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Medien: Zwischen Himmel und Erde

Andrea Zangemeister ist eine Frau der Extreme. Journalistin wurde sie in einer Zeit, als es noch Urgesteine gab, sagt sie. Sie war fast ein Vierteljahrhundert Chefredakteurin der auflagenstarken Zeitschrift „Bild der Frau“. Jetzt hat sie aufgehört Heute: Jede Woche verkauft sie 1,2 Millionen Hefte Damals: Die erste Ausgabe von „Bild der Frau“ 1983

Hans-Olaf Henkel kommt noch heute ins Schwärmen. Diese schwarzen Haare, diese blauen Augen … Solche Mädchen gab es in Hamburg selten. Henkel, der viele Jahre später Arbeitgeberpräsident werden sollte, war 17 oder 18, als er sich in die ein Jahr jüngere Andrea Zangemeister verliebt hat. Er erinnert sich noch gut. Auch daran, wie sie ihn abblitzen ließ. Schriftlich. Den Brief hat er aufgehoben.

Andrea Zangemeister mag nur einer Minderheit bekannt sein. Ihre Arbeit gilt jedoch einem Massenpublikum. Sie war 23 Jahre lang Chefredakteurin der mit 1,2 Millionen Exemplaren auflagenstärksten deutschen Frauenzeitschrift „Bild der Frau“. Eine erstaunlich lange Zeit in dieser schnelllebigen und – damals noch mehr als heute – von Männern dominierten Medienwelt. Am 1. Juni hat die 64-Jährige ihren Posten an ihre bisherige Stellvertreterin, die 27 Jahre jüngere Sandra Immoor abgegeben. Zangemeister bleibt dem Blatt als Herausgeberin verbunden. „Nein“, würde sie jetzt bestimmt einhaken: „Ich war Chefredakteur und bin Herausgeber.“ So steht es im Impressum. Ein Akt der Gleichberechtigung, findet sie.

„Die Zange“, wie viele sie nennen, ist eine Frau der Extreme und Widersprüche. Ihre Unruhe, ihr Temperament regen an, manche strengt es an.

Ihre erste Frage, als es darum geht, ob sie sich porträtieren ließe, war die nach dem Sternzeichen. „Waage? Ach du Scheiße. Zu der hab’ ich ’ne Quadratur“, rief sie durchs Telefon. Zangemeister ist Steinbock. Sie glaubt an Astrologie. So intensiv wie sie an Gott glaubt. Ein Widerspruch? Nein. Gott, sagt sie, sei schließlich „der Schöpfer der Sterne und hat sie an ihren Platz am Himmel gehängt. Der Boss ist er.“

Kaum geht die Tür zu ihrem Büro im Hamburger Springer-Verlag auf, möchte man sich einfach nur auf das sandfarbene Stoffsofa setzen. Gemütlich ist es. Der Ficus vor dem Fenster, die gerahmten Bilder, Fotos, Sprüche und Gedichte, Trockensträuße, dazwischen Krimskrams, Figürchen, Kitsch. Alles hat seine Geschichte. Hier der Erzengel Michael, ihr Schutzengel, wie sie sagt. Dort ein gerahmtes Bild, ein Geschenk ihrer Redaktion zum Zehnjährigen, mit allen Unterschriften und gemalten Herzchen dazu: eine Fotocollage ihrer Helden, darunter Harald Schmidt und Ottfried Fischer. Andrea Zangemeister schaut viel und gern fern. Morgens bei der Konferenz erzählt sie dann das Erlebte. Manche sagen, sie neige zur Selbstdarstellung. Andere finden es einfach unterhaltsam, wie die Sätze aus ihr heraussprudeln und bewundern ihr Wissen. „Die Zange ist so gebildet, sie saugt alles auf wie ein Schwamm“, sagt eine ihrer Redakteurinnen. Meist ergibt sich aus dem scheinbar unstrukturierten Redefluss eine Geschichte für das nächste Heft.

Im Regal, rechts hinter Zangemeisters langem Holzschreibtisch, hängen hinter einer Tischlampe, auf deren Fuß eine Katzenfigur thront, weitere Fotos. „Mein Altar“, nennt sie die Ecke. Die Heiligen sind Hermann van Veen, Mahatma Gandhi, Harry Belafonte, O.W. Fischer. Daneben dieses Jesus- Bild. Es hängt überall: Zweimal in ihrem Büro, mehrfach in ihrer wie eine bäuerliche Puppenstube eingerichteten Pöseldorfer Wohnung, und auch in ihrem selbst gebauten Haus in der Lüneburger Heide. Das Bild zeigt nach der Vorlage des Turiner Grabtuchs Jesus mit offenen, braunen Augen. Sie sagt: „Es gibt mir Kraft“ und „Jesus ist für mich der Retter aus jeder Not“. Gläubig sei sie immer gewesen. Doch damals, als sie, die starke Raucherin, in der Kirche zu Jesus betete, von der Zigarette loszukommen, da habe er ihr geholfen. Sie beschloss: Wenn er so viel für mich tut, muss ich etwas für ihn tun. Seither sei sie „PR-Agent“ von Jesus.

Als solcher ließ sie sich auch missbrauchen. Vor ein paar Jahren wurde Zangemeister neben anderen Prominenten von der DeMoss-Stiftung engagiert, um in einem Buchbeitrag zu schildern, wie sie zum Glauben kam. Zu spät erfuhr sie, dass diese ultrakonservative US-Bewegung gegen Abtreibung und Homosexualität und für die Todesstrafe ist. Sie gibt ihrer Naivität die Schuld, dass sie da hineingeschlittert ist.

