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Die „AndachtsApp“  der Evangelischen Landeskirche in Württemberg bietet Gebete und Andachten für das Handy. Das ist zweifellos eine tolle Sache für den Gläubigen, aber wenigstens die evangelische Publizistik muss näher an den Alltag heranrücken.

© picture alliance / dpa

Wo steht die evangelische Publizistik?: Luthers Werk und Teufels Beitrag

Public Relations für die biblische Botschaft reicht nicht mehr: Die evangelische Publizistik muss auch säkular denken und arbeiten.

Wenn man an die Reformation erinnert, dann auch an das, was man bei Martin Luther über den Gebrauch der Medien für die Verbreitung seiner weit mehr als 95 Thesen lernen kann. Die Reformation war ein Medienereignis, „begleitet und ermöglicht“ durch eine „enorme Medienmaschinerie“ (Reformationshistoriker Thomas Kaufmann), die Luther, nach heutigen Begriffen ein Medienstar, souverän bedient hat. Die Reformation bezeichnet in dieser Hinsicht den Aufbruch in eine Sphäre, die Marshall McLuhan später als „Gutenberg-Galaxis“ bezeichnen wird. Mit Gedrucktem, vom Pamphlet über das Flugblatt bis zum Kirchenlied, hat Martin Luther für seine Sache etwas geschaffen, was es so vorher nicht gegeben hat: Öffentlichkeit.

Die frühe Reformationsgeschichte ist ein Exempel für das, was man heute eine Kampagne nennt. Im Mittelpunkt dieser Art von Publizistik stand der Wittenberger David, der gegen den vatikanischen Goliath in den Kampf zog. Er hat die Themen gesetzt, notfalls auch abgesetzt. Er hat polarisiert. Der „mit Ellenbogen ausgestattete Athlet religiöser Rücksichtslosigkeit“ („FAZ“-Herausgeber Jürgen Kaube) war, im besten Sinne, ein begnadeter Populist.

Vor allem hatte er das, was man heute eine „Erzählung“ nennt. Die hat er sogar in unterschiedlichen Sprachen verbreitet: Für die „Lateiner“ in knappen Formeln, „sola fide, sola gratia, sola scriptura“; für die Masse seiner Anhänger mithilfe seiner „Ausdrucksfähigkeit in der deutschen Sprache“. Sie war die „entscheidende Grundlage seiner publizistischen Erfolge“ (Kaufmann). Luther hatte gewiss noch keinen Mediaplan. Aber er hat ihn praktiziert.

Nun sind inzwischen zwar 500 Jahre vergangen. Doch Luthers Mediengebrauch ist auch im Licht eines „neuen Buchdrucks“, der Digitalisierung, dem Leben in der Turing-Galaxis, nicht veraltet. Für Institutionen, die eine Botschaft verbreiten wollen wie die evangelische Kirche, speziell für eine Kirche des Wortes bleiben die Methoden und Faktoren dieser „Medienmaschinerie“ beispielhaft und inspirierend.

Ein langsamer kommunikativer Wärmetod

Zugleich zwingt die Differenz zwischen 1517 und 2017 zu einem zeitgemäßen Ansatz für das Verhältnis von Kirche und Medien, der, um heutigen Verhältnissen gerecht zu werden, über Luthers Ansatz und seine Praxis hinausreichen muss. Denn Luthers Mediengebrauch dokumentiert eben nur einen publizistischen Unterfall, etwas, was man – nicht ganz zu Unrecht oft ein wenig abschätzig – Public Relations nennt.

Zwar kann sich die evangelische Kirche, so wie andere Institutionen, zur Not auch heute damit begnügen, das komplette Ensemble aktueller Medien für den Zweck ihrer Verkündigung zu instrumentalisieren. Sie kann alle nur denkbaren Instrumente der Massen- und Individualmedien mit globaler Reichweite einsetzen, von Twitter bis zum Blog und den merkwürdigerweise so bezeichneten sozialen Medien. Täte sie es nicht, würde sie einen langsamen kommunikativen Wärmetod sterben.

Also nutzt sie das Privileg, dass sie im öffentlich-rechtlichen Radio seit fast siebzig Jahren Verkündigungssendungen ausstrahlen darf. ARD und ZDF übertragen Gottesdienst und – auszugsweise – Kirchentage. Es gibt das „Wort zum Sonntag“ und Sondersendungen in Lutherjahren. Es gibt den Evangelischen Pressedienst und Kirchengebietsblätter. Es gab einmal das „Deutsche Sonntagsblatt“ und gibt heute – PR pur – „ Chrismon“. Es gibt evangelisch.de. Und für all das gibt es Geld und kompetente Menschen, die diesen Teil von Publizistik organisieren.

