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Ihren vermissten Freund sucht Sophie Schäfer (Lavinia Wilson) in „Höllenberg“ – dem ehemaligen Schöneberg. Foto: ZDF

© Reiner Bajo

Fernseh-Visionen: Von Schöneberg nach "Höllenberg"

Mit der Doku-Fiktion „2030 – Aufstand der Jungen“ zeichnet das ZDF eine düstere Zukunftsprognose.

In Berlin-Schöneberg, genannt „Höllenberg“, hat die Staatsgewalt im Jahr 2030 kapituliert: Die Häuser ähneln Ruinen, die Straßen sind vermüllt und voller Autowracks. Wenn Fremde durchs Viertel fahren, selbst brave ZDF-Reporter, werden sie mit Obst und Gemüse beworfen. Seltsam, denn die Schöneberger sehen eher so aus, als sollten sie besser sparsam mit Essbarem umgehen. Und, besonders schockierend: Realschullehrerinnen verkaufen hier Würstchen! Das muss wirklich die Hölle sein.

Es geht manchmal schon unfreiwillig komisch zu in „2030 – Aufstand der Jungen“, dem zweiten Versuch des ZDF, ein aufrüttelndes Szenario eines aus der sozialen Balance geratenen Deutschland zu inszenieren. Wie der 2007 gesendete Dreiteiler „2030 – Aufstand der Alten“ gründet diese düstere Zukunftsvision auf einer ernst zu nehmenden Prognose: Insbesondere der demografische Wandel lässt die Annahme zu, dass die Probleme im Gesundheitssystem, bei Rente und Pflege außer Kontrolle geraten könnten. 2030 könnte die Hälfte der deutschen Bevölkerung aus Rentnern bestehen. Und die immer weniger werdenden Jungen müssten immer höhere Anteile bei der Finanzierung der Sozialsysteme übernehmen.

Die Doku-Fiktion des ZDF beginnt mit einem Todesfall: Tim Burdenski (Barnaby Metschurat) bricht mitten in Berlin zusammen und stirbt, weil seine Schussverletzungen im überlasteten Städtischen Krankenhaus nicht rechtzeitig versorgt werden. Doch eine Freundin von Tim, Sophie Schäfer (Lavinia Wilson), glaubt der offiziellen Version vom Herzversagen nicht und recherchiert mit ZDF-Reporterin Lena Bach die Hintergründe. Bettina Zimmermann blickt als engagierte Journalistin wie schon 2007 durch ihre strenge Brille, doch ihre Figur rückt dankenswerterweise stärker in den Hintergrund.

Der „Aufstand der Alten“ kam noch in drei Teilen à 45 Minuten auf den Bildschirm. Nach einem starken Start mit vier Millionen Zuschauern schmierten die zweite und dritte Folge mit jeweils unter 2,9 Millionen jedoch ab. Und da auch beim ZDF fleißig die Quotentabellen ausgewertet werden, muss sich der „Aufstand der Jungen“ mit einer einzigen, 90-minütigen Folge begnügen. Überzeugend wirkt eine solche Doku-Fiktion, bei allem Respekt vor dem Innovationswillen des ZDF, aber immer noch nicht. Autor und Regisseur Jörg Lühdorff beamt sein Publikum gleich mit durch Raum und Zeit: Mal ist die Kamera das Auge von Reporterin Bach, und wir Zuschauer sind ihre Begleiter bei der Recherche im Jahr 2030. Dann erklärt uns plötzlich wieder ein Kommentator aus dem Off das Geschehen.

Und er hat viel zu erklären im Laufe der 90 Minuten, denn Lühdorff packt nahezu sämtliche Probleme hinein, die einem in Zukunft das Leben vergällen könnten: wachsender Schulstress, die Streichung des Bafög und steigende Studiengebühren, sinkende Löhne und eine wachsende Zahl ungesicherter Arbeitsplätze, totale Überwachung, Zwei-Klassen-Medizin, Gentests zur Einstufung bei der Krankenversicherung, eine unbezahlbare Altersversorgung und und und. Zu allem gibt es Fakten, Fakten, Fakten, was den überfrachteten Film zu einer Vortragsreise durch die Zukunft werden lässt. Das ist nicht aufrüttelnd, sondern ermüdend.

Angestrengt wirkt auch das Bemühen, die fiktive Geschichte wie eine Dokumentation aussehen zu lassen. Ein Beispiel: Wenn die von Lavinia Wilson gespielte Sophie Schäfer bei der Suche nach ihrem Freund durch die Straßen spaziert, dreht sie sich ständig um und blickt in die Kamera. Vermutlich, damit jeder Zuschauer kapiert, dass es sich hier um die Arbeit eines Reportageteams handelt. So verhalten sich in der Realität jedoch nicht einmal mehr die unbedarftesten Laien. Scheint so, als wäre das Fernsehvolk 2011 schon weiter als 2030. Thomas Gehringer

„2030 – Aufstand der Jungen“;

ZDF, 20 Uhr 15

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