorthin, wo die ältesten TV-Publika der Republik ihre gelernten Einschaltgewohnheiten belohnt bekommen sollen.

Aber auch der Zuschauer-Senior schlägt sich die Schenkel nicht mehr blutig, wenn ranzig gewordene Stoffe, hartholzige Dramaturgie und überkommene Geschlechterklischees auf der Einraum-Bühne dargeboten werden? Siegmund Grewenig, WDR-Unterhaltungschef, will solches Verhalten glasklar erkannt haben: „Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass das Publikum viel stärker an eigens für das Fernsehen hergestellten Sitcoms und Komödien interessiert ist als an Boulevard-Theaterstücken.

Das Gemeinschaftserlebnis des Theaters ist nicht mehr ins Fernsehen zu übertragen.“ Der WDR beende nach 60 Jahren die Zusammenarbeit mit dem Volkstheater Millowitsch und der urkölschen Theaterfamilie. Kehraus ist am 27. November mit der Sondersendung „Vorhang auf für Millowitsch & Co. – Volkstheater im Fernsehen“. Mit dem WDR-Fernsehen soll jetzt anders gelacht werden.

Prompt reagierte Prinzipal Peter Millowitsch, die Bühne in Köln sei in ihrer Existenz gefährdet (was nicht für seine Schwester, die Schauspielerin Mariele Millowisch gilt).. Mit dem WDR-Ausstieg fehle der nichtsubventionierten Privatbühne eine wichtige Einnahmequelle. Die Formel – Theater bringt dem Fernsehen Quote, Fernsehen lotst Besucher ins Theater – gilt in Köln nicht mehr. „Etappenhasen“ oder „Fussich Julchen“ kommen, wenn sie noch ins Fernsehen kommen sollten, aus dem Archiv.

Nicht-Bayern stehen da eher außen vor

Das sieht der Bayerische Rundfunk anders, ganz anders sogar. Dort ist der „Komödienstadel“ eine feste Größe im Programm, eine Fernsehreihe, in der volkstümliche Bühnenstücke in bayerischer Mundart gezeigt werden. Die Stücke, die meist im bäuerlichen Milieu spielen, werden für das Fernsehen bearbeitet und dann vor Publikum in einem Theatersaal aufgezeichnet. Den „Komödienstadel“ gibt es also – anders als Millowitsch- und Ohnsorg-Theater – nicht eigenständig, nicht ohne den öffentlich-rechtlichen Sender. Immer sonntags, immer zur Primetime. Die Stücke heißen „Thomas auf der Himmelsleiter“, „Spätlese – auch der Herbst hat noch schöne Tage“ oder auch „G’suacht und g’fundn“. Das nächste am 25. September: „Alpenglühn und Männertreu“.

Der Inhalt: Vom Schicksal gebeutelt versinkt der Holdenrieder Luggi in abgrundtiefem Selbstmitleid. Er kann und will nicht mehr. Vermutlich kann ihn nur ein Schock wieder zur Vernunft bringen, meint seine Köchin. Doch sie und alle anderen haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Man muss das mögen. Nicht-Bayern stehen da eher außen vor, nicht nur, aber auch wegen der Mundart.

Immerhin ein Stück Fernsehgeschichte: Der „Komödienstadel“ feierte bereits im Mai 1959 im Bayerischen Fernsehen Premiere. Bekannte Volksschauspieler wie Gustl Bayrhammer, Max Grießer, Maxl Graf, Erni Singerl und Ludwig Schmid-Wildy machten den Stadel über die Grenzen hinaus bekannt. Der „Komödienstadel“ galt vor allem in den 1960er und 1970er Jahren als Quotengarant.

Eine Neufassung von „Tratsch im Treppenhaus“ mit Heidi Mahler

Seit Herbst 2015 wird der „Komödienstadel“ an unterschiedlichen Orten in den Regionen Bayerns produziert und damit für die Zuschauer, wie es heißt, „unmittelbar erlebbar“ gemacht, teilt der BR mit. Für die nächste Ausgabe, uraufgeführt in Erlangen, „Der Cowboy von Haxlfing“, wird sogar noch eine kleine Sprechrolle mit einem talentierten Amateurdarsteller (männlich oder weiblich) aus Franken gesucht.

Nach der Fernseh-Ausstrahlung gehen die Stücke auf Tournee durch Bayern. Ein Ende der TV-Volksbühne scheint in Bayern zumindest noch nicht in Sicht. 2016 werden laut BR  sechs Volkstheater-Stücke erstausgestrahlt, davon zwei „Komödienstadel“-Stücke und vier Stücke des Chiemgauer Volkstheaters. „Der ,Komödienstadel’ und das Volkstheater generell, zu dem auch das Chiemgauer Volkstheater gehört, sind seit jeher eine traditionelle Programmfarbe des BR“, sagt eine Sprecherin des Senders.

In 2016 erzielten beide Volkstheater-Formate Quoten deutlich über Senderschnitt. Das Chiemgauer Volkstheater erreichte bayernweit durchschnittlich 0,43 Millionen Zuschauer (8,5 Prozent Marktanteil), der "Komödienstadel" 0,49 Millionen (9,6 Prozent Marktanteil).

Das ARD-Hoch im Norden, also der NDR ist der Haltung des BR deutlich näher als der des WDR. „Die Zusammenarbeit zwischen dem NDR und dem Ohnsorg-Theater ist seit vielen Jahren verlässlich“, sagte Sendersprecherin Iris Bents dem Tagesspiegel. Die Einschaltquoten seien über die vergangenen fünf Jahre hinweg stabil mit leicht steigender Tendenz. Im Jahr 2015 lag der durchschnittliche Marktanteil der Ohnsorg-Sendungen im NDR Fernsehen im Norden bei 6,8 Prozent (290 000 Zuschauerinnen und Zuschauer). Im laufenden Jahr gab es bislang Spitzenquoten am Neujahrstag (11,6 % Marktanteil) und am 25.6. - in Konkurrenz zur Fußball-EM (8,0 %).

Pro Jahr zeigt das NDR Fernsehen zwei vom Sender im Ohnsorg-Theater neu aufgezeichnete Stücke. In diesem Jahr seien das „Landeier – Bauern suchen Frauen“ (die Komödie läuft am 24. September innerhalb eines Ohnsorg-Abends im NDR Fernsehen) sowie eine Neufassung von „Tratsch im Treppenhaus“ mit Heidi Mahler.

Diese Neufassung wird laut NDR voraussichtlich am Silvesterabend zu sehen sein – 50 Jahre nach der Fernseh-Premiere der Urfassung von „Tratsch im Treppenhaus“ mit Heidi Kabel. Diese Urfassung zeigt das NDR Fernsehen wahrscheinlich am 1. Januar 2017. Zusätzlich zu den jährlich zwei neu aufgezeichneten Stücken laufen pro Jahr im NDR Fernsehen rund 15 Wiederholungen aus dem Ohnsorg-Theater zu verschiedenen Sendezeiten. Mehr als die von NDR und Ohnsorg-Theater bekundete Treue geht wahrscheinlich nicht. Das Millowitsch-Theater in Köln wäre froh, wenn es sie vonseiten des WDR noch gäbe.

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