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Erleichterte gegen Empörte: Der Fall Guttenberg hat die Gesellschaft gespalten

Der Fall Guttenberg polarisiert quer durch alle Bevölkerungsschichten. Dieses Desaster wird sich nicht durch Routine beseitigen lassen. Speziell das Verhalten Merkels hat großen Schaden angerichtet.

Nur schnell weiter! Am Tag, nachdem der Held ihres Kabinetts das Feld räumen muss, hat Angela Merkel natürlich einen Plan B, einen guten sogar. Fast muss man Thomas de Maizière für die Vorschusslorbeeren bedauern, mit denen er ein Amt antritt, in dem Enttäuschungen unvermeidlich sind. Hans-Peter Friedrich gibt sofort den kantigen Mann der CSU. Er wird die Kritiker seiner lslam-Bemerkung bald damit irritieren, dass er auch andere Seiten zeigt. Die Routine des politischen Betriebs, lautet die Botschaft, ist unter dieser Bundeskanzlerin durch nichts zu erschüttern. Merkel macht Ernst mit dem „Durchregieren“, das sie einmal für ihre Kanzlerschaft angekündigt hat.

Damals klang das Wort ihren politischen Gegnern hart im Ohr. Kühl, ja brutal, muss dieser Übergang zum „business as usual“ heute von vielen empfunden werden, die in Guttenberg Hoffnungen gesetzt haben, jenen vermeintlich „grauen Mäusen“ in CDU und CSU. Sie gelten in der KT-Fangemeinde und „Bild“ als verantwortlich für seinen Rücktritt, obwohl doch gerade sie bereit waren, für diesen Minister beide Augen zuzudrücken. Kälter als die Kanzlerin konnte man Guttenberg kaum hinterherrufen, dass in der Politik jeder ersetzbar ist, und zwar sofort.

Der Ex-Verteidigungsminister wiederum macht eine generöse Abschiedsgeste. „Bild“ weiß zuerst, dass er seine Übergangsgelder den Familien der gefallenen Soldaten spenden wird. Hier will er sich noch einmal zeigen, der Solitär, der nicht von der Politik, sondern für sie lebt und deshalb zum strahlenden Gegenbild der eigennützigen Durchschnittspolitiker aufsteigen konnte.

Der Fall Guttenberg lässt Politik unter die Haut gehen. Mit Merkel-Routine sind seine Hinterlassenschaften nicht zu beseitigen. Die C-Parteien plagt ein doppelter moralischer Kater, vom Augenzudrücken und vom Hoffnungsverlust. Zu besichtigen ist eine heftige Polarisierung quer durch alle Bevölkerungsschichten. Wer Guttenberg ohnehin für einen Blender gehalten oder sich von einem getäuscht sieht, der sich Ehrlichkeit und Anstand in besonderem Maß zugeschrieben hatte, empfindet nach seinem Rücktritt Erleichterung. Es geht eben doch nicht alles durch in diesem Land, nur weil einer beliebt, reich und mächtig ist.

Wer wiederum in Guttenberg den Politikertyp sieht, der Leidenschaft und Volksverbundenheit verkörpert, ist hell empört, weil Taktik und elitäre Eliten eine Lichtgestalt demontiert haben, einen Hoffnungsträger, der zwar gefehlt hat, aber doch nicht mehr, als diese Eliten es selbst tun. Bei der Facebook-Gemeinde „Wir wollen Guttenberg zurück“ ist dieses Argumentationsmuster massenhaft nachzulesen.

Es ist eine von Pauschalurteilen und Ressentiments befeuerte Kontroverse, ähnlich wie die um die Sarrazin-Thesen. Sie lässt wenig Raum jenseits eines Entweder-Oder, das ständig die Frage stellt: Für uns oder gegen uns? Die Wirklichkeit ist, wie immer, komplizierter. Exemplarisch dafür ist die Sicht auf den Aufstand aus der Welt der Wissenschaft. Er gilt in beiden Lagern als ausschlaggebend dafür, dass Guttenberg gehen musste. Ganz und gar kontrovers fällt hingegen das Urteil über die Legitimität dieses Aufstands aus. Wer, fragt die Gemeinde der Empörten, hat Guttenberg das „Summa cum laude“ denn verliehen? Wird in diesen Kreisen nicht allenthalben abgeschrieben und hochgestapelt, wäscht dort nicht eine Hand die andere?

Die Wissenschaft, das weiß man auch im Lager der Erleichterten, hat sich lange vor dieser Affäre kompromittiert. Die Leichtigkeit, mit der die Empörten den Diebstahl geistigen Eigentums und als lässliche Sünde beiseiteschieben, kann sich darauf berufen, dass Wissenschaftler auf der Jagd nach Drittmitteln, Exzellenz und medialer Aufmerksamkeit eben jene Werte fahrlässig behandelt haben, die nun gegen Guttenberg reklamiert werden. Wer sie ernst nimmt, hat nach der Plagiatsaffäre Grund, vor der eigenen Tür zu kehren.

