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Würdigung: Kardinal Lehmann über Bischof Huber: Konflikt und Konsens

Wolfgang Huber ist ein Seelsorger und Erneuer der Kirche. Eine Würdigung des scheidenden EKD-Ratsvorsitzenden durch Karl Kardinal Lehmann.

Ein Bischof fällt in keiner Kirche einfach vom Himmel. Man kann das Amt aber auch nicht durch eine Ausbildung zielsicher anstreben. Andere in der Kirche sind der Meinung, der Betreffende könne diesen Dienst übernehmen, er habe dafür günstige Voraussetzungen. Bischöfe kommen in unseren Kirchen aus sehr unterschiedlichen Berufsfeldern. Vorher waren sie Gemeindepfarrer, Religionslehrer, Caritas- beziehungsweise Diakoniebeauftragte, Verwaltungsleiter, wissenschaftliche Theologen usw. Dies macht auch den Reiz von Bischofskonferenzen und ähnlichen Gremien aus, dass die Bischöfe aus sehr verschiedenen Erfahrungsfeldern etwas zum Weg der Kirche durch die Zeit beisteuern können.

So ist es auch bei Bischof Wolfgang Huber, dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, der in den kommenden Tagen seine kirchlichen Aufgaben an andere weitergibt. Er ist in Straßburg 1942, also mitten im Krieg, geboren und in Falkau/Hochschwarzwald sowie in Freiburg aufgewachsen. Dies merkt man ihm bis heute an: Er ist naturverbunden und zugleich städtisch orientiert, er ist ein deutscher Patriot und zugleich immer über unsere Grenzen hinaus aufmerksam, er ist mit Leib und Seele evangelischer Christ, kennt aber auch von Kindsbeinen an die katholische Kirche und andere christliche Gemeinschaften. So bringt er eine breite Lebenserfahrung mit. Er hat früh seine Frau Kara geheiratet. Die Familie hat drei erwachsene Kinder.

Wolfgang Huber hat in den damals wohl bedeutendsten evangelischen Fakultäten Theologie studiert, nämlich von 1960 bis 1966 in Heidelberg, Göttingen und Tübingen. Dort haben ihn große Lehrer geprägt, vor allem der leider früh verstorbene Sozialethiker Heinz Eduard Tödt. In Tübingen promovierte Wolfgang Huber mit einer historischen Arbeit zur Osterfeier der alten Kirche (Passa und Ostern, 1969), in der er zeigte, dass er methodisch streng zu arbeiten versteht. Von 1966 bis 1968 war er in Württemberg Vikar und Pfarrer. Auch wenn diese Zeit kurz war, so blieb Wolfgang Huber als Theologe und in seinen späteren kirchlichen Aufgaben stets auf das Leben in den christlichen Gemeinden bezogen. Aber vielen, auch den kirchlich Verantwortlichen, blieb seine Begabung nicht verborgen. Er sollte in die wissenschaftliche Laufbahn gehen.

Wolfgang Huber kam nun 1968, dem Jahr der weltweiten Studentenunruhen, als Mitarbeiter und bald stellvertretender Leiter in die bekannte Forschungsstelle der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) nach Heidelberg. Dort sollte er für zwölf Jahre Heimat finden. Der Aufenthalt in Heidelberg hat ihn in der ganzen Ausrichtung nachhaltig bestimmt. In der FEST lernte er zahlreiche Wissenschaftler anderer Disziplinen kennen, sodass er auch später immer einen wachen Blick und eine hohe Aufmerksamkeit für andere Disziplinen hatte. Den Studierenden jener Jahre wollte er ein durchaus kritischer Begleiter sein. Er verstand sich in den schwierigen Umbruchsjahren dieser Zeit als Reformer, nie als Revolutionär. Er machte dort die grundlegende Erfahrung, dass man sich als Theologe sowohl im Blick auf die Kirche als auch die Wissenschaft nicht in den elfenbeinernen Turm zurückziehen darf. So wurde Wolfgang Huber im Blick auf die Zeichen der Zeit und die gesellschaftlichen Bewegungen sehr sensibel. Er stellte sich der Unvermeidlichkeit einer politischen Stellungnahme. Dies hatte später zur Folge, dass er sich der SPD annäherte und eine Zeitlang auch bereit war, im Parlament konkrete Verantwortung zu übernehmen.

In diesem Zusammenhang fand er auch zum Deutschen Evangelischen Kirchentag, wo er bald in das Präsidium kam und später für einige Zeit Präsident war (1983 bis 1985). In gewisser Weise war dieses stark von Laien getragene Forum eine reformerische Bewegung in der Kirche, der er immer verbunden blieb. Hier hat Wolfgang Huber über viele Jahrzehnte wichtige Weggefährten gefunden, zum Beispiel Richard von Weizsäcker.

