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Durch die „Abendschau“ mit Sascha Hingst und Nadya Luer. Das Nachrichtenmagazin des RBB für Berlin hat in den vergangenen zwei Jahren 30 000 Zuschauer verloren.

© RBB

Weniger Zuschauer bei der "Abendschau": „Wir machen Programm für Lieschen Müller und Dr. Lieschen Müller“

In den vergangenen beiden Jahren musste die "Abendschau" einen deutlichen Zuschauerrückgang verkraften. Wieso sie dennoch das richtige Fernsehen für Berlin ist, erklärt RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein im Interview.

Herr Singelnstein, 19 Uhr 30 ist in Berlin „Abendschau“-Zeit. In den zurückliegenden beiden Jahren schalteten jedoch 30 000 Zuschauer weniger ein. Immerhin ein Minus von zehn Prozent. Wie besorgt sind Sie über diese Entwicklung?

Ich bin mit den Zahlen durchaus zufrieden. Mit 270 000 Zuschauerinnen und Zuschauern im Tagesdurchschnitt bewegen wir uns genau im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre, sowohl in Bezug auf die absoluten Zuschauerzahlen als auch auf die Marktanteile. Es gibt für mich überhaupt keinen Anlass zur Besorgnis. Schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass es 2014 die Olympischen Winterspiele und die Fußball-Weltmeisterschaft gab. In solchen Zeiten haben wir deutlich weniger Zuschauer, da ist Berlin sportaffin genug.

Trotzdem: Müssen Sie nicht befürchten, dass sich noch mehr Zuschauer von der „Abendschau“ abwenden?

Nein, das neue Jahr hat gut für uns angefangen. Wir sind jetzt bereits wieder deutlich über dem Durchschnitt, auch wenn sich die Zahlen im Laufe des Jahres noch relativieren werden. Wir bemühen uns, jeden Tag ein gutes Programm zu machen. Ich kann zudem keinen direkten Zusammenhang herstellen zwischen den rückläufigen Zahlen und dem Programm, das wir in den vergangenen zwei Jahren gemacht haben. Ich glaube nicht, dass wir jetzt in Aktionismus verfallen und die „Abendschau“ grundsätzlich anfassen müssen.

Foto: RBB
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© rbb/Christoph Michaelis

Auf die Nachricht vom Zuschauerrückgang gab es auf Tagesspiegel.de erstaunlich viele negative Kommentare…

…die ich alle gelesen habe. Bei vielen musste ich allerdings schmunzeln. Vielleicht würde es helfen, die Sendung ab und zu anzuschauen.

Die Mehrzahl scheint sehr genau zu wissen, worüber sie sich geärgert hat.

Das Schöne an dieser Sendung ist, dass die Berliner so eine emotionale Beziehung zu ihrer „Abendschau“ haben. Das ist ja auch ein Pfund. Darum ist man besonders vergrätzt über Dinge, die einem nicht gefallen. Mir ist es im Zweifel sogar lieber, jemand äußert seine Kritik emotional und vielleicht auch etwas überzogen, als wenn es ihm egal ist und er nicht mehr einschaltet. Ein polarisierender Punkt ist die Berichterstattung von roten Teppichen. Wir berichten dennoch ausführlich von der Berlinale oder von großen Premieren. Das gehört zu dieser Stadt, auch wenn das viele Menschen unwichtig oder boulevardesk finden.

Noch häufiger wird die „Abendschau“ als piefig oder provinziell wahrgenommen. Ist die Präsentation zu abgestanden?

Tatsächlich fragen wir uns häufig: Sind wir noch zeitgemäß, ist das noch Fernsehen von heute? Das debattiert die Redaktion im Zweifel an jedem einzelnen Stück. Aber aufs Ganze gesehen halte ich die „Abendschau“ weder für piefig noch für provinziell. Sicher: Sie ist kein Hipster-Magazin. Und das wird sie auch nicht werden, jedenfalls nicht, solange ich hier Chefredakteur bin. Wir machen die Nachrichtensendung für normale Berliner. Und Berliner leben eben nicht allein in Mitte und Prenzlauer Berg, sondern auch in Frohnau oder Reinickendorf, in Marzahn oder Spandau.