Die Polarisierung um den blendenden Guttenberg hat einen anderen Charakter als die um Westbindung, Nato-Raketen oder Atomkraft. Verhandelt werden nicht soziale Interessen oder politische Weichenstellungen, sondern die moralische Verfassung von Politik, Medien, Wissenschaft, Volk. In der Schlachtordnung dieser Kontroverse ist die Wissenschaft als Kollektiv aufgestellt, das sie tatsächlich ebenso wenig ist wie die Politik, das Volk oder das Internet. Durchweg pauschal wird behandelt, was nicht nur nach den Ansprüchen, sondern auch in der Wirklichkeit unserer offenen Gesellschaft plural, widersprüchlich und veränderbar sein muss.

Schon das zeigt eine irritierende, ja beängstigende mentale und psychische Konstitution des Landes. Kollektiv ist nur die Kapitulation vor der komplizierten Frage, wie viel Lüge, Blendwerk und Betrug dem Einzelnen erlaubt sind in einer Zeit, die dem schönen Schein überall mehr Erfolg verspricht als dem anstrengenden Sein. Und ist die Neigung, sich mit diesem Zeitgeist zu arrangieren, bei den professionellen Akteuren in Öffentlichkeit und Politik womöglich noch größer als in der Bevölkerung?

Guttenbergs Popularität vor der Plagiatsaffäre ist unbestreitbar. Die Frage, worauf sie beruht, ist nach seinem Rücktritt nicht unwichtiger geworden. Viele Menschen bestaunen den Glamour, den er in die Welt der staubtrockenen Politik getragen hat, für die wie niemand sonst die nüchterne Merkel steht. Glamour, warum denn nicht, wenn Substanz dahintersteht? Willy Brandt war der Erste in diesem Land, der seinen Berater in die USA geschickt hat, um die Künste medialer Inszenierung zu studieren, und der sie angewandt hat, als er sich mit seiner attraktiven Frau im offenen Wagen präsentierte.

Warum beeindruckt ein Politiker derartig, der Reichtum und Ruhm nicht dem bürgerlichen Leistungsideal, sondern dessen Gegenteil, nämlich Herkunft und Erbe, verdankt? Die Sehnsucht nach starken Figuren, nach dem monarchischen Element, das über dem Auf und Ab des demokratischen Wechsels steht, ist für Guttenbergs steilen Aufstieg eine treffende, aber zu banale Erklärung. Solche Gefühle gibt es in Demokratien zwangsläufig, denn ihr Spitzenpersonal ist immer umstritten.

Die Suche nach den Werten der Bürgergesellschaft in einem Milieu, das den anstrengenden Weg dieser Bürger nicht gehen muss, wirft ein trübes Licht auf den Glauben an wichtige Versprechen der Demokratie. Aufstieg? Durchlässigkeit? Guttenbergs Popularität ist ein vernichtendes Urteil über die bürgerlichen Leistungseliten. Wer oben angekommen ist, hat das Vertrauen der normalen Menschen offenbar auf seinem Weg dahin verspielt. Politik verschleißt Charakter und Glaubwürdigkeit der Politiker, die Jagd auf die Rendite das Verantwortungsgefühl der Banker, und die Medien sitzen eher mit den Mächtigen auf einem Sofa, als ihnen auf die Finger zu sehen. Was sie nicht hindert, die Rolle des kollektiven Über-Ichs zu beanspruchen, das über alle Gruppen der Gesellschaft urteilt.

Es ist traurig, wie sich nach nur zwei Jahren gigantischer Erwartungen der gefallene Guttenberg und weite Teile der Bevölkerung gegenüberstehen wie betrogene Betrüger. Der Sprössling aus dem guten Haus hat mit einer Dissertation und in der Politik ja finden wollen, was adlige Herkunft nicht liefern kann: das Selbstwertgefühl, das aus der eigenen Leistung wächst.

Der Wunsch, diesen Doktor unbedingt zu machen, zieht sich als einziger glaubhafter Faden durch seine uneinsichtigen Fehlerbekenntnisse. Sein Familienhintergrund, vor der Plagiatsaffäre ein beinah unhinterfragter Garant moralischen Anstands, zeigt in ihrem Licht auf einmal Fragwürdigkeiten, die Antrieb für Betrug und Selbstbetrug des Doktoranden Karl-Theodor gewesen sein können. Seine Eltern haben jung geheiratet. Ihre Ehe wird nach sechs Jahren geschieden und, wie Eckart Lohse und Markus Wehner in ihrer Guttenberg-Biografie schreiben, ein Jahr später zudem annulliert.

