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Sibel (Sibel Kekilli) will ihren Bruder Melih (Yasin Boynuince) daran hindern, Unsinn zu treiben. Sie kettet ihn mit Handschellen an.

© ZDF und Gordon Timpen

ZDFneo-Serie "Bruder - Schwarze Macht": Unter Menschenfängern

Die ZDFneo-Serie „Bruder – Schwarze Macht“ thematisiert die Radikalisierung junger Muslime.

Melih ist noch auf Bewährung, lebt aber mit seinem besten Kumpel Tobi in Hamburg fröhlich in den Tag hinein. Meist hocken die beiden in einem Handyladen und helfen dem Besitzer bei dubiosen bis kriminellen Geschäften. Melihs großer Schwester Sibel ist das ein Dorn im Auge, schon aus beruflichen Gründen. Sibel ist Polizistin, verheiratet, Mutter einer kleinen Tochter, und so ziemlich das genaue Gegenteil von Melih, nämlich immer korrekt und zielstrebig. Sie will verhindern, dass Melih in den Knast kommt und endgültig in die falschen Kreise gerät. Die Gefahr droht allerdings aus einem anderen Milieu. Melih legte bisher nicht viel Wert auf Religion, dennoch findet er schnell Gefallen an Tobis neuen Freunden, den Salafisten, die so respektvoll miteinander umgehen. Und die ihn nicht abweisen, nur weil er aussieht wie ein Türke. Sibel verliert den Kontakt, während sich Melih in einen Gotteskrieger verwandelt.

Die starke Schwester will den labilen Bruder beschützen, das ist für einen Filmstoff über eine deutschtürkische Familie schon mal ein erfrischender Ansatz. Sibel Kekilli ist hier nach ihrem „Tatort“-Ausstieg erstmals wieder im Fernsehen präsent. Die Miniserie „Bruder – Schwarze Macht“ nannte sie in einem Interview ein „mutiges Projekt“, weshalb sie wohl darüber hinwegsah, dass sie nun doch wieder in die Rolle einer Deutschtürkin schlüpfen musste. Wenigstens ist diese Sibel, die in einer Ehe mit dem – wie sagt man: Deutschdeutschen? – Kurt (Bjarne Mädel) zusammenlebt, eher der Gegenentwurf eines Klischees.

Ein weiterer Vorstoß in die Disziplin Dramaserie

Ob mutig oder nicht, der Vierteiler widmet sich drängenden Fragen: Wieso radikalisieren sich junge Muslime? Wie gehen die islamistischen Rattenfänger vor? Und wie ist es grundsätzlich um das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft in Deutschland bestellt? Seriensender ZDFneo hatte bei seinen Eigenproduktionen bisher vorwiegend auf Sitcoms wie „Der Knast“ gesetzt. Nun wagt man sich nach „Tempel“ mit weiteren Produktionen in die Disziplin Dramaserie vor. Am 15. November startet außerdem noch „Die Lobbyistin“ mit Rosalie Thomass.

ZDFneo will also mit überschaubaren Mitteln ernsthafte Akzente setzen, was allerdings bei „Bruder – Schwarze Macht“ nur bedingt gelingt. Viel lebendiger als in Vorabendserien geht es in Hamburg-Wilhelmsburg vorerst nicht zu. Man wird nicht recht warm mit diesen ziemlich ausgedacht wirkenden Figuren, auch Sibel Kekilli kann das nicht herausreißen. Und das Abrutschen eines jungen Mannes in die islamistische Szene mit all seinen Konsequenzen, das wird im November der SWR-Zweiteiler „Brüder“ im Ersten überzeugender und packender erzählen. Aber nach und nach entwickelt auch die ZDFneo-Serie, die vor allem durch eine differenzierte Milieuzeichnung überzeugt, einen gewissen Sog. „Bruder – Schwarze Macht“ stammt von einem bunten Haufen Kreativer: Randa Chahoud („Ion Tichy: Raumpilot“), in Berlin geborene Tochter eines Syrers und einer Deutschen, führte Regie. Die Drehbücher schrieben die Deutschtürkin Ipek Zübert und der Deutschpalästinenser Raid Sabbah, außerdem Andreas Dirr.

Relativ simpel macht es sich der Film zu Beginn: Tobi (Rouven Israel) ist ein übergewichtiger und unterbelichteter Tropf, der sich etwas unvermittelt dank Propagandavideos und Verschwörungstheorien zum eifrigen Salafisten entwickelt. Dass seine Umgebung auf die Verwandlung ziemlich naiv und unwissend reagiert, wirkt im Jahr 2017 auch nicht mehr ganz zeitgemäß. Der Hass kommt auf leisen Sohlen, die Islamisten tarnen sich klug und sind höfliche Leute. Imam Abu Nour (Lennart Lemster), ein deutscher Konvertit, erweist sich als geschickter Menschenfänger, der gemäßigte Imam aus der Moschee dagegen als mutlos und inkonsequent. Melih (Yasin Boynuince) ist ein eher unbedarfter junger Mann. Sein Weg in den Terror wird vor allem mit fehlendem familiären Halt und gesellschaftlicher Ausgrenzung begründet.

Der "hässliche Deutsche" ist diesmal ein Polizist

Dazu braucht es einen „hässlichen Deutschen“, und den spielt Friedrich Mücke mit ausgesuchter Boshaftigkeit: Polizeikollege André mobbt Sibel, seitdem sie ihn nach Übergriffen gegen einen Verdächtigen angezeigt hatte (so geht es nebenbei auch um Sexismus).

Melih gerät dabei – nicht ganz ohne eigene Schuld – zwischen die Fronten und einmal buchstäblich in die Fänge des gewalttätigen Ordnungshüters. Jetzt könnte er die Hilfe seiner Schwester gebrauchen, die ihn sonst ziemlich nervt, weil sie sich immer wieder einmischt. Aber weil der einzige Zeuge, ebenfalls ein Polizist, Korpsgeist übt und schweigt, sind Sibel die Hände gebunden. Bruder Melih taucht unter.

Allen Seiten fehlt es hier an Integrationsbereitschaft, Multikulti birgt Spannungen. Und im Serienfinale auch eine gute Portion Spannung. Regisseurin Chahoud wollte an die Sache herangehen „wie jemand, der sich bemüht, eine Wunde offenzulegen: Man muss sie sich ehrlich und genau anschauen, bevor man sie verarztet. Starke Vereinfachung in ,Gut‘ und ,Böse‘ bringen einen da nicht weiter“. Autor Sabbah hält Integration nicht für ein Allheilmittel. Er sagt: „Solange wir Pluralismus nur behaupten, aber nicht leben, läuft jedwede Integration ins Leere.“

„Bruder – Schwarze Macht“, ZDFneo, vier Teile, sonntags, 21 Uhr 45

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