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Nicht einsteigen! Wer wichtige Termine einhalten will, sollte besser nicht die S-Bahn benutzen.

© dapd

Totales Chaos: Das Vertrauen in die S-Bahn ist zerstört

Das S-Bahn-Chaos vom Donnerstag hat einmal mehr gezeigt, dass es durch überzogene Rationalisierung um buchstäblich jeden Preis am Ende nur Verlierer geben kann. Die Frage ist: Gibt es nun endlich Konsequenzen?

Wer in einer Großstadt der zivilisierten Welt lebt, der baut sein Leben normalerweise auf ein paar Gewissheiten auf: Es gibt Brot, Wasser und Energie, der Müll wird abgeholt, und öffentliche Verkehrsmittel bringen jeden, der einen Fahrschein löst, wohin er will. Nach einigen Jahren S-Bahn-Chaos in Berlin ist die letztgenannte dieser Gewissheiten gründlich erschüttert. Und immer, wenn alle denken oder doch wenigstens hoffen, dass die Talsohle von Fehlplanung, Inkompetenz und, ja, auch Pech erreicht sei, geht es noch einen Schritt weiter nach unten.

Denn einen Totalausfall der kompletten S-Bahn hat es ja selbst im härtesten Winter noch nicht gegeben, und auch während der Streiktage der letzten Jahre musste kein Fahrgast, im Tunnel schmorend, auf Evakuierung warten. Genau das ist nun passiert, die Ursache noch unklar. Es mag sein, dass das Schicksal mit der S-Bahn nach der alten Fußballerweisheit verfährt: Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu. Doch Glück und Pech muss man sich verdienen, und auch ohne eingehende Analyse des Vorfalls vom Donnerstag ist eine Feststellung nicht vom Tisch zu wischen: Es darf nicht sein, dass lebenswichtige und komplexe Systeme wie die Berliner S-Bahn durch einen einzigen Fehler an zentraler Stelle total ausgeschaltet werden – nicht durch zufälligen Defekt, nicht durch menschliches Versagen, nicht durch, Gott bewahre, terroristische Absicht. Es darf einfach nicht sein.

Aber es ist passiert, und die Verantwortlichen müssen vermutlich nur deshalb die peinlichen Fragen nicht fürchten, weil sie persönlich nicht mehr im Amt sind. Denn nach allem, was wir über die S-Bahn und ihren unheilvollen Weg vom behäbig-zuverlässigen Eigenbetrieb zum fetten Börsenhappen wissen, ist auch dieser Vorfall wieder das langfristige Ergebnis überzogener Rationalisierung um buchstäblich jeden Preis. Wenn die kleinen Stellwerke an der Strecke geschleift und durch einen allmächtigen Zentralcomputer ersetzt werden, der obendrein nicht richtig gegen Ausfälle geschützt ist, dann passiert so etwas eben. Wäre die Lufthansa einst mit einer ähnlichen Konsequenz verschlankt worden, dann würden deren Airbusse heute im Dutzend vom Himmel fallen.

Die unmittelbare Konsequenz ist klar: Der Fehler muss gefunden werden, und jene, die heute die Verantwortung tragen, haben zügig darzulegen, was sie tun, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Doch damit ist das langfristige Problem nicht gelöst: Die S-Bahn hat, im Winter wie im Sommer, den Ruf der Verlässlichkeit verloren. Wer Termine unbedingt einzuhalten hat, wer pünktlich am Arbeitsplatz sein muss, der darf sie im Grunde nicht mehr benutzen. Denn längst liegt die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls mit zumindest gravierender Verspätung nicht mehr nahe null, wo sie hingehört, sondern bei "alle paar Tage". Das Vertrauen ist zerstört, dazu braucht es keine neue Schneewalze mehr.

Dem neuen Verkehrssenator Michael Müller ist angesichts dieser Diagnose viel Glück zu wünschen. Immerhin sollte die neuerliche Großpanne alle politisch Verantwortlichen motivieren, die ewige Hängepartie um die Zukunft der S-Bahn umgehend zu beenden. "Berlin muss sich darauf verlassen können, dass die Bahn endlich das Angebot macht, für das sie da ist." Hat Müller gesagt. Wir fügen an: Berlin muss sich vor allem darauf verlassen, dass die Politik endlich den Betreiber findet, den die S-Bahn für dieses Angebot braucht.

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