Als nicht vollzogen kann diese Ehe angesichts vorhandener Kinder nicht durchgehen. Die Eltern reklamieren eine Zwangslage. Ihre Ehe sei arrangiert, weil man sie dem todkranken Oberhaupt der Familie Guttenberg nicht abschlagen konnte. So können Vater und Mutter das Sakrament der unauflöslichen katholischen Ehe nicht nur ein, sondern zwei Mal empfangen.

Es war ein Machtkampf mit dem Vatikan, als Heinrich der Achte im 16. Jahrhundert die Annullierung seiner ersten Ehe wollte, eine Zäsur im Kampf zwischen kirchlicher und geistlicher Macht. 1978 ist der Vorgang nur noch ein läppischer Anachronismus, dessen Verlogenheit auf die Beteiligten allerdings wirken muss. Ein Vater, der kraft seines Einflusses und Namens auf dem Papier eine Ehe annullieren lässt, müsste einem Sohn vielleicht verzeihen, der es beim Erwerb des bürgerlichen Doktortitels nicht ganz genau nimmt.

Doch Öffentlichkeit, Parteien, Journalisten, Abgeordnete, Regierungsmitglieder können Guttenbergs Plagiate nicht in die Sphäre des Privaten abschieben. Der Mächtige in der Demokratie muss wissen, dass über ihm Recht, Gesetz und Regeln stehen. Guttenberg aber hat einen schweren Regelverstoß begangen, nicht irgendwann in seiner Jugend, sondern in seiner Zeit als Abgeordneter.

Doktor muss man doch nicht sein, um ein guter Minister zu werden, hat Merkel gesagt, als es noch möglich schien, die Popularität des Verteidigungsministers für die Wahlkämpfe dieses Jahres zu retten. Ihr schlauer Bluff hat die Kräfte erst auf den Plan gerufen, die eine Woche später den Sturz des Ministers besiegelt haben. Es waren die Wahrheitsliebe, der Erkenntnisehrgeiz der Internet-Aktivisten von GuttenPlag, die den Umfang der Plagiate belegt und nachgewiesen haben. Es waren Wissenschaftler, die hartnäckig reklamiert haben, dass Lug und Trug in ihrer Welt nicht ohne Folge sein können für politische Ämter. Einige Mitglieder der CDU haben erkannt, dass Merkels moralisches Angebot, den demokratischen Politiker zweizuteilen wie den mittelalterlichen Körper des Königs, dem Werteverständnis ihrer Partei fundamental widerspricht.

Fotos und Fernsehbilder dokumentieren aber, dass keineswegs nur edles Streben Guttenberg zu Fall gebracht hat. Wir sehen Frau Merkel auf der Cebit in Hannover, sie liest die SMS, mit der Guttenberg seinen Rücktritt mitteilt. Sie reicht das Handy ihrer Vertrauten Annette Schavan, der Bildungsministerin, die am Vortag in einem Zeitungsinterview mitgeteilt hat, dass sie sich über Guttenbergs Fehler nicht nur heimlich schämt. Dann sehen die beiden sich an. Sie sind nicht überrascht. Auf ihren Gesichtern liegt die verstohlene Freude über eine gelungene Operation. Die über das Schavan-Interview vermittelte Botschaft Merkels ist bei Guttenberg angekommen. Er musste gehen, um seiner Entlassung zuvorzukommen. Merkel, die vor ihrer Partei für seinen Sturz nicht verantwortlich sein wollte, lobt wenig später den gefallenen Engel und betont mehrfach, dass der Rücktritt seine eigene Entscheidung war.

Es gehört zur Bilanz des Falls von Guttenberg, dass Merkels Streich die Märtyrerlegenden befeuert, die Guttenberg in seiner Rücktrittsrede angelegt hat. Im Lager der Empörten werden wahlweise die Medien, graue Mäuse, rot-grün-linke Verschwörungen für seinen Absturz verantwortlich gemacht. Wahr daran ist, dass nicht nur Anstand, sondern auch kalte Taktik Guttenberg aus dem Amt getrieben haben.

Zwischen den Erleichterten und den Empörten scheint es keinen gemeinsamen Maßstab, keine vermittelnde Sprache für die Kontroverse über die Moral von dieser Geschichte zu geben. Doch in beiden Lagern finden sehr, sehr viele Menschen, dass es mit Tricksereien, mit Unehrlichkeit und Selbstsucht schon viel zu weit gekommen ist. Die einen leiten daraus ab, dass in einer Welt, in der allenthalben betrogen wird, ruhig ein wenig schummeln darf, wer neuen Stil verspricht. Die anderen setzen Hoffnung darauf, dass Guttenbergs Fall endlich einmal Grenzen setzt.

Machtzyniker können beide Motive für ihre Zwecke nutzen. Das darf die Anständigen nicht hindern, das Bessere zu verlangen, in der Politik, der Wissenschaft, im Volk.

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