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Linken-Fraktionschef Gregor Gysi warnt davor, dass die Demokratie Schaden nehmen könnte.

© dpa

Der neue Bundestag: Oppositionsrechte sind in Gefahr

Die Oppositionsparteien befürchten, im Parlament kaum handlungsfähig zu sein, weil sie zahlenmäßig zu schwach sind. Auch Union und SPD sehen das Problem und kündigen Lösungen an. Aber es gibt auch die Warnung vor "exzessiv ausgebauten Minderheitsrechten".

Wenn in der kommenden Legislaturperiode die Redezeiten im Deutschen Bundestag verteilt werden, dann hat – im Falle einer großen Koalition – die Opposition schlechte Karten. Von einer Stunde gehören nur zwölf Minuten der Opposition. Da wird das Gedrängel, wer Reden darf, groß werden.

Dass den Oppositionsfraktionen im Fall einer großen Koalition so wenig Redezeit zusteht, liegt an ihrer zahlenmäßigen Schwäche. Linke und Grüne kommen zusammen auf 127 Abgeordnete, was nur 20 Prozent der Mitglieder des Deutschen Bundestages entspricht. Damit laufen sie Gefahr, fundamentale Minderheitenrechte im Parlament nicht wahrnehmen zu können. Denn viele dieser Rechte sind an ein Quorum von 25 Prozent geknüpft. Ein Untersuchungsausschuss kann beispielsweise nur auf Verlangen von einem Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestages eingesetzt werden. Auch die Einleitung eines Normenkontrollverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht ist an ein 25-Prozent-Quorum geknüpft. Diese beiden Fälle sind sogar im Grundgesetz so geregelt. Andere Minderheitenrechte hält die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages bereit. So etwa eine öffentliche Anhörung in einem Ausschuss zu beantragen, was aber auch an ein 25-Prozent-Quorum geknüpft ist. Um beispielsweise das Quorum für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses herunterzusetzen, ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig, weil es sich um eine Grundgesetzänderung handeln würde.

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der sich bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 22. Oktober zur Wiederwahl stellt, in einem Brief auf die Situation hingewiesen. „Eine große Koalition ohne eine mit Minderheitsrechten ausgestattete Opposition würde das parlamentarische System schwächen, womöglich extremistische Parteien stärken und die Wahlbeteiligung senken“, schreibt Gysi. Er spricht sich nicht dafür aus, die Quoren zu senken, aber eine Regelung zu finden, wonach die Rechte der Oppositionsfraktionen „auch dann wahrgenommen werden können, wenn sie gemeinschaftlich über weniger Sitze im Bundestag verfügen als im Quorum verlangt werden, aber gemeinsam das entsprechende Recht wahrnehmen“. Auch die Grünen machen sich Sorgen. Parlamentsgeschäftsführerin Britta Haßelmann hat bereits Verfassungsrechtler zu einem Fachgespräch eingeladen.

Allerdings wird das Problem auch in Union und SPD gesehen. Bei den Sozialdemokraten heißt es, dass man sich dafür einsetzen werde, dass die Opposition ihre vollen Rechte nutzen könne. Auch eine Anpassung der Quorenregelung wird erwogen. Sogar eine Regelung im Koalitionsvertrag ist denkbar. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung wird sich rasch nach seiner Konstituierung mit diesen Fragen beschäftigen. Thomas Strobl, CDU-Vize, ist Vorsitzender des Ausschusses. Er teilt die Bedenken. „Wenn es zu einer großen Koalition kommen sollte, muss man sich natürlich staatspolitische Gedanken machen, wie es um die Oppositionsrechte im Deutschen Bundestag bestellt ist“, sagte Strobl dem Tagesspiegel. Das Prinzip von Kontrolle und Ausgewogenheit sei so nicht optimal gegeben.

„Wir müssen uns gegebenenfalls überlegen, ob wir dann an der Geschäftsordnung auch etwas ändern“, sagte Strobl. Aber er schränkte ein: „Das müsste allerdings sehr behutsam geschehen. Exzessiv ausgebaute Minderheitenrechte lassen sich nur schwer zurückschrauben.“ Quoren hätten nicht den Sinn, Kleine klein zu halten, sondern sie sollten die Arbeitsfähigkeit des Parlaments schützen. „Sollten es extremistische Parteien mal ins Parlament schaffen, könnten diese auch Minderheitenrechte ausnutzen, um die Legislative lahmzulegen“, sagte er. Es sei denkbar, informelle Lösungen zu finden, „aber ich könnte verstehen, wenn sich die Oppositionsparteien damit nicht zufrieden gäben“.

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