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Am 29. März 2019 soll der Brexit vollzogen sein.

© AFP

Brexit: Die EU hat der Gegenseite das Drehbuch aufgezwungen

In der ersten Etappe der Brexit-Verhandlungen setzten sich die EU-27 durch. London schätzt die Höhe der Brexit-Rechnung auf 40 bis 45 Milliarden Euro.

Manchmal schlich sich ein Lächeln auf das Gesicht von Michel Barnier, des Chefunterhändlers der EU beim Brexit. Als der Franzose nach einer letzten Verhandlungsnacht am Freitag die Ergebnisse des ersten Durchbruchs zwischen London und Brüssel erläuterte, zeigte er sich sichtlich zufrieden mit dem, was er für die EU der 27 bei den Gesprächen über die Bedingungen der Scheidung herausgeholt hatte.

Die EU hatte der Gegenseite das Drehbuch aufgezwungen und durchgesetzt, dass in dieser sechsmonatigen ersten Etappe nur über drei Themen gesprochen wurde: die Rechte von EU-Bürgern, die auf der Insel leben, die Höhe der Austrittsrechnung für die Briten sowie die Zukunft Irlands, wo Schlagbäume und eine „harte Grenze“ zwischen der Republik und Nordirland vermieden werden sollen.

In Brüssel zog gerade ein neuer Tag auf, als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker formell grünes Licht gab und auf Englisch, Deutsch und Französisch feststellte, dass nun „ausreichender Fortschritt“ erzielt worden sei. Zuvor war die britische Regierungschefin Theresa May in der Nacht zum Freitag nach Brüssel geflogen, um dort gemeinsam mit Juncker den Deal zu verkünden.

Es dürfte nur noch eine Formalie sein, dass die Staats- und Regierungschefs der EU am kommenden Freitag bei ihrem Gipfel das Ergebnis absegnen und dann grünes Licht geben für die nächste Etappe, die Verhandlungen über die zweijährige Übergangsphase nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU. London will noch zwei Jahre Mitglied der Zollunion und des Binnenmarktes bleiben. Diese Übergangsphase soll sich auf Wunsch Londons an den Austritt am 29. März 2019 anschließen. In der zweiten Phase der Brexit-Gespräche soll zudem über die Grundzüge einer künftigen Handelsvereinbarung zwischen London und den EU-27 gesprochen werden. Nach den Worten von Barnier kommt dafür lediglich eine Vereinbarung nach dem Vorbild des jüngst geschlossenen Handelspaktes zwischen der EU und Kanada in Frage.

Einigung auf 16 Seiten

Die Verhandlungsergebnisse vom Freitagmorgen sind in einem 16-seitigen Papier festgehalten, auf das sich Brüssel und London geeinigt haben. Bei den Rechten der Bürger geht es um den zukünftigen Status von rund 3,5 Millionen EU-Bürgern, die in Großbritannien wohnen, und 1,5 Millionen Briten, die in der EU-27 leben. Laut Barnier ist sichergestellt, dass keiner von ihnen auch nach dem Austritt Londons diskriminiert wird. Relevant für die Beanspruchung der Rechte soll der Tag des Austritts sein. Die Garantie gilt auch für alle Familienmitglieder sowie die Kinder, die nach dem Brexit geboren oder adoptiert werden. Die Einigung bedeutet etwa, dass Krankenschwestern und Ärzte vom Kontinent, die im englischen Gesundheitssystem arbeiten, auf Dauer bleiben dürfen. Studenten können auch nach dem Abschluss im Land bleiben und einen Job suchen. Alle Ansprüche an Rente, Krankenversicherung und andere soziale Sicherungssysteme können Betroffene mitnehmen. Der Rechtsakt, den London EU-Bürgern abverlangen wird, um sich registrieren zu lassen, muss der Vereinbarung zufolge unbürokratisch und kostengünstig sein. Die Rede ist von maximal 80 Euro. Umstritten war bis zuletzt, welche Gerichte bei Streitfällen angerufen werden. London stimmte zu, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuständig ist. Allerdings sollen laut Vereinbarung alle typischen Streitfälle innerhalb von acht Jahren nach dem Brexit vom EuGH entschieden sein. Anschließend sollen allein die britischen Gerichte urteilen.

Um die genaue Höhe der Austrittsrechnung geht es erst später

Beim Geld gibt es nur eine Grundsatzeinigung. Es ist also nicht in Euro und Cent festgehalten, wie hoch die Austrittsgebühr für London ausfällt. Allerdings erwartet Brüssel ohnehin erst am Ende der Verhandlungen eine Einigung auf eine konkrete Summe. Die Regierung in London schätzt, dass die Summe, die in den nächsten Jahren nach Brüssel überwiesen werden muss, zwischen 40 und 45 Milliarden Euro betragen wird. Klar ist, dass der Netto-Zahler Großbritannien auch nach dem Austritt noch 2019 und 2020 seinen vollen finanziellen Beitrag von zuletzt rund elf Milliarden Euro pro Jahr leisten muss. Klar ist zudem, dass London alle finanziellen Verpflichtungen erfüllen muss, die das Land in der Zeit der EU-Mitgliedschaft eingegangen ist. Barnier räumte auf Nachfrage ein, dass er insofern finanzielle Zugeständnisse gegenüber London gemacht hat, als er nun nicht mehr darauf besteht, dass London komplett die Kosten für den Umzug der beiden EU-Agenturen für Medikamente und Bankenaufsicht trägt.

Am schwierigsten waren die Verhandlungen um die künftige Grenze zwischen EU und Großbritannien auf der irischen Insel. Die nordirischen Unionisten-Partei DUP, mit der May eine Regierung im Unterhaus bildet, hatte sich zuvor in letzter Minute am Montag einem Kompromiss verweigert. Zu Beginn der Woche hatte Foster ihr Veto gegen einen Entwurf der Brexit-Vereinbarung eingelegt, der bei einem Mittagessen Junckers und Mays auf dem Tisch lag.

May versprach am Freitagmorgen, dass es nicht zu einer „harten Grenze“ zwischen der Republik und Nordirland kommen werde. Damit erfüllte sie eine entscheidende Forderung der EU-27. London werde respektieren, dass Irland Teil der EU-Zollunion und des europäischen Binnenmarktes ist. Gleichzeitig will London den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen. Wie beide Bedingungen in Nordirland zu gewährleisten sind, darüber sagt der Bericht nichts aus.

Unionisten-Partei DUP sieht noch Klärungsbedarf

Trotz dieser Unklarheiten zeigte sich die DUP-Vorsitzende Arlene Foster zufrieden mit der Vereinbarung. Sie erklärte allerdings auch, dass es bei einigen Details noch Klärungsbedarf gebe. Insbesondere erwähnte sie den Passus, dem zufolge das Vereinigte Königreich künftig die „volle Anpassung“ an die Regeln des Binnenmarktes beachten will, welche die Kooperation zwischen dem Norden und dem Süden der irischen Insel gewährleisten. May und Foster hatten bis zum späten Donnerstagabend immer wieder miteinander telefoniert, um sich über den genauen Wortlaut der Vereinbarung zu verständigen.

Die Verflechtungen zwischen dem katholischen Süden und dem mehrheitlich protestantischen Norden sind groß. So gibt es etwa einen gemeinsamen Markt für Elektrizität. Hier gilt es noch, „kreative Lösungen“ zu finden, gab Barnier zu bedenken. Der Franzose machte aber auch deutlich, dass London die Bringschuld hat: „Wie May gesagt hat, stellt Irland eine einzigartige Situation dar, die spezieller Lösungen bedarf.“

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