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Schloss-Baustelle in Berlin.

© Reuters

Wiederaufbau des Berliner Schloss: Ruinen als Kulturerbe

Als ich als Germanistikstudent Ost- und Westdeutschland besuchte, war ich verblüfft, wie viel historische Bausubstanz hier verrottete. Dass das reiche Deutschland ganze historische Stadtkerne durch Betonklötze ersetzte, konnte ich nicht begreifen.

Im Mai 1945 lagen viele Städte in Polen in Schutt und Asche, darunter Warschau, wo ganze Häuserzeilen und historische Bauwerke von deutschen Pionieren gesprengt wurden. Auch etliche deutsche Städte, die 1945 Polen zufielen, glichen Ruinenlandschaften, wie meine zu 75 Prozent zerstörte Geburtsstadt Breslau. In den 70er Jahren wurde ich dort von deutschen Touristen gefragt, warum nicht alle alten Bauwerke originalgetreu wiederaufgebaut worden seien. Ich erläuterte, dass sich Polen das nach den Zerstörungen des Landes im Krieg nicht leisten konnte. Und dass einiges auch aus propagandistischen Gründen nicht wieder aufgebaut wurde, Objekte zum Beispiel, die mit dem „preußischen Militarismus“ verbunden waren. Nichtsdestotrotz hat man sehr viel getan, um den historischen Charakter der Stadt beim Wiederaufbau weitestgehend zu erhalten.

Als ich dann als Germanistikstudent Ost- und Westdeutschland besuchte, war ich verblüfft, wie viel historische Bausubstanz hier nicht wiederhergestellt wurde oder verrottete. Dass in der kommunistischen DDR die Ideologie wichtiger war als Baudenkmäler, wusste ich. Dass aber auch in Westdeutschland, das unvergleichlich reicher als das kommunistisch regierte Polen war, ganze historische Stadtkerne – wie in Köln – durch Betonklötze ersetzt wurden, konnte ich nicht begreifen. Und deshalb fragte ich meine deutschen Gesprächspartner manchmal zurück: Sollten sich etwa die Polen mehr um das deutsche Kulturerbe kümmern als es die Deutschen selbst zu tun bereit sind? Und waren sie überhaupt verpflichtet, den deutschen Stil bei der Wiederherstellung zu bewahren? Haben die deutschen Soldaten nicht genug alte polnische Städte, Kirchen und Schlösser gezielt in Schutt und Asche gelegt, um die Zeugnisse der polnischen Kultur ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen?

Aber die polnischen Neubewohner von Breslau haben es getan. Denn viele von ihnen waren Vertriebene aus dem ehemals polnischen Lemberg und hatten das alles schon einmal in ihrer Heimatstadt besessen, was sie in Breslau meist als Ruinen vorfanden: alte Bürgerhäuser, Schlösser, eine Universität, eine Oper, Museen und Galerien. So wussten sie auch die deutschen Baudenkmäler als universelles Kulturerbe zu schätzen. Und sie brauchten sie weiterhin. Trotz der großartigen Leistung polnischer Denkmalpfleger und Architekten scheint an einer Stelle direkt gegenüber dem mittelalterlichen Rathaus etwas nicht zu stimmen. Es ist ein graues 10-stöckiges Betongebäude, das zu den alten Häuserzeilen nicht passt. So fragen immer noch viele deutsche Touristen: Die Polen haben das alles wieder so schön hergerichtet, aber warum haben sie bloß an der Ecke ein hässliches Ding hingestellt? Nur wurde es nicht von den Polen, sondern noch 1931 als Hochhaus der Sparkasse gebaut. Und solche Objekte sollten das ganze Altstadtzentrum bestimmen. Um dies zu erreichen, wollte man alle alten Bürgerhäuser abtragen. Einige von ihnen wurden tatsächlich beseitigt und an deren Stelle zwei neue Gebäude errichtet, darunter das Hochhaus. Aber dann kam der Krieg, der die bewusste Zerstörung der schönen Häuser verhinderte. Und die im Krieg zerstörten oder beschädigten wurden von den polnischen Breslauern wiederhergestellt.

Als eine der wenigen Sehenswürdigkeiten überdauerte die imposante Jahrhunderthalle den Krieg fast unbeschädigt. Von den Kommunisten wurde sie in „Volkshalle“ umbenannt und weiterhin für große Kultur- und Sportereignisse sowie Messen benutzt. Vor einigen Jahren wurde sie samt ihrer Umgebung restauriert.

In einem Punkt kann ich aber die kritischen Stimmen zum Stadtschloss nachvollziehen: die Vorsicht im Umgang mit Symbolen der deutschen Größe beziehungsweise Übermacht. Das macht das heutige Deutschland sympathisch und vertrauenserweckend. Nun geht es bei diesem Bauvorhaben doch nicht etwa um die Wiederherstellung der Reichskanzlei, sondern eines ansehnlichen und „unbelasteten“ Bauwerks. Oder wollen sich die Deutschen mit ihrem Land nur über die Fußballnationalmannschaft oder die neuesten Modelle von VW identifizieren?

Der Autor ist Publizist lebt in Berlin.

Andrzej Stach

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