Doch im 21.Jahrhundert braucht es auch eine Art von evangelischer Publizistik, die nicht nur die offensichtlichen und berechtigten Interessen einer Institution verfolgt. Evangelische Publizistik muss im Kontext einer globalen Welt auch Orte aufsuchen, von denen sich die säkulare Publizistik, meist aus ökonomischen Gründen, zurückgezogen hat.

Das verlangt viel. Aber ist es auch zu viel verlangt?

Evangelische Publizistik muss sich über ihre Kirche hinaus auch um Ereignisse, Themen und Personen kümmern, die für die Ökonomie der Aufmerksamkeit keinen Umsatz machen. Sie muss sich an dem wenig spektakulären Geschäft beteiligen, komplementär und stellvertretend zu recherchieren und zu informieren. Sie muss – ein unbestreitbar biblisches Motiv – den Stummen eine Stimme geben. Das verlangt viel. Aber ist es auch zu viel verlangt?

Auf den ersten Blick scheint diese Ausweitung des publizistischen Engagements die Interessen der Institution Kirche zu ignorieren. Doch der Umstand, dass die Gesellschaft von heute nicht von spätmittelalterlicher Frömmigkeit geprägt ist, der Umstand, dass die Institution Kirche mitten in einer säkularisierten Gesellschaft existiert, dementiert diese Befürchtung.

Eine evangelische Kirche von heute, die mit publizistischen Mitteln und Methoden gesellschaftliche Defizite, blinde Flecken der allgemeinen Publizistik aufspürt und öffentlich macht, ist nicht weniger evangelisch, als es das Verkündigen der biblischen Botschaft ist, also das, was PR-Strategen den „Markenkern“ nennen.

Dieser Ansatz verlangt viel Altruismus. Die Institution Kirche muss es aushalten, selbst zum Objekt kritischer Berichterstattung zu werden, ins Werk gesetzt durch Journalisten, die sie auch noch selbst bezahlt. Doch sie betreibt und bezahlt damit nicht Allotria. Wer die Lasten der anderen trägt, folgt nicht nur diakonisch, sondern auch publizistisch einem paulinischen Postulat.

Am Anfang des 16.Jahrhunderts waren Systeme wie Ökonomie und Religion so eng verbunden, dass der Ablass zum Anstoß einer Kirchenspaltung werden konnte. Luther hat nicht zwei getrennte Bereiche vorgefunden, für die man Öffentlichkeit nur durch zwei verschiedene publizistische Konzepte herstellen kann.

Inzwischen gibt es, nicht zuletzt als Folge der Reformation, diese zwei Bereiche. Deshalb muss am Anfang des 21.Jahrhunderts die Beziehung von Kirche und Medien über einen selbstbezüglichen Ansatz von Public Relations hinausgehen. Ihr Ausgangspunkt kann nicht allein der konfessionell geprägte Wettbewerb sein, verbunden mit dem Anspruch auf Wahrheit und einer Deutungshoheit über die ganze Welt. Die Referenzgröße für ein zeitgemäßes Konzept von evangelischer Publizistik kann nur eine ebenso säkularisierte wie vernetzte Welt sein.

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Fernsehen und Radio senden weiträumig vom Kirchentag. Mittwoch, RBB, 17 Uhr 55. Eröffnungsgottesdienst vor dem Reichstag. ZDF, 0 Uhr 45: Eröffnungsbericht. Donnerstag, ARD, 10 Uhr: Evangelischer Gottesdienst von der Bühne am Breitscheidplatz (auch im RBB-Kulturradio). Danach, ARD, ab 11 Uhr: Diskussionsrunde mit Barack Obama und Angela Merkel vorm Brandenburger Tor (live auf RBB-Inforadio). ZDF, 13 Uhr 50: „Was heißt hier Wahrheit?“ Diskussionsveranstaltung unter anderem mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière und re:publica-Gründer Markus Beckedahl.

Freitag, RBB-Kulturradio, 19 Uhr 04: „Kulturtermin Religion und Gesellschaft“. Samstag, RBB, 18 Uhr: „Himmel und Erde extra“ – Konzert der Berliner Symphoniker zusammen mit geflüchteten Musikern vom Gendarmenmarkt. Sonntag, ZDF, 9 Uhr 03: „sonntags – Warum sich Menschen engagieren“. ARD, 12 Uhr: Großer Festgottesdienst in Wittenberg. ARD, 17 Uhr 30: „Gott und die Welt“, live aus Wittenberg. Der Ereigniskanal Phoenix berichtet an den vier Tagen mehr als zehn Stunden über die Höhepunkte und ist mit Reportern vor Ort. Tsp

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Norbert Schneider war unter anderem Fernsehdirektor des Senders Freies Berlin und Direktor der Landesanstalt für Medien NRW in Düsseldorf.

Norbert Schneider

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