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John F. Kennedy in Berlin.

© epd

50 Jahre Kennedy-Rede: „Ich bin ein Berliner“

Cicero? Hoover? Immer wieder ist über den Bezug von John F. Kennedys berühmten Worten gerätselt worden. Der wahrscheinlichste ist dabei übersehen worden.

Am 28. Juni 1963 besuchte Sowjetführer Nikita Chruschtschow Ost-Berlin. Doch an sein „Ich liebe die Mauer!“ erinnert sich niemand mehr. Ganz anders verhält es sich mit dem unauslöschlichen „Ich bin ein Berliner!“ von John F. Kennedy zwei Tage zuvor.

Kaum bekannt ist, dass Kennedys berühmte vier Worte gar nicht im offiziellen Redemanuskript standen. Denn nicht sein genialer Wortschmied Theodore Sorensen hatte die Idee dazu, sondern der Präsident selbst. Kennedy übte am 18. Juni im Weißen Haus mit Sprachlehrerin Margarethe Plischke ein paar Sätze auf Deutsch und notierte dabei auf einem Blatt „I am a Berliner“, handschriftlich, in blauer Tinte. In Sorensens Entwürfe schaffte es die Idee aber nicht. Kennedy erinnerte sich laut Sicherheitsberater McGeorge Bundy erst im Anflug auf Berlin wieder daran und notierte sich kurz vor der Rede eine Aussprachehilfe auf seine Redekarte: „Ish bin ein Bearleener.“

Doch wie kam Kennedy überhaupt auf die Idee, das Cicero-Zitat „Ich bin ein Bürger Roms“ umzudeuten? Herumgereicht werden zwei mögliche Vorbilder: Einerseits sprach Ex-Präsident Herbert Hoover 1954 bei einem Besuch in West-Berlin den Satz „I am a Berliner“. Anderseits erklärte Kennedy im Mai 1962 in New Orleans: „Ich bin ein Bürger der Vereinigten Staaten.“ Erstaunlicherweise hat jedoch noch nie jemand den plausibelsten Bezug hergestellt: Winston Churchill sagte am 14. Mai 1947 in einer Rede in London: „Wir hoffen, wieder ein geeintes Europa zu erreichen, in dem Menschen ebenso stolz sagen ‚Ich bin ein Europäer‘ wie sie einst ‚civis Romanus sum‘ sagten.“

Knüpfte der geschichtsbewusste Kennedy in West-Berlin bewusst daran an? Seine Verwendung des Wortes „stolz“ legt diese Vermutung nahe: „Vor 2000 Jahren war der stolzeste Satz, den ein Mensch sagen konnte: ,civis Romanus sum.’ Heute ist der stolzeste Satz, den jemand in der freien Welt sagen kann: Ich bin ein Berliner!“

Thomas Gijswijt, Historiker an der Universität Tübingen und einer der besten Kenner von Kennedys Europapolitik, ist jedenfalls „ziemlich sicher“, dass Kennedy die Rede kannte, die in Churchills Buch „Europe Unite“ 1950 veröffentlicht wurde. „Kennedy hat bekanntlich mehr oder weniger alles von Churchill gelesen“, so Gijswijt. Kennedy mag sich auch erinnert haben, dass sein Vorgänger Dwight D. Eisenhower im Juni 1945 bei den Siegesfeiern in Englands Hauptstadt vom Balkon des Mansion House gerufen hatte: „I am now a Londoner!“ Ebenfalls kaum mehr bekannt ist heute, dass Kennedy die erste Hälfte seiner zehnminütigen Rede völlig frei hielt. Machte die Mauervisite den Präsidenten so „zornig“, dass er spontan emotionaler als geplant sprach, wie es Hofhistoriker Arthur M. Schlesinger, Jr., 1965 behauptete? Fakt ist, dass Kennedy – losgelöst vom Redeentwurf – die Mauer als Verstoß gegen die Menschlichkeit bezeichnete und sie als Bankrotterklärung des Kommunismus erklärte. Selbst Bundy war überrascht und flüsterte Kennedy zu: „Ich glaube, Sie sind zu weit gegangen.“ Doch der Entscheid, eine Brandrede gegen den Kommunismus zu halten, war bereits am Vorabend der Rede gefallen – noch vor dem Mauererlebnis. So hat es Bundy in seinem Tagebuch über Kennedys Europareise festgehalten, das erst 2006 deklassifiziert und von Gijswijt ausgewertet worden ist.

Christian Nünlist ist Autor ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Security Studies der ETH Zürich. Er ist Autor von „Kennedys rechte Hand: McGeorge Bundys Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik 1961-63“ (Zürich, 1999).
Christian Nünlist ist Autor ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Security Studies der ETH Zürich. Er ist Autor von „Kennedys rechte Hand: McGeorge Bundys Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik 1961-63“ (Zürich, 1999).

© promo

1963 gelang Kennedy das Kunststück, vergessen zu machen, dass er zwei Jahre zuvor auf den Mauerbau nicht reagiert hatte. „Eine Mauer ist verdammt viel besser als ein Krieg“, soll er gesagt haben. Als sein Militärkommandant Lucius Clay die Mauer mit Bulldozern und Panzern niederreißen wollte, pfiff Kennedy ihn zurück. Bereits in seiner Berlin-Rede im Juli 1961 hatte er stets nur von West-Berlin gesprochen und Chruschtschow damit grünes Licht für Aktionen in Ost-Berlin gegeben, solange die westlichen Zugangsrechte nach West-Berlin unangetastet blieben.

Kennedy war kein Berliner – er war ein West-Berliner. Er liebte die „abscheuliche“ Mauer nicht, aber er tolerierte sie.

Christian Nünlist

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