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Jan Stöß (li.) mit Klaus Wowereit

© dpa

Wechselstimmung wächst: Berlins SPD - eine fortschreitende Entmachtung

Ob Jan Stöß den Machtkampf um die Nachfolge von Klaus Wowereit gewinnt, ist ungewiss. Viele Berliner haben sich bereits von der SPD verabschiedet. Es wächst der Wunsch, mal etwas anderes auszuprobieren.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wird man gebraucht, erfüllt man seine Pflicht. Wird man nicht mehr gebraucht, zieht man sich zurück. Wir wissen nicht, ob der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit konfuzianische Regeln kennt. Aber er täte Berlin, seiner Partei und sich selbst einen Gefallen, wenn er den Zeitpunkt seines Rückzugs sensibel wählt. Der Parteitag der Berliner SPD, die sich von ihrer ehemals unangefochtenen Leitfigur allmählich löst, kam für den Abschied zu früh. Eine Woche vor der Europawahl und dem Volksentscheid zu Tempelhof war nichts anderes gefragt als der demonstrative Schulterschluss. Aber Wowereits Plan, erst Ende 2015 über seine persönliche Zukunft zu entscheiden, ist nicht mehr haltbar. Der Patriarch wird gehen, früher als er wollte.

Meinungsumfragen zeigen Skepsis gegenüber Jan Stöß

Und dann? Momentan sieht es so aus, als könne der mit einem brauchbaren Ergebnis wiedergewählte SPD-Landeschef Jan Stöß die Gunst der Stunde nutzen, um sich der eigenen Partei und den Wählern als der geborene Nachfolger Wowereits zu empfehlen. Ob er den Aufgaben, die das Amt des Regierungschefs mit sich bringt, gewachsen wäre, ist schwer einzuschätzen. Vielleicht mausert sich der promovierte Verwaltungsrichter zu einem veritablen SPD-Spitzenkandidaten, vielleicht geht er mit fliegenden Fahnen unter. Die Berliner sind, das zeigen die Meinungsumfragen, sehr skeptisch.

Es ist auch unwahrscheinlich, dass andere sozialdemokratische Anwärter auf das höchste Regierungsamt kampflos aufgeben werden. Der SPD-Fraktionschef Raed Saleh ist nicht aus dem Spiel, die Arbeitssenatorin Dilek Kolat auch nicht. Wenn sich der Streit um die Thronfolge nicht gütlich beilegen lässt, wird es mit Sicherheit einen Mitgliederentscheid der Parteibasis zwischen zwei oder drei Konkurrenten geben.

Der Weg in die Opposition ist nicht mehr undenkbar

Was danach kommt, könnte für die Berliner SPD schwierig werden. Der Weg in die Opposition ist nicht mehr undenkbar. Denn die Partei ist ausgelaugt, nicht nur personell, sondern auch politisch. In der teils glanzvollen, teils unsäglichen Ära Wowereit haben die Sozialdemokraten die undankbare Rolle des treuen Vasallen eingeübt. Nur selten hat die Partei aufgemuckt, wurde zum Wahlverein und Erfüllungsgehilfen des Senats, verlor an Kraft und Substanz. Und als Wowereit nach der Wahl 2011 seine Partei in eine Koalition mit der CDU zwang, provozierte er damit eine innerparteiliche Revolte. Schon ein halbes Jahr später riss eine neue, aufrührerische Mehrheit die Führung in Partei und Fraktion an sich. Verbunden mit dem Anspruch, auch mit der Union eine entschieden sozialdemokratische Regierungspolitik durchzusetzen. Die Entmachtung Wowereits hatte begonnen – und bald wird sie vollendet. In aller Freundschaft natürlich.

Die Wechselstimmung wächst

Die Frage ist nur, wem das imponiert. Den meisten Wählern offenbar nicht. Sehr viele Berliner haben sich nicht nur von Wowereit innerlich verabschiedet, sondern auch von seiner Partei, der kaum noch zugetraut wird, die großen Probleme einer wirtschaftlich aufstrebenden, aber sozial gespaltenen Millionenstadt in den Griff zu bekommen. Die Wechselstimmung wächst. Für die meisten Sozialdemokraten ist es zwar unvorstellbar, 2016 in der Opposition zu landen. Sie verstehen das Mitregieren immer noch als unveräußerliches Naturrecht. Die Wähler sehen das anders. Es wächst in Berlin der Wunsch, mal etwas anderes auszuprobieren als SPD.

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