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Flüchtlinge im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos.

© REUTERS

Auflistung der EU-Kommission: Umverteilung von Flüchtlingen vor dem Scheitern

Eigentlich sollen nach einem EU-Beschluss 160.000 Flüchtlinge bis September 2017 in der EU umverteilt werden. Doch in der Praxis ist das Ziel kaum mehr zu erreichen.

Beim EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag in Brüssel steht auch die Flüchtlingskrise auf der Agenda – wieder einmal. Dabei werden die Staats- und Regierungschefs einer Erkenntnis ins Auge blicken müssen: Die EU-Staaten werden aller Voraussicht nach ihr Versprechen nicht erfüllen können, bis zum September des kommenden Jahres 160.000 Flüchtlinge innerhalb der EU umzuverteilen. Nach den jüngsten Zahlen der EU-Kommission wurden bisher nur 6061 Asylbewerber aus Griechenland und Italien auf andere europäische Länder umverteilt.

Eigentlich sollte der EU-weite Verteilschlüssel Länder wie Italien oder Griechenland in der Flüchtlingskrise entlasten. Doch in der Praxis steht der Plan vor dem Scheitern: Um das selbstgesteckte Ziel noch zu erreichen, müssten die restlichen europäischen Länder bis September 2017 noch 153.939 zusätzliche Asylsuchende aufnehmen.

Griechenland und Italien sollten entlastet werden

Vor allem Italien und Griechenland haben die volle Wucht der Migrationsbewegungen zu spüren bekommen. Deshalb appellierte der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas im August erneut an die EU-Partner, mehr bei der Aufnahme der Flüchtlinge zu tun. Obwohl 7000 Flüchtlinge aus Griechenland sofort in andere europäische Länder umverteilt werden könnten, beklagte sich Mouzalas damals, hätten sich die EU-Partner nicht gerührt. Geschehen ist seither wenig: Nach den aktuellen Zahlen der EU-Kommission nahmen andere europäische Staaten den Griechen seit dem Brüsseler Beschluss zur Umverteilung, der noch aus dem vergangenen Jahr stammt, gerade einmal 4716 Migranten ab. Deutschland übernahm dabei 196 Flüchtlinge, Frankreich immerhin 1756. Dass sich Deutschland bei der Erfüllung der Quoten zurückhält, erklärt sich mit dem unterschiedlichen Engagement in der Flüchtlingskrise. Deutschland nahm im vergangenen Jahr 890.000 Flüchtlinge auf – weit mehr als Frankreich.

Der Grund, warum die Umverteilung nicht funktioniert, liegt aber weder in Deutschland noch in Frankreich, sondern in Osteuropa. Ungarn und die Slowakei stellten den EU-Beschluss, der jedem Land feste Quoten zur Aufnahme der Flüchtlinge zuweist, von Anfang an infrage. Beide Länder klagten gegen die Regelung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Ein stilles Eingeständnis des Scheiterns

Nach der Klage beim EuGH versuchte Ungarns Regierungschef Viktor Orban, den Druck auf Brüssel noch zu erhöhen, indem er Anfang des Monats ein Referendum gegen die Quotenregelung abhalten ließ. Zwar scheiterte die Volksabstimmung. Aber langfristig könnte Orban dennoch seinen Willen bekommen. Denn beim letzten Treffen der 27 EU-Staaten, das im vergangenen Monat im slowakischen Bratislava ohne britische Beteiligung stattfand, boten Ungarn, Polen, die Slowakei und Tschechien eine „flexible Solidarität“ in der Flüchtlingskrise an. Im Klartext bedeutet dies, dass die Osteuropäer sich verstärkt beim Schutz der EU-Außengrenzen beteiligen wollen, wenn sie dafür bei der Erfüllung der Flüchtlingsquoten nicht mitmachen müssen. Kanzlerin Angela Merkel sah darin „durchaus einen positiven Ansatz“ – was einem stillen Eingeständnis gleichkommt, dass die EU-weite Umverteilung letztlich gescheitert ist.

Ungarn hat noch keinen einzigen Flüchtling aufgenommen

In der Brüsseler Kommission pocht man derweil darauf, dass der Quoten-Beschluss weiterhin gilt. Man könne die Migration in Europa nur dann wirksam koordinieren, wenn man solidarisch in der EU zusammenarbeite, hatte EU-Kommissionsvizechef Frans Timmermans noch Ende des vergangenen Monats betont. Bei dieser Gelegenheit erklärte die EU-Kommission, dass die Mitgliedstaaten im September 1200 Asylsuchende umgesiedelt hätten. „Die verstärkten Umsiedlungsbemühungen der Mitgliedstaaten in den letzten Monaten zeigen, dass wir den Verteilungsprozess durchaus beschleunigen können, wenn nur alle genug politischen Willen und Verantwortungsbewusstsein mitbringen“, hatte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos betont. Doch dieser Wille ist bei Orban offenbar kaum vorhanden. Nach der gescheiterten ungarischen Volksabstimmung blieb er bei seiner Ablehnung der Quoten und erklärte: „Die kollektive Ansiedlung (von Ausländern) wird verboten sein.“ Bis dato hat Ungarn im Zuge der Umverteilung keinen einzigen Flüchtling aus Griechenland oder Italien aufgenommen. (mit EurActiv)

Das europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 18. Oktober 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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