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Wachwechsel: Der Mann und die Männerträume

Der „Playboy“ leidet. Florian Boitin schreckt das nicht, der neue Chefredakteur setzt unverdrossen auf den Mythos.

Das Gespräch ist gerade bei der allgegenwärtigen Krise angelangt, als der Neue beim „Playboy“ nicht mehr ernst bleiben kann. Florian Boitin muss lachen. Dabei war er jetzt schon über so viele Schachtelsätze ruhig geblieben, hatte dem Journalisten gesagt, dass er als Nachfolger von Stefan Schmortte das Rad nicht neu erfinden müsse, dass ihn auch gar nicht interessiere, was in der Vergangenheit gelaufen sei. Dann sagte Florian Boitin noch einmal das mit dem Rad, dann, dass er jetzt nicht klingen wolle wie Jürgen Klinsmann und dann: „Ich bin dafür angetreten, Dinge, die gut sind, noch besser zu machen.“

Und bei diesem Nullsatz muss Florian Boitin dann lachen. Weil er sich ertappt fühlt, einerseits. Diese Floskel war einfach zu dick aufgetragen. Aber Florian Boitin lacht wohl auch, weil er nichts mehr zu sagen hat zu all den Hiobsbotschaften. Und das mag einen simplen Grund haben: Sie kümmern ihn nicht.

Dabei erreichten die Verkäufe zuletzt ein historisches Tief. Im zweiten Quartal 2009 hat der „Playboy“ das schlechteste Ergebnis seiner Geschichte eingefahren, gerade mal rund 95 000 Hefte verkauften sich an den Kiosken. Und auch online hat das Männermagazin einen schweren Stand. Zwar liegt playboy.de mit knapp 1,2 Millionen Visits (IVW 07/09) noch vor seinen Mitbewerbern wie menshealth.de (950 000) oder GQ.com (400 000) – doch die weitaus gefährlichere Konkurrenz lauert auf den Servern von Seiten wie youporn.com. Die Amateursex-Plattform liegt mittlerweile auf Platz 48 der meistgeklickten Seiten weltweit, playboy.de liegt auf Platz 14 691. Und Florian Boitin lacht.

Wer die Zuversicht des neuen Chefs verstehen will, verstehen will, warum der 42-Jährige so entspannt ist, muss auf seine Karriere zurückblicken. Boitin ist 27 Jahre alt, als er im Jahr 1994 nach abgeschlossenem Designstudium in die Branche der Männermagazine einsteigt. Als Grafiker im Heinrich-Bauer-Verlag ist er für die im Sterben liegende „Quick“ und – schon damals – den „Playboy“ zuständig. Und Boitin macht sich gut. Nach nur drei Jahren steigt er unter dem damaligen Chefredakteur Peter Lewandowski zum Art Director des Magazins auf. Er lenkt die Optik des „Playboy“ in einer Zeit, in der das Heft boomt. 1999, zwei Jahre nach Boitins Antritt, verkaufen sich in der Spitze 346 501 Exemplare, mehr als dreimal so viele wie heute. Der „Playboy“ damals war Mythos, Männertraum, Marktführer – und Florian Boitin war Teil davon. Das hat ihn geprägt.

Heute, zehn Jahre später also, sitzt Boitin am Steuer dieses legendären Dampfers. Auch wenn sich die Zahlen nicht über die Jahre gerettet haben, für ihn hat sich dieser Mythos, hat sich die Marke bewahrt: PLAYBOY. Größer geht nicht. Deshalb hat er die Zuversicht. Und vielleicht lacht er auch deshalb noch.

„Das Heft ist seine große Leidenschaft“, sagt auch Boitins Mentor Lewandowski, der mittlerweile das People-Magazin „Gala“ führt. Beide arbeiteten bis zum Jahr 2000 beim „Playboy“. Eine sehr erfolgreiche Zeit, wie der „Gala“-Chef heute sagt. Trotzdem war nach zwei gemeinsamen Jahren Schluss. Als sich abzeichnete, dass der Bauer-Verlag die Lizenz am „Playboy“ verlieren würde, gingen Lewandowski und Boitin gemeinsam zum Axel-Springer-Verlag, Abteilung Entwicklung. Aus ihren Überlegungen entstand die Zeitschrift „Maxim“, die Florian Boitin seinen ersten Chefredakteursposten einbrachte und im Mai dieses Jahres eingestellt wurde. Boitin war da bereits ein halbes Jahr weg, er hatte sich selbstständig gemacht und Medienhäuser in der Krise beraten. Bis der Mythos rief.

