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Wie die TV-Sender im Ausland talken: Ohne Stuhl und doppelten Boden

Es geht auch anders als bei den Talkshows von Günther Jauch, Anne Will oder Maybrit Illner: Franzosen talken nachts, Russen ohne Ende, Briten witzig.

Das Format der politischen Talkshow im deutschen Fernsehen ist gesetzt. Ein Moderator diskutiert mit Gästen das Thema des Tages oder der Woche. „Maybrit Illner“ im Zweiten macht es so, „Anne Will“ ebenfalls, und auch die zuschauerträchtigste Talkshow, „Günther Jauch“ am Sonntagabend nach dem „Tatort“, funktioniert in gleicher Weise. Wie aber wird in den Fernsehprogrammen des Auslands getalkt? Haben ARD und ZDF ihr Format etwa bei der britischen BBC abgeschaut? Ist „Günther Jauch“ Vorbild in Frankreich? Und was passiert im russischen Fernsehen?

Frankreich: „Wir schlafen nicht“

Einen „Günther Jauch à la française“ gibt es unter den Talkshows im französischen Fernsehen nicht. Doch dem Erfolg des deutschen Talkmasters am nächsten kommt vielleicht Laurent Ruquier mit seiner Sendung „On n’est pas couché“. Sie wird jeden Samstag ab 23 Uhr vom öffentlich-rechtlichen Sender France 2 ausgestrahlt, dauert über drei Stunden und erreicht bis zu zwei Millionen Zuschauer, was den Titel, auf Deutsch „Wir schlafen nicht“, erklären mag. Der knapp 42-jährige Autor und Moderator konzipiert seine Sendung nicht als reinen Polittalk, sondern als aktuellen Querschnitt aus politischer Information und literarischer und künstlerischer Kritik mit Gästen aus der Pariser Prominentenszene. Produziert wird sie seit 2006, früher im „Moulin Rouge“, seit 2014 in einem Studio an den Champs-Elysées.

Ihren Ruf verdankt Ruquiers Talkshow vor allem den hitzigen Wortgefechten zwischen den Teilnehmern. Zu Beginn kommentiert jeder eine politische Karikatur der Woche, dann stellen sie sich einer Art Kreuzverhör. Häufige Gäste aus der Politik waren zum Beispiel der heutige sozialistische Premierminister Manuel Valls, der frühere Chef der konservativen Oppositionspartei UMP, Jean-François Copé, oder Anne Hidalgo, seit 2014 Pariser Bürgermeisterin. Zu den prominenten Eingeladenen zählten der Modeschöpfer Karl Lagerfeld ebenso wie der Schauspieler Daniel Auteuil oder der Philosoph Bernard-Henri Lévy. Legendär sind Zusammenstöße wie jüngst zwischen dem ehemaligen Europa-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit und Eric Zemmour, dem rechtslastigen Autor des polemischen Bestsellers „Der französische Selbstmord“. Dessen Ansicht, einer wie der russische Präsident Wladimir Putin sei ihm lieber als der Grüne, konterte dieser trocken mit der Bemerkung: „Sie sind ein Kretin.“ Hans-Hagen Bremer, Paris

Russland: Stehen statt sitzen

Gäste von Quassel-King Wladimir Solowjow müssen vor allem eines mitbringen: Stehvermögen. Sitzmöbel mit seniorenfreundlichen Rückenlehnen wie bei Günter Jauch sind beim „Sonntagabend mit Solowjow“, der in etwa zur selben Zeit im russischen Staatsfernsehen läuft wie der ARD-Polittalk in Berlin, so wenig vorgesehen wie in der russisch-orthodoxen Kirche. Gottes Wort lauscht man stehend, dem des Herrschers ebenfalls. Und Wladimir Putin steht bei Wladimir Solowjow stets unsichtbar mit im Ring. Mit eingeblendeten Schnipseln aus Interviews und Reden der letzten Woche gibt er die Themen der Talkshow vor, die laut Programm eine Stunde und 50 Minuten dauert, aber permanent und noch krasser überzieht als „Wetten, dass ..?“ und sich laut Eigenwerbung an den „klugen und aufgeschlossenen Zuschauer“ wendet, dem „das Schicksal Russlands nicht gleichgültig ist“. Ein Konzept, bei dem eigentlich die Fetzen fliegen müssten. Doch Solowjow sieht seine Aufgabe eher darin, seinen Gästen nicht Widerspruch, sondern Zustimmung zu entlocken. Er will nicht polarisieren, sondern konsolidieren. Das fängt bereits bei der Auswahl der Talkgäste an. Meist sind es Spitzenbeamte, die einander die Stichworte geben. Kompetent, aber linientreu.

