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Papst in Ankara und Istanbul: Franziskus setzt in der Türkei seine eigenen Zeichen

Erdogan setzte Papst Franziskus bei seinem Besuch in der Türkei die Macht der Bescheidenheit entgegen - ließ dessen aggressive Großsprecherei kleinlich, beleidigt und schlecht gelaunt wirken. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia Keller

Es ist nichts schiefgegangen beim Besuch von Papst Franziskus in der Türkei. Der Skandal blieb aus. Das allein ist schon ein Erfolg. Die Türkei sucht ihre Identität, die arabische Welt bricht auseinander, der Islam befindet sich in der Legitimationskrise. Und im Westen sehen viele hinter jedem Kopftuch eine gefährliche Fundamentalistin und fürchten, dass jeder Bartträger einen Dolch im Gewand führt. Nichts ist einfacher, als in dieser Situation eine verbale Bombe zu zünden.

Franziskus tappt in keine Fallen

Benedikt XVI. hat das vor acht Jahren vorgemacht, als er in seiner Regensburger Rede den Muslimen ihr Gottesbild vorwarf. In der Empörung, die darauf folgte, wurde sogar eine Nonne ermordet. Im Unterschied zu seinem Vorgänger denkt Franziskus politisch, er kennt seine Rolle als Papst und weiß um die Wirkung seiner Worte. Er tappt nicht in die Fallen, die Fundamentalisten und Populisten nur zu gerne für ihn aufstellen. Er vermied die Gegenüberstellung von „wir Christen“ und „ihr Muslime“. Kein triumphalistisches Wort kam über seine Lippen, keine Abwertung; er goss kein Öl ins Feuer. Bei der Begegnung mit den türkischen Religionschefs verwies er auf die Gemeinsamkeiten zwischen Christen und Muslimen, statt die Unterschiede zu betonen. Er machte eine andere Gegenüberstellung auf: Wir religiösen Menschen in Ost und West, die wir den Frieden lieben, gegen alle, die Gewalt im Namen Gottes ausüben. Das ist die einzig vernünftige Konstellation. „Bündnis des Friedens“, titelte die türkische Zeitung „Star“.

Kritik an allen Staaten

Franziskus stellt den einzelnen Menschen, seine Würde und sein Leiden ins Zentrum der Religion und seines Pontifikats. Er möchte, dass der Mensch auch im Mittelpunkt gesellschaftlicher und staatlicher Bemühungen steht. Wo das nicht geschieht, setzt seine Kritik an. Er hält den Europäern ihre Verfehlungen genauso vor wie den Amerikanern oder den Türken, wenn er zum Beispiel von Erdogan fordert, Christen und anderen religiösen Minderheiten die gleichen Rechte zu gewähren wie Muslimen.

Franziskus harmonisierte in Ankara und Istanbul nichts und ließ sich nicht vereinnahmen. Er sparte mit seinem Lächeln, in der Blauen Moschee betete er mit gesenktem Blick deutlich wahrnehmbar für sich. Große Umarmungen mit dem Obermufti oder gar Küsschen fielen aus. Natürlich hätte er in der Türkei noch kritischer sein können. Er hätte in Erdogans protzigem Palast von der Tugend der Armut sprechen können. Oder auf dessen Steilvorlage von Freitag eingehen können, als Erdogan den Menschen im Westen vorwarf, sie würden die Muslime nicht „lieben“ und seien nur an „Öl, Gold und Diamanten“ interessiert.

Erdogans Spitzen prallen an ihm ab

Doch der Papst ignorierte Erdogans Spitzen und setzte seine eigenen kleinen Zeichen. So ließ er die für ihn vorgesehene schwarze Limousine stehen, fuhr im silbernen Mittelklassewagen – und fiel dadurch umso mehr auf zwischen all den gleich aussehenden Staatskarossen. Gerade durch sein bescheidenes Auftreten und den versöhnlichen Ton ließ er Erdogans aggressive Großsprecherei kleinlich, beleidigt und schlecht gelaunt wirken. Dem vermeintlich Großen und Mächtigen setzte er die subversive Kraft des Kleinen und Leisen entgegen. Im Kampf gegen religiösen Terror hilft das alleine nicht. Das weiß auch Franziskus. Aber gegen Erdogans Kraftmeierei war es ein wirksames Mittel.

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