In der jetzigen Form mit kurzen Beiträgen und Doppelmoderation gibt es die „Abendschau“ seit 1984, im neuen Jahrtausend erhielt sie ein neues Studiodesign. Ist nicht eine Komplettrenovierung fällig?

Da gibt es definitiv keine Überlegungen. Das Studiodesign wird dieses Jahrzehnt voraussichtlich nicht überleben, aber mir ist die Sendung zu wichtig, um unbedingt Trendsetter sein zu wollen. Die „Abendschau“ ist keine Sendung, mit der man experimentiert. Sonst ist die Gefahr zu groß, dass die Menschen sagen, das ist nicht mehr meine „Abendschau“.

Dann planen Sie kleinere Veränderungen?

Das machen wir ständig, das merken Sie nur nicht. Im vergangenen Jahr haben wir die komplette Wettergrafik verändert. Auch sonst haben wir an den Grafiken gearbeitet, zudem ist das Zusammenspiel von Moderator und Nachrichtensprecher bei Begrüßung und Verabschiedung verändert.

Die „Abendschau“ kann man auch als Stream anschauen oder am nächsten Tag abrufen. Welche Auswirkungen hat das auf die Zahlen?

Im Moment können wir lediglich sagen, wie viele Seitenabrufe unsere Homepage hat, die Streams und Downloads können wir noch nicht verlässlich messen. Sicher ist: Es gibt eine erkennbare Internetnutzung. Seit 2014 gibt es auch eine App zur Sendung, die gut funktioniert – was ja nicht selbstverständlich ist. Aber wir machen das Programm nicht fürs Internet.

Ich dachte, Sie machen es für die Zuschauer?

Ja, aber Zuschauer sehen in erster Linie fern. Die Online-Studie von ARD und ZDF hat festgestellt, dass das Internet verstärkt genutzt wird, aber nicht zulasten des Fernsehens.

Wie sieht Ihr typischer „Abendschau“-Zuschauer aus?

Wir haben explizit kein definiertes Zielpublikum. Die „Abendschau“ will ein Programm für Lieschen Müller und für Dr. Lieschen Müller machen. Wir müssen die ganze Stadt abbilden mit den unterschiedlichen Communities. Es ist eine Sendung für Menschen, die sich für ihre Stadt interessieren. Das gilt sowohl für das politische Geschehen als auch das allgemein gesellschaftliche, das wirtschaftliche, das kulturelle und auch das flippige Geschehen. Aber Berlin ist nicht nur flippig, sondern auch Provinz. Und auch für die sind wir da.

Inwieweit hängt das mit der Altersstruktur der Zuschauer zusammen?

Das RBB-Fernsehen hat insgesamt ein Durchschnittsalter von 66 Jahren. Die „Abendschau“ liegt bei 67. Das ist kein jugendliches Publikum. Aber das unterscheidet uns nicht von anderen vergleichbaren Formaten.

Vor zwei Jahren gab es einen Wechsel an der Spitze der Abendschau. Anna Kyrieleis geht anders an die Themen heran. Stichwort: nachrichtliche Relevanz.

Das ist die Absicht. Wir wollen mit der „Abendschau“ alles abbilden, was an einem Tag in der Stadt wichtig ist. Zum Glück ist Berlin keine Stadt, die niemals schläft, sodass man diesem Anspruch auch gerecht werden kann.

War Ihnen die „Abendschau“ früher zu boulevardesk?

Boulevardesk war sie nie. Aber Berlin ist ein solcher Schmelztiegel, und es gibt einen solchen Entscheidungsstau in ganz vielen Bereichen. Da ist für Beschaulichkeit wenig Platz.

Das Interview führte Kurt Sagatz.

Christoph Singelnstein ist Chefredakteur des Rundfunks Berlin-Brandenburg und leitet den Programmbereich Information. Zugleich ist er stellvertretender Programmdirektor.

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