Auch bei Fragen aus dem Publikum ist das Risiko überschaubar. Unebenheiten werden am Schnittplatz glattgebügelt. Live liefen in Russland die letzten Talkshows kurz vor Putins erster Wiederwahl 2004. Kurz danach wurde der kremlkritische TV-Sender NTW plattgemacht und startete neu mit seichtem Infotainment. Talkmaster Sawik Schuster, der sich zuvor schon als Chef des Moskauer Büros vom US-Auslandssender Radio Liberty beim Kreml unbeliebt gemacht hatte, setzte sich in die Ukraine ab und führte das Format dort weiter. Bald schon folgte ihm NTW-Starjournalist Jewgeni Kisseljow mit dem damals ähnlich quotenträchtigenWochenrückblick „Itogi“ (Bilanz). Ironie des Schicksals: Ein Namensvetter – Dmitri Kisseljow, Chef der Staatsholding für Auslandspropaganda – hat die Marke inzwischen für den Staatssender Rossija recycelt. Das Format läuft direkt vor Solowjows „Sonntagabend“ und ist ähnlich tendenziös. Gegen beide Macher verhängte die Ukraine im Sommer ein Einreiseverbot.Elke Windisch, Moskau

BBC & Co: Lustiger und seichter

Die „Talkshow“ heißt in Großbritannien „Chat Show“, und schon das zeigt, dass es sich um eine leichtherzigere Sparte handelt als die ernste deutsche Talkshow. Während Einzelinterviews in britischen Medien in der Regel härter geführt werden als in Deutschland – in politischen Shows wie „Hard Talk“ bei BBC World, bei der LBC Radio Talkshow von Nick Ferrari oder der berühmten BBC-Morgenstrecke „Today“ –, versteht der Brite unter einer „Chat Show“ etwas, das im Nachmittagsprogramm leicht dahinplätschert oder in der Form der „Late Night Chatshow“ mit Satire und Humor agiert. Auch in den Hochzeiten von „Prime Time Chatshows“ waren die Meister wie David Frost, Michael Parkinson oder Terry Wogan eigentlich als Spaßmacher engagiert.

Heute heißen diese Stars Jonathan Ross ( ITV) oder Graham Norton, dessen Programm die BBC als „Mischung aus Musik, Problemen und Celebrities“ ankündigt. Mit Günther Jauch haben sie wenig gemein. Auch sie sind Edelhumoristen. Nicht ihre Gäste, sondern sie selbst spielen die Hauptrolle. Eine Variante ist die „Panelshow“, in der das Tagesgeschehen aus Politik und Gesellschaft zum Gegenstand von Spiel und Quiz wird – erneut mit Promigästen. Doch Witz und Spaß, nicht grüblerische Lösung der Weltprobleme stehen im Vordergrund.

Am ehesten lässt sich mit Jauchs wöchentlichen Problembesprechungen die „Question Time“ der BBC vergleichen, seit 1979 im Programm. Ein Panel von meist drei Politikern, dazu ein Journalist und ein Promi aus der Unterhaltungsbranche debattieren die aktuellen Themen, die als Fragen aus einem sorgfältig gesiebten, repräsentativen Publikum formuliert werden. Der Dialog mit dem Publikum und dessen Reaktionen bestimmen die Dramaturgie der Sendung. Gesendet wird nicht live, sondern direkt nach der Aufnahme um 22 Uhr 30 am Donnerstag, auch dann noch mit durchschnittlich 2,7 Millionen Zuschauern. Als der Chef der rechtsradikalen „British National Front“, Nick Griffin, 2009 einen kontroversen „QT“-Auftritt hatte, schalteten acht Millionen ein. Moderator ist seit Jahren David Dimbleby, der auch Wahlsendungen und königliche Hochzeiten moderiert. Matthias Thibaut, London

Teil 2 hat die Talks im US-Fernsehen und in Südkorea zum Thema

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