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Let’s get together. Die Presseabende bei Parteitagen, hier bei der FDP, gelten in der Medienbranche als unentbehrlich für Kontakte und Hintergrundinformationen. Foto: imago

© IMAGO

Menschen und Medien: Wir da oben, ihr Rest da unten

Adenauer-Höflinge, im Höhenrausch mit der Macht, dann political correct – wo stehen die Journalisten?

Vor der Bundestagswahl 1953 bestellte Konrad Adenauer einen Fotografen in sein Rhöndorfer Haus, band die Küchenschürze um und ließ sich am Herd beim Pfannkuchenwenden ablichten. Der Begriff „Home Story“ war im deutschen Pressewesen noch unbekannt. Doch Adenauer, der erste Medienkanzler, machte alles richtig. Als Pfannkuchenwender schlich er sich in die Herzen der Wählerinnen und erzielte für die Union einen Stimmenanteil von über 45 Prozent. 14 Prozentpunkte mehr als bei der ersten Bundestagswahl 1949. So war Adenauers Medienpolitik: Oben die Regierung, unten das leicht verführbare Volk. Und dazwischen als gefällige Kammerdiener die Journalisten. Und die spielten mit. Der einzige Hinweis im „Stern“ auf die bevorstehende Wahl war – das Pfannkuchenfoto.

Gehorsam wurde belohnt. Anstelle von Pressekonferenzen bevorzugte Adenauer „Teegespräche“ im kleinen Kreis. Wer geladen wurde, kommentierte so, dass einer erneuten Einladung nichts mehr im Wege stand. Das Bundespresseamt unterstützte linientreue Berichterstattung auch bar. Im Haushaltstitel 300 („Zur Verfügung des Bundeskanzlers für die Förderung des Informationswesens“) standen ohne parlamentarische Kontrolle ab 1955 jährlich zweistellige Millionenbeträge zur freien Verfügung. Journalisten und Verleger ließen sich ihre Regierungstreue entgelten.

Zwei Journalistengenerationen standen sich gegenüber. Den Älteren war während der Nazizeit die Lust auf freie Meinungsäußerung gänzlich ausgetrieben worden. Für sie sprach der NS-Karrierist Helmut Cron als Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes, der von seinem Berufsstand im Stil der alten Zeit „Demut und Tapferkeit“, „Entsagung und Opferfähigkeit“ forderte. Auf der anderen Seite übte die Generation der gerade dem Krieg Entkommenen wie Rudolf Augstein bereits andere Tugenden ein: Meinungsfreiheit statt demütiges Ducken, Widerspruch statt stiller Entsagung. Damit wurden sie zum Vorbild – oder zur Reizfigur – für die Deutschen, denen das Ducken noch näher lag als das Aufbegehren.

Das von dieser jungen Generation geschriebene Kapitel der deutschen Mediengeschichte war nicht mehr von Regierungstreue geprägt, aber von der Nähe zu Parteien. Unvorstellbar heute, dass Chefredakteure als Parteitagsgäste wortgewaltige Resolutionen verfassen – wie Augstein und Nannen auf einem FDP-Parteitag 1967 gegen den national-konservativen Vorsitzenden Erich Mende. Es war die Zeit, in der der Journalismus aus der Kammerdienerperspektive ein paar Stufen übersprang und sich auf die Bühne zu den politisch Mächtigen gesellte. Damals begann, was der „Spiegel“-Reporter Jürgen Leinemann als „Höhenrausch“ diagnostiziert, eine Krankheit, für die die journalistische Klasse so anfällig war wie die politische: Wir da oben, die da unten.

Der Bürger wurde zum Zielobjekt parteipolitischer Indoktrination. Im Bonner Regierungsviertel umschwänzelten unionsergebene Journalisten die Mandatsträger ihrer Couleur und schätzten sich glücklich, wenn sie der gemeinsamen Sache gefällig sein konnten. Und in einer Gaststätte mit dem bezeichnenden Namen „Provinz“ bereiteten namhafte Jusos wie Gerhard Schröder sich mit Journalisten der 68er Generation auf ihre Karriere vor, wobei Schröder es nicht versäumte, seine Tentakel auch auf das bürgerliche Medienbiotop hin auszurichten, was ihn nach seinem Amtsantritt zu dem folgenschweren Irrtum verleitete, er könne allein mit „,Bild‘, ,BamS‘ und Glotze“ regieren, notfalls auch ohne Bürger, oder in der verwegenen Annahme, die Bürger trotteten schicksalsergeben diesen Medien hinterher. Das war der erste eklatante Ausbruch der Höhenkrankheit, die seitdem das politische wie das journalistische Establishment durcheinander wirbelt. Der Leser parierte nicht mehr.

