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Die Nominierung der Pussy Riot-Musikerinnen für den Lutherpreis der Stadt Wittenberg hat für einigen Ärger gesorgt.

© dpa

Streit um russische Punkband: Pussy Riot hat den Luther-Preis nicht verdient

Die Stadt Wittenberg will die Musikerinnen der Band Pussy Riot für den an Martin Luther erinnernden Preis „Das unerschrockene Wort“ nominieren. Robert Leicht hält das für keine gute Idee - blasphemischer Aktionismus gehört nämlich nicht ausgezeichnet.

Als sich vor Jahr und Tag ein nacktes Paar auf dem Altar des Kölner Domes zur Kopulation anschickte, hatte es mit einer Strafanzeige aufgrund des Paragrafen 167 des Strafgesetzbuches zu rechnen: „Wer an einem Ort, der dem Gottesdienst einer … Religionsgesellschaft gewidmet ist, beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Nachdem drei Mitglieder der russischen Punk-Band Pussy Riot in den geschützten Altarraum einer Moskauer Kathedrale eindrangen und dort auf, sagen wir, provozierende oder unflätige Weise einen als solchen ja verständlichen politischen Protest aufführten, reagierte die russische Justiz drakonisch und auf eine Weise, die jedem rechtsstaatlichen Verfahren und jeder Verhältnismäßigkeit der Mittel Hohn sprach.

Nun aber will die Stadtverwaltung von Wittenberg, wenngleich inzwischen gegen heftigen Protest, die drei Frauen für den an Martin Luther erinnernden Preis „Das unerschrockene Wort“ nominieren. Hinter diesem Vorstoß steht eine bedauerliche Verwirrung der Geister oder, sagen wir es milder, der Kategorien: Wenn jemand – wie diese drei Frauen in Moskau oder anderswo im vormaligen Ostblock andere Personen, etwa Julia Timoschenko in der Ukraine – von einer gewalttätigen und rücksichtslosen „Staatsjustiz“ willkürlich und menschenfeindlich misshandelt wird, ist der schärfste Protest angebracht. Und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich die Verfolgten etwa auch nach unserem Recht irgendwie beanstandenswert verhalten haben. Die Opfer einer Unrechtsjustiz verdienen unseren Beistand selbst dann, wenn sie selber unrechtmäßig gehandelt haben sollten.

Das entbindet uns aber nicht von der Überlegung, wie wir deren ursprüngliches Handeln eigentlich selber zu beurteilen hätten, wenn es uns etwas anginge. In keinem Fall sollten wir uns dabei zu einer Kategorienverwechslung verführen lassen. Wir sollten also das Reiz-Reaktions-Schema einigermaßen sorgfältig durchdenken. Jedenfalls wird der ursprüngliche „Reiz“ nicht schon dadurch (nachträglich) legitimiert oder gar der Bewunderung würdig, dass die „Reaktion“ darauf völlig maßlos und illegitim ausfällt.

Ist Rosa Luxemburg eine Vorkämpferin parlamentarischer Freiheiten?

Kolumnist Robert Leicht
Kolumnist Robert Leicht

© Zeichnung: Tsp

Um es einmal an einem anderen Beispiel zu demonstrieren: Rosa Luxemburg wurde 1919 durch üble Reaktionäre hinterrücks und kaltblütig ermordet. Dieses Verbrechen sollten wir zwar gewissenhaft in unserem historischen Gedächtnis aufbewahren. Aber deshalb bin ich noch lange nicht veranlasst, in Rosa Luxemburg eine vorbildliche Demokratin und Vorkämpferin parlamentarischer Freiheiten zu sehen. Ein zu beklagendes Opfer ist also nicht eo ipso ein zu verehrender Held. Die Frauen von Pussy Riot sollen also zwar unseres Beistandes gegen eine Unrechtsjustiz gewiss sein. Doch dass sie einen Preis verdienen, der an Martin Luther erinnert, ist zu bestreiten.

Ganz abgesehen davon, dass Luther es sich mit dem „unerschrockenen Wort“ keineswegs einfach gemacht hat. So hat er 1521 auf dem Reichstag zu Worms eben nicht unter platter Berufung auf das Gewissen dahergesagt: „Hier stehe ich und kann nicht anders!“, sondern er hat seinen Standpunkt sehr gewissenhaft (und Gewissen setzt eben Gewissenhaftigkeit voraus), er hat seine Auffassung sehr diszipliniert, ja überaus skrupelhaft dargetan und sich sogar der Widerlegung aus der heiligen Schrift angeboten. Und vor allem wäre er nie auf den Gedanken gekommen, sich eines blasphemischen Aktionismus zu befleißigen.

Die Frauen von Pussy Riot haben sich ja inzwischen für das Sakrileg ihrer Aktion entschuldigt. Weshalb sollte man dieses Sakrileg nun ausgerechnet mit dem Namen Luthers auch noch auszeichnen?

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