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Mindestlohn: Klassenkämpfer auf Staatskosten

Der Sachverständigenrat für Wirtschaft kritisiert den Mindestlohn. Die Wissenschaftler plädieren für eine Wirtschaftspolitik, die den ohnehin Privilegierten einen immer größeren Anteil des Volkseinkommens zuschanzt

Nun also sollen auch die Deutschen bekommen, was in anderen Industrieländern gang und gebe ist: den gesetzlichen Mindestlohn. Ja, dafür müssen die Sozialdemokraten bei Angela Merkel einmal mehr zu Kreuze kriechen. Aber es waren ja Gabriel, Steinmeier und Genossen, die vor neun Jahren die Arbeitspflicht für Empfänger von Arbeitslosenhilfe einführten, ohne eine Lohnuntergrenze festzulegen – eine Einladung zur Ausbeutung, wie sie nicht einmal hartleibige angelsächsische Neoliberale praktizieren. Insofern trägt die SPD nur eine historische Schuld ab.

Umso bemerkenswerter ist die Phalanx der Kämpfer für das Kapital, die das Vorhaben zu verhindern suchen. Dazu zählen nicht nur die üblichen Verdächtigen wie etwa Handelskammer-Präsident Eric Schweitzer, der zur Begründung auf die „niedrigen Arbeitskosten“ in China verweist, dessen Wirtschaftsordnung er wohl für erstrebenswert hält. Nicht weiter überraschend sind auch die Klagen der Bosse von Daimler, BMW und Volkswagen gegen Mindestlohn und Beschränkung von Leiharbeit und Werkverträgen. Schließlich gehören sie zu den führenden Profiteuren der Lohndrückerei.

Mehr Gewicht haben dagegen die Auslassungen des „Sachverständigenrates für Wirtschaft“ und ihres Vorsitzenden, des Ökonomieprofessors Christoph Schmidt. Immerhin sollen diese mit Steuergeld finanzierten Wirtschaftsweisen unabhängig von Partikularinteressen die Politik beraten. Doch ihr jüngstes Gutachten gleicht mehr einer Propagandaschrift. „Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik“ wenden sich die Großökonomen und wettern gegen alles, was der zunehmenden Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen entgegenwirken könnte. Höhere Steuersätze für Spitzenverdiener? Gar nicht gut, denn diese „senken die Arbeitsanreize“, gerade so, als ob Deutschlands Wirtschaftselite wegen ein paar Steuerprozenten ihre Arbeit niederlegen würde.

Die Vermögenssteuer wieder erheben, um einen Ausgleich zu schaffen zwischen öffentlicher Verschuldung und privatem Reichtum? Eine schlimme Idee, meinen die amtlichen Gutachter. Denn das drohe „die Standortattraktivität Deutschlands zu beschädigen“, obwohl es nicht um Unternehmen geht, sondern um jene vermögenden Mitbürger, die von ihrem Kapitaleinkommen leben und dafür weniger Steuern zahlen als jene, die noch arbeiten müssen. So wuchs allein das Vermögen der 500 reichsten Deutschen in den vergangenen drei Jahren um 16 Prozent auf satte 528 Milliarden Euro.

Vollends unseriös argumentieren die Staatsberater sodann gegen den Mindestlohn. Deutschlands Niedriglohnsektor ist so groß wie in keinem anderen westeuropäischen Industrieland. 4,1 Millionen regulär Beschäftigte bekommen weniger als 8,50 Euro pro Stunde, genauso wie weitere fünf Millionen Minijobber. Ihnen wird signalisiert, dass sie der übrigen Gesellschaft wenig wert sind, und viele erfahren das als fortwährende Demütigung.

Die staatlichen Gutachter besorgt aber nur, dass „gerade dieser hohe Anteil von Geringverdienern negative Beschäftigungseffekte eines Mindestlohns wahrscheinlicher“ mache. Im Klartext: Ein Mindestlohn ist umso schlechter, je mehr armen Schluckern er zugute käme. Dahinter steht das Dogma, Arbeitskraft sei eine Ware wie jede andere, deren Preis Angebot und Nachfrage folgt. Im wirklichen Leben aber geht es um Macht und Ohnmacht, vor allem dann, wenn der Anbieter um jeden Preis verkaufen muss, weil ihm die Arbeitsagentur sonst die Zuschüsse streicht, die er zum Überleben braucht.

Es gab bisher keine Jobverluste durch den Mindestlohn

Christoph Schmidt und seine Kollegen können auch gar nicht belegen, ob und wie viele Jobs durch einen Mindestlohn verloren gehen würden. Denn sowohl im Ausland als auch in den deutschen Branchen mit Mindestlöhnen gab es nach bisherigem Forschungsstand keine messbaren Jobverluste. Auch die Behauptung, die geplanten 8,50 Euro pro Stunde seien international „ein Spitzenplatz“, ist frei erfunden. Im Verhältnis zur allgemeinen Lohnstruktur liegt dieser Wert im Vergleich noch hinter der Slowakei und Irland.

So erweisen sich die vermeintlichen Sachverständigen als plumpe Klassenkämpfer für eine Wirtschaftspolitik, die den ohnehin Privilegierten einen immer größeren Anteil des Volkseinkommens zuschanzt. Das zu propagieren, ist ihr gutes Recht, aber doch bitte nicht mit unserem Geld. Immerhin kostet das Gremium 2,1 Millionen Euro pro Jahr. Die können wir uns sparen.

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