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Arabienpolitik: Den Wandel in Bewegung halten

Die Arabienpolitik des Westens darf realistisch und idealistisch zugleich sein. Den betroffenen Menschen nützt es am meisten, beide Strategien parallel zu verfolgen.

Rascher Zeitsprung in den Sommer 2013, zwei Jahre nach Obamas viel beachteter Rede an die arabische Welt vom 19. Mai 2011. Ägypten kommt nicht zur Ruhe; trotz Wirtschaftshilfe der USA und der EU gibt es nicht genug Jobs für das Heer arbeitsloser junger Männer. Der Jemen ist im Bürgerkrieg. In Syrien hat Assad seine Herrschaft blutig verteidigt, in Saudi-Arabien und Bahrain regieren die Königshäuser. Es gibt weiter keinen Friedensvertrag zwischen Israelis und Palästinensern. Über Obama urteilt man, er habe 2011 eine sympathische und eindrucksvolle Rede gehalten. Nur habe sie wenig geändert an der Realpolitik der USA in Arabien und dem Nahen Osten.

Zurück in die Gegenwart: Bevor Obama gestern ans Rednerpult in Washington trat, war auf ganz ähnliche Weise der Jubel über seine Rede an die Muslime vom 4. Juni 2009 verhallt. Damals sprach er in Kairo, zitierte aus dem Koran, sagte Unterstützung für Demokratie, Religionsfreiheit, Frauenrechte und den Kampf gegen Despoten zu. Anfangs lobten viele, er habe den richtigen Ton getroffen und den Dialog nach dem Irakkrieg und einer Zeit des Stillstands im Nahostfriedensprozess neu eröffnet. Und doch standen die USA ziemlich ratlos da, als zwei Jahre später, 2011, Massenproteste in Arabien von Land zu Land sprangen.

Solche Reden sind verführerisch und zugleich irreführend. Sie erwecken den Eindruck, als hänge es in erster Linie von Amerika und Europa ab, ob die Freiheitsbewegungen Erfolg haben. Es verhält sich genau umgekehrt. Der Einfluss des Westens ist begrenzt. Der Erfolg oder Misserfolg des Aufbegehrens entscheidet sich in den Ländern selbst. Die USA und Europa stehen vor einer von vornherein widersprüchlichen Aufgabe: Sie müssen tun, was ihnen möglich ist, um Freiheit und Modernisierung zu unterstützen, und sich zugleich darauf vorbereiten, dass die Despoten nicht gleich im ersten Anlauf stürzen. Wie soll das harmonisch zusammengehen: ein Arbeitsverhältnis zu Regimen aufrechtzuerhalten, die man gleichzeitig fallen sehen möchte?

Obama leugnet diesen Widerspruch nicht. Er baute ein Lob für Europa in seine Rede ein. Die Revolutionen von 1989 siegten, und ebenso gelang die anschließende friedliche Stabilisierung durch Wirtschaftshilfe und politische Integration.

Arabien 2011 gleicht nicht Europa 1989. Eher sollte man an die vergeblichen Aufstände denken, an Ostberlin 1953, an Budapest 1956, an Prag 1968 und an Polens Solidarnosc 1980. Erst Jahre oder Jahrzehnte später triumphierte die Freiheit. Auch die Erfahrungen der langwierigen Entspannungspolitik halten eine Lehre bereit: Es ist falsch, den Widerspruch zwischen Idealismus und Realpolitik zu betonen. Den betroffenen Menschen nützt es am meisten, beide Strategien parallel zu verfolgen. Der Westen soll die Grundrechte der Araber einfordern, als könne morgen die Revolution siegen. Und gegenüber reformwilligen Regimen auf Wandel durch Kooperation und Wirtschaftshilfe setzen, als dauere es noch eine Generation.

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