Vor gut vier Monaten hat Florian Boitin nun seinen Job im Münchner Arabellapark angetreten. Und das ohne großes Aufsehen. Eine kleine Meldung gab der Burda-Verlag im Mai heraus – danach war es lange still. Verlag und Chefredakteur hatten eine präsidiale Schonzeit von 100 Tagen vor ersten Interviews vereinbart. „Ich möchte mich an den sichtbaren Dingen messen lassen“, sagt Boitin heute. Aber natürlich wollte er damals auch in Ruhe arbeiten. Ohne die Auflage kommentieren zu müssen. Ohne eine neue Online-Strategie vorlegen zu müssen. Er arbeitete erst einmal. Und auch das ohne großes Aufsehen. Nach zwei Ausgaben unter seiner Regie kann gesagt werden: Boitin hat im „Playboy“ nicht gewildert, um sein neues Revier zu markieren. Er hat keine großartigen neuen Rubriken erfunden, es gab keinen Relaunch. Nur zwei Kolumnen, die demnächst starten, sind wirkliche Neuerungen, und dann doch wieder nicht: Sowohl der Drehbuchautor Ralf Husmann als auch der scherzende Dr. Eckart von Hirschhausen gehören immerhin zum Standardinventar deutscher Lifestyle-Lektüre. In diesem Fall macht es kaum einen Unterschied, ob „Vanity Fair“ oder „Playboy“ darüber steht.

Nur die Themensetzung wirkt selbstbewusster als in den Ausgaben, die noch sein Vorgänger Stefan Schmortte zu verantworten hatte. Die Geschichten triefen nicht zwangsläufig vor Testosteron, viele sind von einiger Relevanz und dabei mit Leichtigkeit umgesetzt. In die Oktoberausgabe etwa setzte Boitin ein Porträt über die zwei Leben des Fernsehkochs Horst Lichter. Voller Tragik, unaufgeregt geschrieben, lesenswert. Oder ein Interview mit dem Schriftsteller Tomas Glavinic über weibliche Fans und Fremdgehen per SMS. Im September erschien ein bissiger Kommentar über die Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing. Titel: „Die Spaßbremse“, der Vorwurf: Frau Bätzing gehe mit ihrer „Taliban-Haltung (…) Deutschland auf den Wecker“.

Er sehe seine Aufgabe darin, „den Markenkern spürbarer zu machen“, sagt Boitin. Natürlich werde auch der Online-Auftritt weiterentwickelt – zum „Männerberatungsportal“, wie er es nennt. Einer Art Wegweiser im maskulinen Leben, Google Men. Nur: Ob das reicht?

Weggefährte Peter Lewandowski scheint seinen Zögling momentan jedenfalls nicht zu beneiden. „Es ist wahnsinnig schwer, den ‚Playboy’ jetzt, in diesen schwierigen Zeiten, zu machen“, sagt der „Gala“-Chef. „Es sieht so aus, als würde Florian das Erfolgsrezept von damals anwenden wollen: ins Gespräch kommen.“ Und tatsächlich war der „Playboy“ in den vergangenen Wochen nicht selten Thema in den Rubriken Klatsch und Artverwandtes. Mal verkündete eine gescheiterte Casting-Blondine, dass sie nur noch fünf Kilogramm abnehmen müsse, um endlich in dem Männermagazin zu erscheinen, mal meldete ein Privatsender, dass er die diesjährige Wahl zum Wiesn-Playmate dokumentieren werde. Nicht zu vergessen die Eigenwerbung aus dem Hause Burda, die das „Playboy“-Lifetime-Abonnement anpries. Ein Leben lang „Playboy“, für 499,90 Euro. Zumindest die Branche horchte da auf. „Wenn Florian es schafft, das zu penetrieren, dann könnte er Erfolg haben“, sagt Lewandowski.

Der Mann jedenfalls, der Florian Boitin eingestellt hat, schaut entspannt in die Zukunft. Gerade weil Boitin ein ehemaliger Mitarbeiter des Männertitels sei, sei es doch schön, dass er „jetzt als Chefredakteur den Playboy auch in der digitalen Welt weiterentwickeln“ könne, sagt Jürgen Feldmann, Geschäftsführer der „Burda Lifestyle Community“. Feldmann will nur eines klargestellt wissen: „Dass der ‚Playboy’ immer der ‚Playboy’ bleiben wird.“ Das Heft brauche kein neues Konzept, es „ist und bleibt das Männermagazin Nummer eins in Deutschland“. Klar: Die Mädchen. Die Marke. Der Mythos. Größer geht nicht.

Man könnte es Urvertrauen nennen, alleine darauf zu setzen. Womöglich auch Schönfärberei. Sicher ist: In Krisenzeiten zeigt sich schneller als sonst, ob man damit richtig liegt oder falsch.

Tim Klimeš

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