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Die Deutschen müssen ihr enges Europa-Bild überwinden, meint Ulrich Speck. Denn sonst drohen Widerstände und der Kampf um die Vormacht in Europa - der Preis wäre der schleichende Niedergang Europas.

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Zukunft der Europäischen Union: Als Hegemon hat Deutschland keine Chance

Die Deutschen müssen ihr enges Europa-Bild überwinden, meint der außenpolitische Analyst Ulrich Speck. Denn sonst drohen Widerstände und der Kampf um die Vormacht in Europa - der Preis wäre der schleichende Niedergang Europas.

"Europa gemeinsam bauen" war das Leitmotiv der europäischen Einigung. In Wahrheit aber baute sich jedes Land sein eigenes Europa. Die Deutschen ein Europa der rheinischen Marktwirtschaft und des Föderalismus, wie sie es von zu Hause aus kannten. Die Franzosen ein Europa der französischen Machtentfaltung, der zeremoniellen Dominanz und des Staatsinterventionismus. Die Belgier ein Europa, das ihren brüchigen Staat überwölbte – und ihre Hauptstadt Brüssel neu belebte. Die Briten und andere Nordeuropäer ein Europa des freien Marktes und der Stabilisierung der europäischen Peripherie. Die Länder des Südens und Ostens ein Europa, das als Schub und Ordnungsrahmen für die eigene politische und wirtschaftliche Modernisierung diente.

Dieses Europa der verschiedenen Identitäten funktionierte über Jahrzehnte. Die europäischen Kompromisse, nach der üblichen langen Gipfelnacht vom jeweiligen Regierungschef der jeweiligen nationalen Öffentlichkeit präsentiert, waren immer so gefasst, dass jedes Land etwas von dem Europa bekam, das es sich aufgebaut hatte. Die eigene selektive Wahrnehmung von Europa koexistierte friedlich mit der ebenfalls selektiven Europawahrnehmung des Nachbarn.

So lebten man zufrieden nebeneinander her, bis zur Euro-Krise. Die Krise zwingt die Länder dazu, die Karten offen auf den Tisch zu legen und harte, schmerzhafte Entscheidungen zu treffen. Was früher zwar europäisch eingehegt war, aber doch national souverän erschien, nämlich der Kern der Wirtschafts- und Sozialpolitik, ist plötzlich zur Verhandlungsmasse geworden.

Ulrich Speck ist außenpolitischer Analyst und lebt in Heidelberg.
Ulrich Speck ist außenpolitischer Analyst und lebt in Heidelberg.

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Deutsche und Niederländer verlangen von Griechen, Italienern oder Spaniern, ihre wirtschaftliche und soziale Ordnung umzubauen, ihren Gesellschaftskontrakt neu zu begründen. Zypern bekommt aus Berlin unverblümt mitgeteilt, es müsse sein „Geschäftsmodell“ ändern. Umgekehrt werden die Deutschen ermahnt, ihr eigenes Geschäftsmodell zu überdenken und an der Nachfrageschraube zu drehen.

Alt-neue Stereotypen dominieren die wechselseitige Wahrnehmung: Deutsche wollen Europa dominieren, Südländer sind faul und korrupt. Einig ist man sich nur in einem Punkt: Ändern müssen sich die anderen.

Die Euro-Krise führt dazu, dass die nationalen Narrative und Logiken aufeinanderprallen. Man kommt sich näher als je zuvor und realisiert, wie fremd man sich doch geblieben ist. Erst jetzt spürt man, auf was man sich mit der gemeinsamen Währung eingelassen hat. Der Euro ist, anders als es lange schien, keine Äußerlichkeit. Er greift ein in die Substanz der nationalen Identitäten.

Wenn das Projekt der europäischen Einigung weiterhin gelingen soll, muss die derzeit dominierende Logik der Konfrontation durch eine Logik der Kooperation überwunden werden. Nötig ist ein neuer Deal, der die Vorstellungen und Interessen aller Partner berücksichtigt. Reformpolitik und Wachstumspolitik müssen in eine Balance gebracht werden. Neue Mechanismen der Selbstverpflichtung sind rasch zu institutionalisieren. Die permanente Krise muss ein Ende haben.

Der Weg aus der Krise kann aber nicht darin bestehen, dass sich die deutsche Vorstellung von Europa mit Brachialgewalt durchsetzt. Schon aus deutschem Eigeninteresse nicht: Je mehr Berlin als egoistischer Hegemon erscheint, umso stärker werden die Widerstände, bis hin zum Aufbau gegnerischer Koalitionen. Die Wiederkehr solcher Kämpfe um die Vormacht in Europa dauerhaft zu verhindern, ist ja der tiefere Daseinszweck der EU.

Deutschland muss zwar Führungsqualitäten zeigen, es befindet sich augenblicklich im Fahrersitz, ob es will oder nicht. Dazu müssen die Deutschen aber die enge Definition ihres Interesses, dass die EU vor allem nicht viel kosten darf, überwinden. Sie müssen zu einer weitsichtigeren Definition ihres Interesses als eines europäischen kommen, in das die Sichtweisen der Partner integriert sind. Die Alternative zu einer solch weitsichtigen Führung im gemeinschaftlichen Interesse ist der schleichende Niedergang Europas. Teurer als jede Euro-Rettung.

Ulrich Speck ist außenpolitischer Analyst und lebt in Heidelberg.

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