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Vollwertiger Arbeitnehmer trotz Einschränkung. Das ist nicht in allen Unternehmen eine Selbstverständlichkeit.

© dpa

AllgemeinesGleichbehandlungsgesetz: Reform für mehr Gleichheit

Vor zehn Jahren wurde das Gleichbehandlungsgesetz beschlossen. Jetzt soll es reformiert werden. Denn viele Diskriminierte wissen nicht, dass sie sich wehren können.

Wenn einer Frau das Arbeitsverhältnis nicht verlängert wird, weil sie schwanger ist, oder ein Hotelier seine Zusage für die Hochzeitsfeier zurückzieht, weil er erfährt, dass das Paar schwul ist, so sind das Verstöße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Doch viele wissen das offenbar gar nicht.
2006 wurde das Gesetz gegen große Widerstände vor allem aus der Wirtschaft vom Bundestag beschlossen. Seitdem haben lediglich 15.000 Menschen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes um Hilfe nachgefragt. Dabei hat laut einer Umfrage dieser Stelle von 2015 jeder Dritte in den zurückliegenden zwei Jahren Diskriminierung erlebt, sei es aufgrund des Alters, der ethnischen Herkunft oder der Religion, sei es wegen einer Behinderung oder der sexuellen Identität.

Nur wenige Betroffene klagen gegen die Benachteiligung

Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, forderte deshalb am Dienstag in Berlin, es müsse den Betroffenen „deutlich leichter gemacht werden, gegen Diskriminierung vorzugehen“. Die Betroffenen müssen ihre Ansprüche bisher innerhalb von zwei Monaten geltend machen. Das sei viel zu kurz, denn viele Menschen scheuten sich erst mal, ihre Diskriminierung öffentlich zu machen aus Angst, den Arbeitsplatz oder die Wohnung zu verlieren. Lüders setzt sich dafür ein, dass die Frist auf sechs Monate verlängert wird.
Auch ein Team von Juristen und Soziologen macht sich für eine Reform des Gesetzes stark. Sie haben im Auftrag von Lüders’ Stelle untersucht, inwieweit das AGG Menschen hilft, ihre Rechte durchzusetzen. Sie empfehlen, es nicht den Einzelnen zu überlassen, gegen die Benachteiligung zu klagen, sondern auch qualifizierten Verbänden ein Klagerecht im Namen des Betroffenen einzuräumen. Das habe sich auch im Umweltbereich oder beim Verbraucherschutz bewährt.

Gutachter empfehlen gezielte "positive Maßnahmen"

Sie sehen außerdem eine Lücke im AGG, was die Umsetzung des Gesetzes für Fremdpersonal angeht. So ist bisher zum Beispiel die Putzfrau, die im Rahmen von Werk- und Dienstverträgen in einem fremden Betrieb eingesetzt wird, vom Diskriminierungsschutz ausgeschlossen. Dieser Schutz betrifft vor allem Menschen im Niedriglohnbereich – in Zukunft voraussichtlich auch verstärkt Flüchtlinge, die in den Arbeitsmarkt einsteigen. Auch dürfe die Beauftragung eines Dritten, etwa eines Maklers beim Wohnungsverkauf oder eines Personalvermittlers bei der Stellenbesetzung nicht dazu führen, dass die Haftung umgangen wird, sagte Lüders. Die Gutachter regten außerdem an, Behörden und Unternehmen sollten gerade mit Blick auf Migranten „proaktive Gleichstellungsmodelle“ einsetzen, wie sie heute schon in der Frauenförderung und zum Schutz von Behinderten genutzt werden, etwa gezielte Förderpläne oder Betriebsvereinbarungen. Solche „positiven Maßnahmen“ seien effektiver als die juristische Bearbeitung von einzelnen Diskriminierungsvorfällen.

Die befürchteten Klagewellen sind ausgeblieben

Christine Lüders lobte das AGG als „Meilenstein“ und als „eine der großen menschlichen Errungenschaften in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren“. Die von der Wirtschaft befürchteten Klagewellen seien ausgeblieben. Es habe sich vielmehr das Bewusstsein für Diskriminierungen geschärft. Die Antidiskriminierungsstellen würden zunehmend von Flüchtlingen und Migranten aufgesucht. So hatte zum Beispiel eine Spedition einem jungen Flüchtling den zugesagten Praktikumsplatz abgesagt mit der Begründung, nach jüngsten Terroranschlägen wolle man doch keine Flüchtlinge beschäftigen.

Die Forderungen gehörten in den Papierkorb, sagt der BDA-Hauptgeschäftsführer

Der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Linksfraktion und die Grünen, die einen Gesetzesantrag zur Reform des AGG vorgelegt haben, schlossen sich Lüders’ Forderungen an. Auch der Lesben- und Schwulenverband begrüßte die Reformvorschläge. Kritik kam hingegen von den Arbeitgeberverbänden. Die Forderungen gehörten in den Papierkorb, erklärte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. Vielfalt und Toleranz seien längst in die Unternehmen eingezogen und ließen sich nicht gesetzlich verordnen. Die Union lehnt die Einführung eines Verbandsklagerechts ab. Im ARD-„Morgenmagazin“ erklärte Unions-Vize Michael Fuchs (CDU), wenn jemand klagen wolle, könne er sich von einem Anwalt vertreten lassen. Das bestehende Gesetz habe sich bewährt.

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