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Türkische Polizisten bewachen den Explosionsort der beiden Autobomben in der Stadt Reyhanli.

© dpa

Anschläge in Reyhanli: Türkische Bombenleger im Auftrag von Assad?

Es war nach Medienberichten der schlimmste Terroranschlag in der Geschichte der Türkei. Die nun festgenommenen Verdächtigen sollen Verbindungen zum syrischen Geheimdienst haben. Einige Beobachter rechnen mit einer militärischen Antwort der Türken.

In Reyhanli wurde am Sonntag die ersten Opfer zu Grabe getragen. Hochrangige türkische Regierungsvertreter nahmen an der Trauerfeier für einige der 46 Menschen teil, die am Vortag beim schwersten Terroranschlag des Landes den Tod gefunden hatten. Doch die Demonstration von Anteilnahme und Solidarität konnte die in der Region vorhandenen Spannungen nicht überdecken. Verwandte von Opfern schimpften über die syrischen Flüchtlinge in der Gegend, einige Syrer sollen sich angesichts der Anfeindungen entschlossen haben, lieber in ihr vom Bürgerkrieg geschundenes Heimatland zurückzukehren, als in der Türkei zu bleiben.

Der Anschlag von Reyhanli war nach Medienberichten der schlimmste Terrorakt in der Geschichte der Türkei. Im November 2003 waren bei einer Serie von islamistischen Anschlägen in Istanbul rund 60 Menschen getötet worden - doch damals handelte es sich um vier Anschläge innerhalb einer Woche. In Reyhanli, nur wenige Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, zündeten die Täter innerhalb von fünf Minuten zwei Autobomben vor dem Postamt und dem Rathaus.

Ziel sei es gewesen, die „Region aufzumischen“, wie Innenminister Muammer Güler sagte. Die Polizei nahm neun Verdächtige fest, allesamt türkische Staatsbürger. Sie sollen Verbindungen mit dem syrischen Geheimdienst gehabt haben. Die regierungsnahe Zeitung „Yeni Safak“ nannte als Hauptverdächigten einen türkischen Alawi namens Mihrac Ural. Dieser soll vor dem Massaker in der syrischne Küstenstadt Banias vergangene Woche zur Ermordung von Sunniten aufgerufen haben. Ob sich Ural unter den festgenommenen Tatverdächtigen befand, blieb aber zunächst unklar.

Klar ist dagegen, dass die Türkei hinter dem Anschlag von Reyhanli eine gezielte Eskalation seitens der syrischen Regierung sieht. Die Spuren jener, die vor einer Woche mehr als hundert sunnitische Zivilisten in Banias ermordet hätten, fänden sich auch bei dem Blutbad von Reyhanli, sagte Außenminister Ahmet Davutoglu.

Sorgen bereitet den Türken die Lage in der Grenzprovinz Hatay, in der Reyhanli liegt und die ein Zentrum türkischer Alawis ist, die sich mit Assad verbunden fühlen. Schon seit Monaten gab es in Hatay immer wieder Proteste gegen die – meist sunnitischen – syrischen Flüchtlinge in den Auffanglagern und hin und wieder sogar Unterstützungskundgebungen für Assad. Diese Gegensätze wolle die syrische Regierung mit Hilfe des Blutvergießens von Reyhanli weiter verschärfen, vermutet Ankara. Die Spannungen bei den Beisetzungen in der Gegend am Sonntag könnten darauf hindeuten, dass dies auch gelungen ist.

Die Regierung in Damaskus wies jede Verantwortung für den Anschlag weit von sich, fügte aber hinzu, im Grunde sei die Türkei selber schuld. Schließlich habe die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit ihrer Hilfe für die syrische Opposition im Gebiet entlang der 900 Kilometer langen Grenze zwischen beiden Ländern eine „Konzentration internationaler Terroristen“ entstehen lassen.

Unterdessen widmeten sich Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seine Berater am Sonntag der Frage, wie die Türkei auf den Anschlag von Reyhanli reagieren soll. Einige Beobachter rechnen mit einer militärischen Antwort der Türken – dies sei nicht zuletzt deshalb geboten, weil sonst das Ansehen des Landes in der Region leiden würde, kommentierte etwa der in London ansässige Politologe Ziya Meral auf Twitter. Zudem wäre der Verzicht auf eine Reaktion nach seiner Ansicht eine Einladung zu weiteren Gewalttaten auf türkischem Boden.

Andere Experten sind sich aber sicher, dass die Türkei keine groß angelegten Strafaktionen in Syrien plant. Begrenzte Vergeltungsaktionen wie beim Artilleriebeschuss auf syrisches Gebiet nach dem Tod von fünf türkischen Zivilisten durch eine syrische Granate im Oktober in der Grenzstadt Akcakale seien zwar möglich, sagte Mehmet Sahin, Nahost-Experter an der Gazi-Universität in Ankara, unserer Zeitung. Doch alles was darüber hinausgehe, sei unwahrscheinlich: „Wenn die Türkei etwas in Syrien unternimmt, dann nur mit der internationalen Gemeinschaft zusammen.“

Deshalb richten sich die Blicke jetzt auf ein Gespräch Erdogans mit US-Präsident Barack Obama am kommenden Donnerstag in Washington. Vor der Bombe von Reyhanli hatte Erdogan angekündigt, Obama dabei Beweise für einen Giftgas-Einsatz durch die syrische Regierung vorzulegen und eine US-Flugverbotszone zu fordern. Das wird Erdogan nun mit neuem Nachdruck tun. Für den weiteren Verlauf des syrischen Bürgerkrieges könnten die kommenden Tage sehr wichtig werden.

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