Freitagabends, wenn sie übers Wochenende in ihr Heidehaus, „meine körperliche wie geistige Tankstelle“ fährt, besucht sie mit ihrer Freundin, einer Bäuerin, die Bibelschule. Klar wird sie belächelt für ihre Art zu glauben, aber das provoziert bei ihr höchstens Trotz. Andrea Zangemeister ist auch eine sehr energische Frau mit einer ganz und gar nicht spirituellen, sondern äußerst realistischen Seite. Bei „Bild“ hat sie lange Jahre die Seite 1 produziert. Sie war die erste Frau in der Chefredaktion des Boulevardblatts. „Sie konnte obszönere Sprüche klopfen als jeder Kerl“, erinnert sich einer ihrer damaligen Kollegen. Und sie war gut. Ihr Chef, Günter Prinz, schätzte früher wie heute ihre kabarettistische Art, Schlagzeilen zu machen. Auch Reportagen und ganze Serien schrieb sie. Sie selbst sagt, sie sei eine Disco-Maus gewesen. Immer auf der Piste, trinkfest obendrein, kannte sie alle und jeden. Über Promi-Klatsch war sie bestens und vor allen anderen informiert.

Axel Springer war es dann, der Prinz fragte, ob man aus den Frauenthemen, die täglich in „Bild“ stehen, nicht eine Frauenzeitung machen könnte. Im März 1983 erschien sie zum ersten Mal, „Bild der Frau“. Auch, um weiter Einfluss üben zu können, machte Prinz Zangemeister zur Chefredakteurin. Das ist sie geblieben. Fast ein Vierteljahrhundert. Bis vorige Woche.

Privat liest Zangemeister die „International Herald Tribune“ und hört klassische Musik, treibt täglich Sport, einmal die Woche lernt sie Russisch. Verheiratet war sie nie, dafür ist sie seit mehr als drei Jahrzehnten mehr oder minder heimliche Geliebte eines verheirateten Mannes. Wer weiß, wie verliebt die beiden miteinander umgehen, sich beim Abschied noch mal umdrehen und einander zuwinken, nennt dieses ewig freiwillige Pärchen „entzückend“.

Kinder hat Andrea Zangemeister keine. Sie selbst wurde unehelich geboren, wuchs bei der Tante auf, floh aus Schlesien in die Lüneburger Heide und erfuhr erst mit sechs, wer ihre leibliche Mutter ist. Ein Erlebnis, das sie für den Rest ihres Lebens zur Rebellin machte. Sie wollte keine Kinder in unordentlichen Verhältnissen, da hat sie lieber abgetrieben. Mehrfach. Sie erzählt das wie alles andere entwaffnend offen. Ihr Gesicht legt sich in lauter kleine Lachfältchen, als sie den Satz wiederholt, den ein Freund ihr kürzlich sagte: „Andrea, das Fettnäpfchen ist dein zweites Zuhause.“ Es ist ihr egal. Sie weiß, dass eine andere Zeit angebrochen ist. Eine, die nicht ihre ist. Der Journalismus hat sich verändert. „Es gibt keine Urgesteine mehr. Nur noch Kieselsteine. Kleine, glatte Kieselsteine.“ Die passen überall rein.

Muss sich ein so unkonventioneller Mensch nicht langweilen, 23 Jahre lang ein Blatt zu machen, das fast jede Woche auf dem Titel eine Diät anpreist? Springer verdiente an dem Blatt Millionen, der Erfolg machte Zangemeister unangreifbar. Auch, wenn die Auflage mal doppelt so hoch war. Die Konkurrenz wurde größer, doch „Bild der Frau“ blieb Marktführer. Dass der intellektuelle Anspruch des Blattes nicht hoch ist, weiß Zangemeister auch. Andererseits: Auch einfache Sätze können viel sagen, etwa jener aus einem ihrer 15-Zeilen-Kommentare: Wenn deinem Mann dein Busen nicht mehr gefällt, brauchst du keinen neuen Busen, sondern einen neuen Mann.

Später räumt sie ein: An manchen Themen habe sie schon das Interesse verloren. Nach und nach hat sie die an ihre Stellvertreter abgegeben: die Mode, auch den Ratgeberteil. Das Horoskop redigiere sie weiter selbst. Auch um das Gedicht auf der letzten Seite kümmere sie sich weiter. „Sie gibt dem Blatt Wärme, eine Seele“, sagt Prinz.

Mal wirkt sie zerbrechlich mädchenhaft, mal selbstbewusst dominant. Ihre bezeichnendste Eigenschaft ist jedoch ihr Drang zu geben: Materielles und Ideelles, Geld und Liebe. Etwas anzunehmen fällt ihr dagegen so schwer wie der Umgang mit Zeit, Raum und Geld. Was ihr später nachgesagt werden sollte, wurde sie einmal gefragt: „Sie hat alles gegeben“, antwortete sie.

Die 27-jährige Andrea Zangemeister 1969 mit dem damaligen „Bild“- Chef Peter Boenisch .

Mit 41 Jahren kurz vor Gründung von „Bild der Frau“ 1983.

Mit Günter Prinz , bis heute wichtigster und engster Berater von Andrea Zangemeister.

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