In diesen zwölf Heidelberger Jahren konnte Wolfgang Huber neben vielen anderen Veröffentlichungen zwei große Bücher vollenden, zunächst die 1972 abgeschlossene und 1973 veröffentlichte Habilitationsschrift „Kirche und Öffentlichkeit“. Eine Hauptfrucht der Heidelberger Jahre ist die große Abhandlung „Gerechtigkeit und Recht. Grundlinien christlicher Rechtsethik“, die erst viel später im Jahr 1996 erscheint. Auch hier greift Wolfgang Huber mitten hinein in ein zentrales, aber auch von der Theologie gemiedenes Thema: Das Recht durchdringt unser ganzen Leben. Die Beziehungslosigkeit zwischen Ethik und Recht darf nicht länger bestehen bleiben. Der Bogen reicht bis zur Frage nach dem Recht auch in der Kirche und nach dem Staat-Kirche-Verhältnis. Damit fundiert Wolfgang Huber zugleich die Grundgestalt der Sozialethik.

In der Tat übernahm der immer noch junge Gelehrte eine Professur für Sozialethik an der Universität Marburg, wo er von 1980 bis 1984 lehrte. Dort hat er viele Pastorinnen und Pastoren, besonders der hessischen Kirchen, bis heute geprägt, wie ich selbst aus manchen Gesprächen weiß. Danach entschließt er sich zu einem Ruf an „seine“ Universität in Heidelberg, wo er nun von 1984 bis 1994 systematische Theologie mit dem Schwerpunkt der Sozialethik lehren sollte. Drei Bücher sind für diese Epoche kennzeichnend: der etwas kämpferische Sammelband grundlegender Aufsätze „Protestantismus und Protest“ (1987); das von Wolfgang Huber herausgegebene Diskussionsforum „Protestanten in der Demokratie“ (1990) und die eigenen Studien zur Ethik der Verantwortung aus diesen Jahren „Konflikt und Konsens“ (1990). Es tritt noch stärker die Friedensfrage in den Vordergrund (vgl. seine „Friedensethik“, zusammen mit Hans Richard Reuter 1990). Schließlich konzentriert Wolfgang Huber sein theologisches Bemühen immer stärker auf das Gespräch mit Karl Barth und vor allem mit Dietrich Bonhoeffer. Gerade bei ihm findet er vieles, was sonst auseinanderfällt: Frömmigkeit und Theologie, Loyalität und kritische Haltung zur Kirche, die Eigenständigkeit des Evangeliums und der Wille zur politischen Gestaltung, Mitverantwortung und Widerstand. So ist es nicht erstaunlich, dass Wolfgang Huber trotz der wachsenden Bürde seiner kirchlichen Ämter zum Mitherausgeber der Werke Dietrich Bonhoeffers wird.

Als Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin/Brandenburg und später der Schlesischen Oberlausitz spürt Wolfgang Huber in den ersten Jahren ganz besonders das Glück und die Last der wiedergewonnenen deutschen Einheit. Er macht nicht viel Aufhebens von dieser Kärrnerarbeit jener Jahre, in der nach dem Fall der Mauer die Kirche und in ihr die Menschen aus Ost und West neu zusammenkommen müssen. Es versteht sich fast von selbst, dass er aufgrund seiner geistigen Formung und seines bisherigen Weges für dieses Zusammenführen eine besondere Sensibilität mitbringt. Hier setzt er vieles fort, was sein Vorgänger Martin Kruse über 17 Jahre vorbereitete.

Es ist erstaunlich, wie der wissenschaftliche Theologe und der ehemalige Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags nun in die Rolle des Bischofs hineinfindet. Viele haben ihm diesen einschneidenden Wechsel nicht zugetraut. Sie verkannten aber seine tiefe kirchliche Berufung zu einer breit gefächerten Dienstbereitschaft. Es ist selbstverständlich, dass Wolfgang Huber in die Gestaltung des bischöflichen Dienstes seine Einsichten und Erfahrungen aus gut drei Jahrzehnten mitnimmt; er wird den Anforderungen an einen Bischof, wie sie von der Kirche an ihn gerichtet werden, in außerordentlicher Weise gerecht. Wolfgang Huber ist eben auch ein seelsorglich eingestellter Bischof, freilich immer verbunden mit der Erneuerung der Kirche. So kann er später sagen, er sei in dieser Zeit frömmer geworden. Sein letztes, erfolgreiches Buch „Der christliche Glaube. Eine evangelische Orientierung“ (2008) gibt davon beredtes Zeugnis. Er ist aber auch „politisch“ geblieben, wie sein früherer Kampf um das Kirchenasyl und in der Friedensbewegung, sein letzter Kampf um den schulischen Religionsunterricht und die Sonntagsruhe in Berlin/Brandenburg zeigen. Überhaupt hat ihn das Amt verständnisvoller und zugleich entschiedener gemacht (vgl. „Position beziehen. Das Ende der Beliebigkeit“, 2007). In diesen Zusammenhang gehört auch der überzeugt-überzeugende und mitreißende Prediger Wolfgang Huber, der nun sein Kommunikationstalent in dieser klassischen Form der Glaubensvermittlung voll einsetzen kann.

