zum Hauptinhalt
Vor Gericht: Anna (Anja Kling) und ihr Mann Micha (Benno Fürmann, links) treffen beim Prozess auf Schläger Marco (Julius Nitschkoff). Foto: ZDF

© Britta Krehl

ZDF-Montagsfilm zu Jugendgewalt: Für die Opfer gibt es kein Entkommen

Jugendgewalt aus der Opferperspektive: Der packende ZDF-Film „Kein Entkommen“ mit Anja Kling und Benno Fürmann.

Sie ist Hockeyspielerin, taff, sehnig, reaktionsstark. Gleich zu Beginn dieses packenden Films (Regie: Andreas Senn) sehen wir Anna (Anja Kling), wie sie auf dem Platz agiert, Mann und Kinder schauen zu. Da plötzlich stürzt sie. Die Kamera geht mit zu Boden und zeigt uns das verwirrte Gesicht der Spielerin. Die rappelt sich wieder hoch, spielt weiter und schießt das entscheidende Tor. Jubel! Ehemann Micha (Benno Fürmann) küsst sie, sichtlich stolz. Anna strahlt.

Diese Exposition nimmt klug vorweg, was kommen wird, aber nicht so gut ausgeht. Nächste Szene: Anna wartet mit ihrem Sportzeug an einer vorstädtischen Bushaltestelle. Es ist sonst niemand da, außer drei Jugendliche, die sich langsam nähern. Sie verlangen Geld. Anna schüttelt den Kopf. Der erste Schlag, mit einer Eisenstange, erfolgt sogleich. Und dann geht es weiter. Die drei Jungen treten ihr Opfer – die Tritte werden, wie es im TV so üblich ist, akustisch verstärkt – sie drohen mit dem Messer. Als Zuschauer ahnt man: Wenn die Frau überlebt, kann sie von Glück sagen. Und die Schläger auch.

70 000 Menschen pro Jahr, das verrät der Film im Abspann, werden auf diese oder ähnliche Weise Opfer von Gewaltakten, die Hälfte der Tatverdächtigen sind Jugendliche. Der Film verarbeitet seinen harten Stoff indessen anders als erwartet. Es gibt keine Jagd auf die jungen Täter, die werden vielmehr sofort gefasst, und das wird nicht mal gezeigt. Es gibt auch keine langwierigen Gerichtsprozesse, alles läuft reibungslos, die Schläger werden eher milde bestraft. Aber was sich nicht lösen will, was sich nicht leicht und rasch bearbeiten lässt, was wir als Geschichte eines Traumas nun zu sehen bekommen, das ist Annas Schock und Qual.

Schon als sie im Krankenhaus nach nur vier Tagen, völlig verquollen, am Tropf hängend, sich hochtastet, ins Bad schleppt, den Verband vom zugeschwollenen Auge nimmt und versucht zu verstehen, was passiert ist, zeigt sich: Diese Frau verbietet sich das Trauma. Diese Hockeyspielerin wird nicht hinnehmen oder zu verarbeiten suchen, was mit ihr geschehen ist. Sie wird leugnen, sie wird Anlauf nehmen, um über die klaffende Wunde am Kopf und in der Seele hinwegzuspringen. Und so geschieht es. Und so erweitert sich die Katastrophe zur Tragödie. Denn, wie der Filmtitel schon sagt: Es gibt kein Entkommen. Das Trauma, die Verletzung, sie sind da, um erst einmal zu bleiben.

Anna gibt vor, sich nicht erinnern zu können. Dem Publikum aber wird in Flashbacks gezeigt, wie die Bilder der Gewalttat sie verfolgen. Das Drehbuch von Stefanie Veith und Matthias Tuchmann schafft es immer wieder, eine Engführung von Wahrheit und Vorspiegelung, Schock und Verleugnung zu konstruieren. So wird den Kindern erzählt, die Mama sei durch einen Verkehrsunfall verletzt worden. Aber der halbwüchsige Junge ahnt Böses und guckt auf eigene Faust beim Tatort nach, findet Blut. Und der Ehemann Micha – Benno Fürmann agiert in dieser eher undankbaren Rolle beeindruckend – ist bald am Ende seines Lateins. Die Frau, die er kennt und liebt, ist weg. Jetzt ist da nur eine Blackbox, die sich kaum ansprechen lässt. „Ich will kein Mitleid“, sagt sie.

Anja Kling spielt mit großer Überzeugungskraft

Neben der Traumaproblematik kommt auch der Typus der Leistungsträgerin in diesem Film unter die kritische Lupe. Anna arbeitet in der Baufirma ihres Mannes mit, sie will sofort wieder funktionieren, und sie hasst sich selbst dafür, dass sie es einfach nicht kann. Die Perfektionistin, die sich ein Langsamer-Angehen unter keinen Umständen gestatten würde, ist heute eine sehr glaubwürdige und sehr zwiespältige Figur. Anja Kling spielt sie mit großer Überzeugungskraft. Und Benno Fürmann, eigentlich eher auf Durchstarterrollen festgelegt, gibt hier den Vernünftigen, den Bedächtigen, der von seiner Frau nur eines verlangt: dass sie bereit ist, zu leiden und womöglich auch zu klagen, anstatt zu tun, als wäre nichts gewesen. Er ist sich einig mit dem Arzt, der befindet: „Die Welt ist kein sicherer Ort mehr für Ihre Frau. Sie braucht Hilfe.“

Annas Zorn und Schmerz müssen ja irgendwo hin. Psychiatrische Hilfe lehnt sie ab. Stattdessen spürt sie dem jüngsten und übelsten der Schläger nach, der mit einer sehr geringen Strafe davongekommen ist. Sie will Rache. Das ist konsequent. Und ebenso konsequent ist, dass sie damit furchtbar scheitert. Der lange Weg der Traumaverarbeitung, inklusive Psychotherapie, ist eben doch der einzig gangbare. Der Film bohrt aber auch in diese Richtung: Was machen wir falsch mit unseren Jugendlichen, dass eine so beträchtliche Anzahl von ihnen den Weg der Gewalt geht?

„Kein Entkommen“. ZDF, Montag, 20 Uhr 15

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false