zum Hauptinhalt
Das böse Erwachen der einen ist die Freude der anderen?

© Karikatur: Klaus Stuttmann.

Bundestagswahl: Nichtwähler gefährden nicht die Demokratie

In diesen turbulenten Zeiten werden Nichtwähler mit Verachtung bedacht. Das haben sie nicht verdient. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Barbara John

Nichtwähler gelten vielen als Totengräber der Demokratie, zumindest in Internetforen. Andere wollen sie einfach gesetzlich zwingen, zu wählen. Wieder andere werben seit Wochen in großen Zeitungsanzeigen für eine „Wahlbeteiligung von über 90 Prozent“ bei dieser Bundestagswahl, wie es die unabhängige Initiative tut (# mitmir 90prozent). Das ist ein Wert, der bisher erst- und einmalig vor 45 Jahren erreicht wurde, und zwar bei der Bundestagswahl 1972. Von da an ging's bergab. Auf nur noch 70,8 Prozent im Jahr 2009, gefolgt von gerade mal 0,7 Prozentpunkten vor vier Jahren. Für die heutige Wahl wird ein Nichtwähleranteil unter allen Wahlberechtigten von 28,5 Prozent prognostiziert, also etwa 17 Millionen Menschen. Damit erreichten die Nichtabstimmer von allen Wahlberechtigten den höchsten Prozentanteil.

Obwohl es diesmal Gründe gibt, dass nicht wenige, bisher abstinente Wahlberechtigte heute wählen gehen, weil das Flüchtlingsthema hoch emotional besetzt ist, stellt sich die Frage, ob die Nichtwähler tatsächlich so viel Verachtung und Schmähung verdienen, wie ihnen öffentlich entgegengebracht wird. Ziemlich daneben ist der Vorwurf, sie gefährdeten die Demokratie. Das bringen eher Wähler fertig, die Parteien oder Personen wählen, die freie, politisch pluralistische Gesellschaften in totalitäre umformen. Alles schon dagewesen in Deutschland. Nichtwähler haben auch keinen Einfluss darauf, ob die vorgegebenen 598 Sitze im Bundestag alle besetzt werden. Keine Bange, das funktioniert, solange es Wähler gibt. Nur wenn die Sitzvergabe abhängig wäre von der Wahlbeteiligung aller Berechtigten und nicht von den abgegebenen gültigen Stimmen, blieben Sitze leer. Bei 71 Prozent Beteiligung wären das immerhin 180.

Nichtwähler ändern also nichts am Kern der Wahlen zum Bundestag. Ich bin sicher, dass die meisten das auch wissen, es interessiert sie nur nicht. Sie bewegen aber auch nichts. Im Gegenteil, sie überlassen es allein den Wählern, eine politische Suppe zu kochen, die sie dann, ob sie ihnen schmeckt oder nicht, mit auslöffeln müssen. Na dann guten Appetit.

Mehr Kommentare, Reportagen und interaktive Analysen? Alles rund um die Wahl finden Sie auf unserem Wahl-Spezial wahl.tagesspiegel.de.

Zur Startseite