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Zwei Züge der Straßenbahn in Berlin. Ist die Tram noch zeitgemäß?

© dapd

Teure Nostalgie: Lasst die Straßenbahnen im Depot

Berlin hat ein hervorragendes Nahverkehrssystem. Nur die Tram ist buchstäblich das fünfte Rad am Wagen. Straßenbahnen sind teure und oft lebensgefährliche Nostalgie – sie sollten besser im Depot bleiben.

Die Straßenbahn gilt gemeinhin als besonders ökologisches und fortschrittliches Verkehrsmittel. Elektrisch, sauber und leise. Fast lautlos gleiten die gelben Waggons durch die Stadt, wer mit ihnen fährt, berichtet von einem geradezu komfortablen Erlebnis. „Man sitzt entspannt wie eine Schildkröte in einem Terrarium“, sagt mein Kollege mit verträumtem Blick. Und dann diese nostalgische Sehnsucht, die das liebevoll „Tram“ genannte Verkehrsmittel auslöst. Es ist ein bisschen wie anno dunnemals, als die „Tram“ quietschend durch das gusseiserne Berlin Kaiser Wilhelms rumpelte. Der Fahrer bimmelte, der Schutzmann grüßte zackig, die Hand an der Pickelhaube, und half sodann der Mamsell ins Abteil.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben herzlose Verkehrsplaner in West-Berlin die gute alte Tram plattgemacht. Beton statt Bahn! Mangels Alternative blieb das dem Osten erspart. Die Zeiten haben sich geändert. Mittlerweile hat die Hauptstadt wieder 22 Straßenbahnlinien. Aktuell wird an der Verbindung zwischen Nord- und Hauptbahnhof gebastelt, da fehlte einfach noch eine.

Unnötiger Ausbau. Die Baustelle der Tram-Haltestelle vor dem Berliner Hauptbahnhof. Die Straßenbahnstrecke von der Invalidenstraße zum Hauptbahnhof soll voraussichtlich 2014 in Betrieb gehen.
Unnötiger Ausbau. Die Baustelle der Tram-Haltestelle vor dem Berliner Hauptbahnhof. Die Straßenbahnstrecke von der Invalidenstraße zum Hauptbahnhof soll voraussichtlich 2014 in Betrieb gehen.

© dapd

Auch der verwaiste Westen wird wieder erschlossen, tramtechnisch gesehen. In der Leipziger Straße liegen schon die Gleise, um in ein paar Jahren die neuen „Flexity“-Bahnen der BVG vom Alex zum Kulturforum zu leiten. Kreuz und quer soll der Westteil wieder verstraßenbahnt werden, bis zum Rathaus Steglitz, zum Hermannplatz, dem Ernst-Reuter-Platz, durch Moabit und Wedding, Neukölln und Kreuzberg. Geld für den Ausbau scheint die Stadt zu haben.

Zumindest in der Theorie klingt das alles recht nett. In der Praxis eher nicht. Nur selten wird bei aller Tram-Romantik die Frage gestellt, welchen echten Bedarf es eigentlich für die Straßenbahn gibt. Gern wird darauf verwiesen, dass die Stadt über eines der größten Straßenbahnnetze der Welt verfügt. Ein verräterisches Selbstlob. Allzu groß ist der Wettbewerb um ein ausgedehntes Tramnetz offenbar nicht.

Völlig unstrittig ist, dass Berlin mit seinen Bussen und den U-, S- und Regionalbahnen über ein hervorragendes System des öffentlichen Nahverkehrs verfügt. Das kann noch besser werden, geschenkt. Aber die Straßenbahn ist buchstäblich das fünfte Rad am Wagen. Der Bau und der Unterhalt neuer Linien ist teuer, zu teuer. Und das auch deshalb, weil sich das 150 Jahre alte Prinzip Straßenbahn überlebt hat. Streng genommen, seit es Busse gibt. Die können übrigens auch elektrisch fahren, mit Batterie oder Oberleitung.

Es gibt noch einen anderen wesentlichen Grund, der gegen die erneute Tramisierung Berlins spricht. Straßenbahnen sind gefährlich. Jedes Jahr werden mehrere Menschen totgefahren. 2010 waren es drei, 2011 sechs, in diesem Jahr bislang drei Todesopfer. Zwischen 1997 und 2011 sind allein an der Tramstrecke entlang der Osloer Straße und der Seestraße 15 Menschen ums Leben gekommen. Grob geschätzt jeder zehnte tödliche Verkehrsunfall in der Stadt geht auf das Konto der Straßenbahn, ein angesichts der eher begrenzten Transportleistung erheblicher Anteil.

Tagesspiegel-Redakteur Hartmut Wewetzer.
Tagesspiegel-Redakteur Hartmut Wewetzer.

© Kai-Uwe Heinrich

Und es sind nicht nur die tödlichen Unfälle. 2010 zum Beispiel gab es bei insgesamt 330 Unfällen neben den Todesopfern 30 Schwer- und 119 Leichtverletzte. Die Renaissance der Straßenbahn im Westen wie im Osten hat ihren Preis – und der ist eindeutig zu hoch. Jeder neue Streckenbau wird ihn weiter in die Höhe treiben.

Selbst schuld, sagen manche Bahnbefürworter. Die Polizei spricht von „Unvorsichtigkeit und Fahrlässigkeit“, in der Statistik werden die Vorfälle unter der Überschrift „Falsches Verhalten von Fußgängern“ einsortiert. Das mag formal richtig sein, aber hier geht es nicht ums Falschparken oder zu schnelles Fahren in der Tempo-30-Zone. Es geht um Leben und Tod.

Die Straßenbahn hat immer recht, man darf ihr eben nicht in die Quere kommen. Die alte Frau, die nicht mehr gut hört und sieht, das unvorsichtige Kind, das vor die Gleise läuft, das verträumte Mädchen mit den Kopfhörern, der Radfahrer, der einen Moment unaufmerksam ist – sie alle hätten einfach besser aufpassen sollen. Sie alle haben einen Fehler gemacht, genauer: Sie waren fehlerhaft.

Immerhin, vor ein paar Tagen gab es eine Diskussion um den als zu leise empfundenen Warnton der neuen Bahnen. Auch Fahrer, die natürlich ebenfalls zu den Leidtragenden der Unfälle gehören, haben sich beschwert. Am grundsätzlichen Ausbau der Straßenbahn wird dagegen kaum gezweifelt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es um eine prinzipielle Auseinandersetzung geht, um den immerwährenden Kampf ums Straßenland, das dem Privatverkehr mit dem Auto zugunsten der „Öffentlichen“ abgetrotzt werden soll. Das Kräftemessen geht weiter.

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