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Christian Schertz, Anwalt und Verteidiger des ZDF-Moderators Jan Böhmermann, sieht den Vorwurf der Beleidigung als nichtig an.

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Update

Zivilprozess mit Erdogan: Hat Böhmermann beleidigt oder nicht?

Erdogans Anwalt beklagt vor dem Hamburger Landgericht "unter dem Deckmäntelchen der Kunst schwerste Beleidigung" durch Jan Böhmermanns "Schmähgedicht". Ein Urteil wird am 10. Februar 2017 erwartet.

Im Prozess um das Gedicht „Schmähkritik“ des ZDF-Moderators Jan Böhmermann vor dem Hamburger Landgericht haben sich die Anwälte des Satirikers und des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan einen Schlagabtausch geliefert - und sich jeweils sehr siegessicher gegeben. "Ich bin mir sicher, dass wir das Verfahren gewinnen - wenn nicht in dieser, dann in der nächsten Instanz", sagte Böhmermanns Anwalt, Christian Schertz nach der Verhandlung. Erdogans Vertreter Michael-Hubertus von Sprenger verwies auf die Entscheidung des Gerichts im vorgelagerten Eilverfahren, in dem die Wiederholung etlicher Passagen verboten wurde. "Es gibt im Grunde keine neuen rechtlichen Gesichtspunkte."

Erdogan will per Unterlassungsklage erreichen, dass Böhmermann das gesamte Gedicht nicht erneut vortragen darf. Böhmermann wehrt sich dagegen. Das Gericht will seine Entscheidung in dem Fall nach Angaben der Vorsitzenden Richterin Simone Käfer am 10. Februar 2017 verkünden. Die Verhandlung am Mittwoch dauerte insgesamt 90 Minuten.

Im einstweiligen Eilverfahren hatte das Gericht Erdogan im Mai teils Recht gegeben und Böhmermann die Wiederholung bestimmter Textpassagen untersagt. Die Entscheidung im nun fortgesetzten Hauptsacheverfahren wird diese vorläufige richterliche Regelung ersetzen.

Der Satiriker hatte Ende März in der ZDF-Sendung "Neo Magazin Royale" ein hoch umstrittenes Schmähgedicht auf Erdogan verlesen. Deswegen waren auch strafrechtliche Ermittlungen wegen Beleidigung anhängig, die die Staatsanwaltschaft Mainz inzwischen aber einstellte. Von Sprenger bekräftigte am Mittwoch vor Gericht die Position Erdogans. "Hier wird unter dem Deckmäntelchen der Kunst schwerste Beleidigung betrieben", sagte er. Schertz betonte, es habe sich bei dem in einen Sendungskontext eingebetteten Gedicht um einen künstlerischen Beitrag zur Debatte über Meinungsfreiheit und deren Grenzen gehandelt, der verfassungsrechtlich geschützt und nicht zu verbieten sei. "Es ist nichts anderes als in Kunstform gegossene Satire", sagte er.

Das Verfahren zeigt doch, dass der Straftatbestand der Beleidigung abgeschafft gehört. Bei ernsthaftem Mobbing oder persönlichen Erniedrigungen greift er nicht. Wo er greift, sind hingegen einfache Schimpfwörter die keinen normalen Menschen ernsthaft verletzen.

schreibt NutzerIn jetb

Böhmermanns Vertreter Christian Schertz verwies zudem auf die Einstellung der Strafermittlungen gegen seinen Mandanten in Mainz. Die Staatsanwaltschaft habe den Tatbestand der Beleidigung verneint, sagte Scherz. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz habe des weiteren festgestellt, dass es sich verbiete, einzelne Teile eines Kunstwerkes aus dem Zusammenhang zu lösen. Erdogan und Böhmermann waren beim Prozesstermin persönlich nicht anwesend.

Erdogans Anwalt Michael-Hubertus von Sprenger betonte dagegen, die Strafermittlungen seien nur deswegen eingestellt worden, weil bei Böhmermann nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft in Mainz kein Vorsatz zu erkennen gewesen sei. Eine Strafsache sei jedoch etwas anderes als ein zivilrechtliches Verfahren, in dem es um die Frage gehe, ob das Gedicht eine Schmähung sei.

Michael-Hubertus von Sprenger, der Anwalt des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, will das "Schmähgedicht" von Jan Böhmermann komplett verbieten lassen.
Michael-Hubertus von Sprenger, der Anwalt des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, will das "Schmähgedicht" von Jan Böhmermann komplett verbieten lassen.

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Sprenger warf den Ermittlungsbehörden in Rheinland-Pfalz vor, das dortige Verfahren bewusst in die Verjährung getrieben zu haben. Die Entscheidung über die Einstellung sei so spät getroffen worden, dass ihm praktisch keine Zeit zur Einleitung eines Klageerzwingungsverfahrens geblieben sei. Im Bereich Presse und Rundfunk gilt eine Strafverfolgungsverjährung von sechs Monaten. Der türkische Präsident will erreichen, dass das gesamte Gedicht verboten wird. Im Mai hatte das Hamburger Gericht bereits eine einstweilige Verfügung gegen Böhmermann erlassen - seitdem darf er den größeren Teil des Gedichttextes nicht wiederholen (Az.: 324 O 255/16).

ROG nennt Erdogan "Feind der Pressefreiheit"

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird von Reporter ohne Grenzen (ROG) erstmals als "Feind der Pressefreiheit" gelistet. Er zähle zu 35 Staats- und Regierungschefs, Organisationen und Geheimdiensten, welche die "Pressefreiheit durch Zensur, willkürliche Verhaftungen, Folter und Mord" unterdrücken, erklärte die Organisation am Mittwoch. Insbesondere die Verhaftung von Journalisten der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" sorgt derzeit für Kritik. (mit dpa/epd/AFP)

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