zum Hauptinhalt

Sparpaket: Neue soziale Ungleichheit

Das Sparpaket verstärkt die Ungleichheits-Effekte. Die schwarz-gelbe Bundesregierung stellt den Zusammenhalt der Koalition über den der Gesellschaft.

Höchste Alarmstufe, wenn Millionäre sich bei der Regierung beschweren müssen, dass sie zu wenig Steuern zahlen. Ach, endlich! Haben die Casinospieler von den Dachterrassen der globalisierten Welt doch längst ein Gespenst mitten in die Niederungen der reichen Gesellschaften getrieben. Es macht Menschen unglücklich und ganze Gesellschaften wehrlos. Sein Name: Neue soziale Ungleichheit.

Natürlich ist sie kein Produkt verschwörerischer Aktionen aus den Zentren des neuen Kapitalismus. Der hat gar keine lenkenden Köpfe; dafür wären, nebenbei bemerkt, die schneidigen Herren der Welt im Durchschnitt auch zu dumm. Nüchtern analysiert ist die neue Ungleichheit die gesellschaftliche Kehrseite einer rasanten Globalisierung, bei der die politischen Gestaltungen den ökonomischen und technologischen Veränderungen hilflos hinterherhinken. Weil, gewollt oder ungewollt, diese Entwicklung Kapital und Wirtschaft neu privilegiert, ist die alte Balance in den Wohlstandsdemokratien aus den Fugen geraten. Ergebnis: Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. Es entstehen unzählige feine Unterschiede und prekäre Lebenslagen.

Wachsende Ungleichheit hat viele unangenehme und eine besonders tückische Eigenschaft. Sie ist anstrengend, nicht nur für die Verlierer. Ärzte, Pfarrer und Personalchefs können ein Lied davon singen. Sie ist Neidproduzent, Feind des Leistungsprinzips, Krankmacher der Seele. Sie lügt, wenn sie Dynamik und Aufstieg verspricht. Tatsächlich legt die soziale Herkunft heute mehr fest als vor dreißig Jahren. Die Zugehörigkeit zum untersten Fünftel der Gesellschaft wird heute vererbt wie die zum obersten Fünftel. Vor allem schafft die wachsende Ungleichheit viele neue öffentliche Konkurrenzen. Die von Eltern um die besten Bildungschancen ihrer Kinder sind dafür exemplarisch. Weil wachsende Ungleichheit, oft hinter dem Rücken der Menschen, systematisch entsolidarisiert, schwächt sie die Gemeinschaftsfähigkeit der demokratischen Staaten. Und, paradoxe Gemeinheit, damit verstärkt sie die schiefen Verhältnisse zwischen Staat und Kapital, die sie erst hervorgebracht haben.

Wenn also neuerdings Millionäre und Führungskräfte des CDU-Wirtschaftsrats finden, dass die Gewichte zu ihren Lasten verschoben werden müssen, dann ist das ein ermutigender Moment. Umso mehr, als das Sparpaket der schwarz-gelben Koalition ein niederschmetternder Beweis für die Unempfindlichkeit des politischen Spitzenpersonals gegen die Verstörungen sind, die das Land seit geraumer Zeit heimsuchen.

Das Sparpaket verstärkt die Ungleichheits-Effekte. Es ist geradezu das Geständnis: Die schwarz-gelbe Bundesregierung hält diese gesellschaftliche Entwicklung, die doch das wichtigste Projekt jeder (christlich-sozialen-frei-) demokratischen Regierung sein müsste, für zweitrangig. Erstrangig ist für sie nicht der verlorene Zusammenhalt in Deutschland, sondern der in der Koalition. Die großen Vermögen dürfen nicht herangezogen werden, weil die FDP damit droht, Christian Wulff nicht zum nächsten Bundespräsidenten zu wählen.

Selten haben die Eigeninteressen des politischen Betriebs so durchsichtig das Handeln einer Regierung geleitet. Selten war die Empathie für das Land und seine Menschen so gering.

Leistung muss sich lohnen, hat Guido Westerwelle gerufen, um die Hartz-IV-Debatte vom Zaun zu brechen. Hat er nicht mitbekommen, wie das Leistungsprinzip des guten, alten rheinischen Kapitalismus ausgehebelt worden ist? Nämlich von oben, als es losging mit den Millionen, die als „Wetten“ und im Handumdrehen zu verdienen waren. Und als die Lichtgestalten des Abfindungs-Managements auftauchten, wie Thomas Middelhoff, der Karstadt ruiniert hat, aber in den besseren Kreisen immer noch salonfähig ist.

Die Mehrwertsteuersenkung für die Hotels gibt es auch nach dem Sparpaket noch. Wie die Steuersenkung, die das erhöhte Kindergeld für die Besserverdienenden de facto ist. Hat wirklich niemand am Koalitionstisch „Halt“ gerufen, als beim Zusammenkratzen von Euros und Cents das Hartz-IV-Elterngeld kassiert wurde? Was dort nur ein technischer Begriff ist, sieht im wirklichen Leben oft so aus: Eine junge Frau, ungewollt schwanger und ziemlich verzweifelt, weil sie anders als der dazugehörige Vater nicht davonlaufen kann. Elterngeld ist Lohnersatzleistung, wird die Streichung begründet. Es war, wie die alte und die neue Familienministerin wissen, immer auch kompensatorische Sozialleistung für Studentinnen, Hausfrauen und Arbeitslose. Kristina Schröder hat mit ihrer Rechtfertigung einen Twittersturm entfacht, den auch Ursula von der Leyen verdient hätte. Hat man vielleicht darauf gesetzt, dass sich für diese junge Frau ohnehin niemand interessiert?

Es war kein Linksradikaler, sondern Augustinus, der vor hunderten Jahren fand, dass Staaten nichts als große Räuberbanden seien, wenn sie die Gerechtigkeit preisgeben. Die Demokratie schwächt sich von innen, wenn ihre politische Führung nach den Milliardenpaketen der Finanz- und Euro- Krise nicht begreift, dass Akzeptanz für Einschränkungen nicht mit Zahlenwerken, sondern mit Zielen begründet werden muss, die das tiefe Unbehagen in der Bevölkerung aufgreifen.

Nicht zufällig ist die Gleichheit in Misskredit geraten, als in der westlichen Welt die Freiheit mit der Freiheit der Märkte verwechselt wurde. Der Verdacht der Gleichmacherei richtete sich schnell gegen alle, die „Égalité“ zu fordern wagten. Geben wir dem Gleichheits-Postulat besser wieder den Rang, den es einmal hatte. Es ist ein großes Ideal der Demokratie – unerreichbar, unverzichtbar.

Von Tissy Bruns

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false