So ist es insgesamt nicht verwunderlich, dass die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland im Jahr 2003 den Bischof von Berlin/Brandenburg zum Vorsitzenden des Rates wählte. In diesem Amt konnte Wolfgang Huber alle seine genannten Eigenschaften in besonderer Weise für die ganze evangelische Gemeinschaft in Deutschland entfalten. Zehn Jahre Tätigkeit in Berlin und Brandenburg haben ihm als Bischof eine große Erfahrung mitgegeben. Die Bundeshauptstadt erwies sich für seine Kommunikationskraft als ein sehr geeignetes Forum.

Ich möchte hier ganz besonders auf die ökumenische Ausrichtung Wolfgang Hubers eingehen, zumal wir beide in dieser Zeit auf lange Jahre gemeinsamen Wirkens zurückblicken dürfen. Wie schon erwähnt, war Wolfgang Huber auf seinen verschiedenen Tätigkeitsfeldern die ökumenische Situation in unserem Land bewusst. Er hat schon früh Kenntnisse über andere Kirchen erworben im ökumenischen Rat der Kirchen. Schon bevor er Ratsvorsitzender wurde, hat er mit dem früheren katholischen Ökumene-Bischof Paul-Werner Scheele aus Würzburg den „Kontaktgesprächskreis“ geleitet: ein evangelisch-katholisches Spitzengremium, das sich zweimal im Jahr gegenseitig informiert, Vereinbarungen trifft und auch entstandene Konflikte bespricht und zu lösen versucht. Darin hat Wolfgang Huber auch nach 2003 bis zum heutigen Tag mitgewirkt. In meiner eigenen Verantwortungszeit als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz habe ich – ich darf es heute so sagen – mit ihm fruchtbar und wohl auch zugunsten des christlichen Glaubens in unserem Lande zusammengearbeitet. Wir hatten viele gemeinsame Auftritte auf allen Feldern der Öffentlichkeit, seien es Katholikentage, evangelische Kirchentage oder auch der Ökumenische Kirchentag 2003 in Berlin. In Hamburg, Stuttgart, Berlin und Mainz traten wir gemeinsam an Universitäten auf, besonders zu Themen wie schulischer Religionsunterricht, Globalisierung und multikulturelle Gesellschaft, Vernunft und Glauben, interreligiöser Dialog. Die „Woche für das Leben“ haben wir über die ganze Zeit gemeinsam bestritten, auch wenn es in Einzelheiten der Bioethik in den letzten Jahren kleine Risse gab.

Diese Gemeinsamkeit litt auch keinen grundsätzlichen Schaden, als Wolfgang Huber, besonders ab 2005 eine „Ökumene der Profile“ zuspitzte. Ich stimme ihr zu, wenn es darum geht, in der wachsenden Gemeinsamkeit ökumenischer Bekundungen die jeweils eigene Stärke der verschiedenen Konfessionen nicht verkümmern zu lassen und auf einen dünnen abstrakten gemeinsamen Nenner herunterzufahren. Ich hatte und habe aber gewisse Bedenken, wie diese Identitätsverstärkung geschehen kann ohne eine Wiederbelebung klassischer Abgrenzungen zwischen den Kirchen, und sei es nur als Missverständnis und falsches Echo solcher Bemühungen. Ich bin überzeugt, dass wir dies vermeiden können, auch wenn es immer wieder Pannen und Störungen gibt, wie die letzten Wochen gezeigt haben. Es gibt keine Alternative zu einem immer größeren Gewinn von Gemeinsamkeit, auch im Sinne eines gemeinsamen öffentlichen Zeugnisses des christlichen Glaubens in Politik und Gesellschaft. Wir konnten gerade in diesem Bereich viele gemeinsame Texte und Zeugnisse verabschieden.

Ich danke Bischof Wolfgang Huber am Ende einer längeren gemeinsamen Wegstrecke bei diesem Bemühen und wünsche ihm und seiner Familie für die Zeit des bevorstehenden Ruhestandes Gottes Segen. Ich bin überzeugt, dass seine unabhängige Stimme uns auch in Zukunft nicht fehlen wird.

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