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Sebastian Edathy muss sich schweren Vorwürfen stellen.

© dpa

Der monströse Fall Sebastian Edathy: Immer größere Kreise

Es ist kaum zu fassen, was da passiert ist und immer noch weiter passiert. Zeigt der Fall Sebastian Edathy das Staatsverständnis der großen Koalition? Dann ist Misstrauen berechtigt. Sie haben sich nicht unter Kontrolle.

Wenn der Umgang mit dem Fall Edathy einen Hinweis auf das Staatsverständnis der großen Koalition gibt, dann ist es nach nicht einmal hundert Tagen des Regierens Zeit für ein bitteres Resümee: Hier ist jedes Misstrauen berechtigt, war es von Anfang an und wird es auch bleiben. Es ist kaum zu fassen, was da passiert ist und immer noch weiter passiert.

Herbst 2013. Der CSU-Bundesinnenminister Friedrich erfährt von seinem Staatssekretär, dass ein SPD-Abgeordneter bei internationalen Ermittlungen auf einer Namensliste aufgetaucht ist. Friedrich wird von Amts wegen informiert, aber er hat das Dienstgeheimnis zu wahren. Möglicherweise stehen Ermittlungen bevor, die Staatsanwaltschaft könnte Beweismaterial suchen, ein Verdächtigter es verschwinden lassen.

Er läuft zu seinem neuen Koalitionskumpel Gabriel und erzählt’s ihm einfach mal

Doch was macht er, der Verfassungsminister? Er läuft zu seinem neuen Koalitionskumpel Gabriel, dem Parteivorsitzenden der SPD, und erzählt’s ihm einfach mal, vielleicht, weil er Vertrauen aufbauen will, vielleicht, weil er sich wichtig machen will, vielleicht aus Naivität – ganz egal warum, es ist bestürzend.

Was soll Gabriel mit so einer Information machen? Gabriel informiert den SPD-Fraktionsvorsitzenden Steinmeier und den parlamentarischen Geschäftsführer Oppermann, der informiert später seine Nachfolgerin Lambrecht, bald weiß es die halbe SPD, mindestens die: Der geschwätzige Friedrich, heute Landwirtschaftsminister, hat es Gabriel erzählt, nicht aber dem eigenen Parteivorsitzenden Seehofer oder dem Kanzleramtsminister Pofalla? Wer’s glaubt.

Unter uns Genossen. Auch da bleibt's geheim!

Wäre die Geschichte hier zu Ende, sie wäre skandalös. Doch sie geht noch weiter, und das macht sie monströs. Oppermann ruft, um sich die Sache bestätigen zu lassen, bei BKA-Chef Ziercke an, den das zwar nichts angeht, weil die Behörde in solchen Fällen selbst gar nicht ermittelt. Aber bitte, warum denn nicht, Herr Fraktionsgeschäftsführer, unter uns Genossen kann ich’s ja sagen – stimmt! Ist aber geheim. Klar. War’s so, so oder so ähnlich?

Oppermann sagt Ja, Ziercke sagt Nein, sicher ist in jedem Fall: Es wurde in dieser Sache zwischen den beiden telefoniert, amtsanmaßend, zumindest, was Oppermann betrifft. Es wird wohl das Beste sein, der Bundestagspräsident fordert zur Klärung von der NSA das Gesprächsprotokoll an.

Das war’s? Noch lange nicht. Ein paar Wochen später meldet sich der seit einiger Zeit schwer angeschlagen wirkende Abgeordnete Edathy plötzlich krank. Erst kurz danach wird seine Immunität aufgehoben. Und noch ein paar Tage später eröffnet die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren, durchsucht Wohnung und Büro.

Pssst - aber sag's nicht weiter

Sie findet: die Reste einer zerstörten Festplatte. Wundert’s wen, nach dem langen Vorlauf, nach dieser allumfassenden Sag’s-nicht-weiter-Kommunikation, die zwangsläufig auch Edathy erreichte? Oppermann aber, Geheimagent ohne Lizenz, der doch so gerne selbst Minister des Innern geworden wäre, heuchelt der Öffentlichkeit den Überraschten vor und fährt zugleich die Staatsanwaltschaft an: Diese möge die Vorwürfe gefälligst klären, und zwar schnell, genau und umfassend. Dass er ebendiese Klärung mittelbar oder sogar unmittelbar behindert haben könnte, er und auch andere, verschweigt er da noch. Und die Mitwisser lassen ihn machen.

So leicht machen es sich einige in dieser allmächtigen Koalition, in eigener Sache dreie gerade sein zu lassen? Ja, so leicht jedenfalls, wie sie sich über die Rechtsstaatsdefizite anderer Länder erheben. Sie haben sich nicht unter Kontrolle.

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