Die antiautoritären Ausbrüche der 68er hatten auch die Autorität der Medien erschüttert. Und eine Generation jüngerer Journalisten pflegte – vergleichbar zur frühen Nachkriegszeit – inzwischen eine Auffassung von Meinungsfreiheit, mit der es nicht mehr vereinbar war, als Parteisoldaten in Zivil durch die Redaktionen zu laufen.

Man war sich zu nahe gekommen. Die Duz- und Trinkbrüderschaften und eine falsche Vertraulichkeit, die den Journalisten doch nur zur Marionette des politischen Machtstrebens machen wollte, schlug auf Seiten der Medien in Respektlosigkeit um. Inzwischen tut die politische Klasse alles, um mit ihrem Wankelmut, dem Verschieben von Verantwortung und gegenseitigen Beschimpfungen endgültig durch die Falltür der öffentlichen Geringschätzung zu rasseln. Dafür erlebt die Berliner Republik den Journalisten in einer neuen Position. Er steht endlich dort, wo er hingehört – unabhängig in einem Zwischenreich zwischen Bürger und Politik.

Aber er übt noch. Die Willfährigkeit gegenüber der Politik hat er überwunden. Aber die Unterwerfung unter das Diktat der Political Correctness hat ihn erneut zum Sklaven gemacht. Hätten die Medien gewagt, das Versagen der Integrationspolitik ungeschminkt aufzudecken, hätte es der Vererbungsthesen des skurrilen Privatgelehrten Thilo Sarrazin nicht bedurft. Der Höhenrausch des Journalismus ist abgeklungen, doch der Medienarbeiter leidet unter einer nicht minder gefährlichen déformation professionelle – der Resignation vor den Abschottungen der Politik. Weil die Medien das Informationsbedürfnis der Bürger unterschätzten und es nicht wagten, den Politikern dauerhaft nachvollziehbare Begründungen für ihre Entscheidungen abzutrotzen, wurden auch sie vom Schwabenaufruhr um Stuttgart 21 überrascht. Ein exemplarischer Fall.

Journalisten sind im Idealfall Welterklärer und Wahrheitsfanatiker. Sie müssen von der Politik Begründungen einfordern, selbst wenn die behauptet, es sei längst alles klar. Sie müssen Versprechen auf ihre Einhaltung überprüfen. Vor allem haben sie politisch korrekt zu sein. Aber politisch korrekt ist nur, wer die Wahrheit auftischt, nicht wer sie verschleiert oder wer wankelmütig heute die eine, morgen die andere Meinung vertritt. Die Stuttgarter Zeitungen waren mannhaft genug, ihren Überzeugungen treu zu bleiben und ihr Votum für das Stuttgart-21-Projekt auch gegen die Bürgerproteste zu verteidigen – trotz Abo-Verlusten. Da waren sie standfester als die SPD, die sich populistisch weg von ihren Beschlüssen in Richtung Demonstranten bewegte und dafür abgestraft werden wird.

Es geht voran in der Geschichte vom Kammerdiener, der erst aufs Sonnendeck zu den Politikern kroch und der sich in seinen Argumenten und Meinungen inzwischen beständiger zeigt als eine herumeiernde Politik. Der Journalist will vor allem radikaler Aufklärer sein – unvoreingenommen in jede Richtung. Das ist kein gemütlicher Job und auch der Leser nimmt es ihm manchmal krumm, aber es ist der einzige Grund, warum es noch Journalismus gibt.

Ernst Elitz war Gründungsintendant des Deutschlandradios. Er lehrt an der FU Berlin Kultur- und Medienmanagement.

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