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Besetzung der Berliner Stasizentrale am 15. Januar 1990. Die Akten sollten bewahrt und auf gesetzlicher Basis geöffnet werden. Foto: dpa

© picture-alliance/ ZB

Politik: Ein 45-köpfiger Sonderfall

Staatsrechtler warnen vor Änderungen am Stasiunterlagengesetz. Die Debatte trübt das 20-jährige Jubiläum.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Das letzte Wort hat der Bundespräsident, und das hat er noch nicht gesprochen. Bei Christian Wulff liegt seit Ende November das novellierte Stasiunterlagengesetz und harrt der Ausfertigung. Was eigentlich ein rein formaler Akt ist, erfährt nun noch einmal beträchtliche Aufmerksamkeit. Denn namhafte Politiker, Staats- und Verwaltungsrechtler halten das Gesetz für rechtsstaatswidrig.

Anstoß nehmen sie vor allem am neu eingefügten Paragrafen 37a. Er bestimmt, dass in der Stasiunterlagenbehörde beschäftigte frühere Stasimitarbeiter innerhalb der Bundesverwaltung zu versetzen sind. Die entsprechende Passage war eigens in das Gesetz aufgenommen worden, um 45 dort noch tätige frühere Stasileute aus der Behörde zu entfernen. Diese Absicht hatte der neue Behördenchef Roland Jahn schon am Vortag seines Amtsantritts im März öffentlich bekundet. Der Gesetzgeber folgte ihm, nach heftigen Debatten in Bundestag und Bundesrat, mit der Koalitionsmehrheit.

Es sei ein „Einschnitt“, ja, eine „Diskriminierung“ dieser Leute, wenn sie jetzt, 20 Jahre nach ihrer Einstellung, versetzt würden, zumal sie damals ganz bewusst übernommen worden seien, um die anstehenden Aufgaben der Behörde effizient zu lösen, sagt der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis, Emeritus der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität. Am meisten erregt ihn, dass der Gesetzgeber zugleich Dienstherr der Betroffenen ist. Es müsse eine sorgfältige Abwägung getroffen werden, und die jetzige Bestimmung sei nach 20 Jahren „unverhältnismäßig und rechtsstaatswidrig“. Es sei „ein spezieller Fall von Rückwirkung“.

Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Thierse spricht von einem „rückwirkenden Einzelfallgesetz“, das allein dazu dienen solle, ein Personalproblem zu lösen. Er habe schwerwiegende Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Der Bundespräsident solle es „in besonders ernsthafter Weise prüfen“, riet der Bundestagsvizepräsident. Warnungen der Befürworter des Gesetzes, dass dessen Scheitern ein Ende der darin geregelten Stasi-Überprüfungen bedeuten würde, weil diese Regelung im alten Gesetz am Ende des Jahres ausläuft, weist Thierse zurück. „Der Bundestag könnte das Gesetz innerhalb der ersten zwei bis drei Monate des neuen Jahres novellieren. In dieser Zeit würde bei den Überprüfungen nichts anbrennen.“

Auch der Freiburger Fachanwalt für Verwaltungsrecht Michael Kleine-Cosack hält die in der Novelle enthaltene Regelung für die 45 Stasileute für „rechtsstaatlich indiskutabel“ und „unzulässiges Mobbing“. Der Gesetzgeber könne nicht einfach am Grundgesetz vorbei argumentieren, sagt Kleine-Cosack, der im Sommer bereits als Sachverständiger bei der Anhörung zum Gesetzentwurf heftig gegen die Verlängerung der Stasi-Überprüfungen bis zum Jahr 2019 gestritten hatte.

Ausgerechnet zum 20. Jahrestag des Stasiunterlagengesetzes wirft der Streit nun einen Schatten auf die durchaus angemessenen Würdigungen. Denn das am 29. Dezember 1991 in Kraft getretene Gesetz machte die Geheimdienstakten denen zugänglich, die von der Mielke-Truppe ausspioniert worden waren, es regelte den Umgang mit diesem papiernen Erbe und beschrieb die Regeln der für diese Aufgaben zuständigen Behörde. Das war – und ist bis heute – nach dem Sturz einer Diktatur ein weltweit einmaliger, von vielen osteuropäischen oder mittlerweile auch arabischen Staaten hochachtungsvoll kommentierter Vorgang bei der Vergangenheitsaufarbeitung.

Gleichwohl gab es schon zur Geburtsstunde und über die Jahre hinweg immer wieder Kritik an dem Gesetz. Manche befürchteten, die Aktenöffnung könne Hexenjagden und Gewalt auslösen. Andere argwöhnten, das Gesetz, das das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Dritten wahrte, solle „Wessis“ schützen. Wieder andere beklagten, dass die eigene Forschungsabteilung der Behörde ein Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit sei. Wolfgang Thierse, der damals das Gesetz noch selbst mit auf den Weg gebracht hatte, verweist darauf, dass es eben ein „Ausnahmegesetz, ein Sondergesetz“ sei, und das habe mit seiner Vorgeschichte zu tun – entstanden aus einer friedlichen Revolution heraus.

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