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Das Logo der Piratenpartei.

© dpa

Kontrapunkt: Wem nützen die Piraten?

Sie kämpfen für Transparenz, Datenschutz, ein offenes Netz. "Geistiges Eigentum" lehnen sie ab. Darüber freuen sich viele, meint Malte Lehming – vor allem das Big Business.

Werte sind etwas Schönes. Sie zeugen von Unbestechlichkeit, einer Haltung, einem Charakter. Aber Werte lassen sich auch propagandistisch missbrauchen. Sehr leicht sogar. Einige denken dabei an George W. Bush, der die Demokratie in den Nahen Osten exportieren wollte. Andere an die FDP, die abstrakt von Freiheit spricht, aber konkret meist nur das Wohl von Apothekern und Hoteliers meint.

Deshalb tut man gut daran, wann immer große Reden geschwungen werden, sich die Fragen zu stellen: Wem nützt es? Wessen Lied wird da gesungen? In der vergangenen Woche ging es im Internet zu wie auf einem virtuellen Schlachtfeld. Aus Protest gegen zwei amerikanische Gesetzesinitiativen, die im Kampf für den Schutz des geistigen Eigentums und gegen illegale Raubkopien drastische Maßnahmen wie Netzsperrenvorsehen (Sopa und Pipa), ging die Online-Enzyklopädie Wikipedia einen Tag lang offline, andere Websites beteiligten sich.

Einen Tag später wurde mit „Megaupload“ eine der weltweit größten Tauschbörsen (Filehoster) von der US-Justiz abgeschaltet. Dem Unternehmen werden massive Verstöße gegen das Urheberrecht vorgeworfen. Das wiederum erzürnte einen Teil der Netzaktivisten – allen voran die Guerilla-Truppe Anonymous – dermaßen, dass sie durch Hacker-Attacken (die „New York Times“ spricht von „digital Molotov cocktails“) nicht nur die Online-Auftritte des US-Justizministeriums lahmlegten, sondern auch die der prominentesten Vertreter der US-Unterhaltungsindustrie, der„Motion Picture Association of America“, der „Recording Industry Association of America“ sowie der „Universal Music Group“.

Man kann fest davon ausgehen, dass das Kräftemessen zwischen den Piraten und den Copyright-Verteidigern an Intensität und Brutalität noch zunehmen wird. Denn es geht um Gewinne und Profite, um Millionen und Milliarden. Und weil beide Seiten auf Sieg setzen, haben sie den Nutzen der Moral für sich erkannt. In Demokratien gewinnt nämlich der, der die Macht über den öffentlichen Diskurs erringt. Fürs Geld fremder Leute streitet keiner, für ein höheres Ziel indes jeder gern. Und so kam es zum Bündnis aus neuer digitaler Industrie (Google, Yahoo!, YouTube, Facebook, Twitter, eBay, Mozilla Corporation, Roblox, Reddit) und jenen Netzaktivisten, die sich unter dem Label „Piraten“ inzwischen auch politisch organisiert haben.

Man könnte freilich eben so gut von einer unheiligen Allianz sprechen, in der die Piraten gewissermaßen in die Rolle „nützlicher Idioten“ (Lenin) geschlüpft sind. In ihrem etwas naiven Selbstverständnis setzen sie sich für ein offenes Netz ein, für Transparenz, Meinungsfreiheit, Bürgerrechte, Datenschutz, gegen Zensur und die „kulturelle Verwertungsindustrie“. Dass sie damit genau jenen Kräften in die Händearbeiten, die von einer Aufweichung geistiger Eigentumsrechte massiv profitieren – abgesehen von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken sind das vor allem auch Tauschbörsen wie „Megaupload“, „Rapidshare“, „Hotfile“ oder „Mediafire“ -, scheint sie nicht sonderlich zu interessieren.

Dabei dreht sich die Auseinandersetzung nicht allein, wie von interessierter Seite suggeriert, um Freiheit contra Zensur, Datenschutzcontra Überwachung, Transparenz contra Geheimhaltung, sondern um handfeste wirtschaftliche Interessen. Auf der einen Seite steht die traditionelle Unterhaltungsindustrie (Musik, Filme, Bücher), die sich auf Copyright und „geistiges Eigentum“ beruft und in den USA besonders stark vertreten ist (in der Musik- und Filmbranche ist das Land weiterhin weltweit führend, ebenso wie bei der Zahl der Patente), auf der anderen Seite stehen jene Hightech-Multis, die es frühzeitig verstanden haben, die neuen Internet-Gewohnheiten (von der Kommunikation bis zum Raubkopieren) zu kapitalisieren. Man sehe sich nur die Verlustzahlen der einen und die Profitzahlen der anderen Seite an, um die Dynamik und Härte der Auseinandersetzung zu verstehen.

Google hat 2010 einen Umsatz von 29,3 Milliarden US-Dollar und ist heute, nach Apple, die zweitteuerste Marke der Welt. Facebook hatte 2010 Jahreseinnahmen von zwei Milliarden US-Dollar. Und man stelle sich den feixenden und händereibenden „Megaupload“-Gründer Kim Dotcom, alias Kim Schmitz, in seiner 30-Millionen-Villa in der Nähe von Auckland vor, wie er sich vor seiner Verhaftung schlappgelacht hat über die ideologische Unterstützung seiner Tätigkeiten durch freiheitsliebende Internet-Aktivisten, für die „geistiges Eigentum“ lediglich ein„Kampfbegriff der Verwertungsindustrie“ ist. Die schwedische Webseite „The Pirate Bay“, deren Gründung einst vor allem durch Finanzspritzen des rechtsextremen Rassisten Carl Lundström möglich war und die trotzdem zur Namenspatronin der Piraten wurde, sagt es in ihrer jüngsten Presseerklärung vom 18. Januar 2012 ganzdeutlich.

Die Unterhaltungsindustrie produziere bloß überteuerte Plüschpuppen und treibe elfjährige Mädchen in die Magersucht, heißt es da. Mit Hollywood ließen sich alle Kulturen und Medien der Welt kontrollieren. Deshalb möge man sich – selbstverständlich im Namen der Meinungsfreiheit, der Gleichheit, der Öffentlichkeit und des Anti-Elitären -, auf die Seite von Wikipedia und Google schlagen. Der großen Rede hören wir wohl, allein die Fragen lauten: Wem nützt es? Wessen Lied wird da gesungen?

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