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Ästhetik: Ware Schönheit

Überall glatte Gesichter und pralle Brüste: Unser Blick auf den eigenen Körper verändert sich. Kann sich da noch Persönlichkeit entfalten?

Von Patricia Wolf

Schon einmal mit dem Gedanken gespielt, sich diese Falte über der Nasenwurzel beseitigen zu lassen? Oder von Körbchengröße D geträumt? Vielleicht sind Sie unglücklich, dass die Quälerei im Fitnessstudio nicht den ersehnten Erfolg hat und liebäugeln mit einer Fettabsaugung? Sie befinden sich in guter Gesellschaft. Schätzungsweise eine Million Deutsche hat vor, sich demnächst einem ästhetischen Eingriff zu unterziehen. Man geht nach Feierabend zum Hautarzt, um störende Altersflecken entfernen zu lassen. Verschwindet in der Mittagspause, um sich eine Ration Botox zu gönnen. Oder fährt für einen „Wellnessurlaub“ nach Tschechien, wo eine Brustvergrößerung schon ab 2000 Euro zu haben ist. Die Zahl der Deutschen, die sich ihr Antlitz operativ optimieren ließen, hat sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt. Künstliche Schönheit ist längst kein Tabu mehr und keine Domäne von gelangweilten Millionärsgattinnen, Managern oder Prominenten wie Silvio Berlusconi, Britney Spears oder Courtney Love. In Magazinen kann man nahezu jede Woche Erfahrungsberichte lesen, ob sich die Bauchstraffung gelohnt hat. Ob „Brigitte“, „Stern“ oder „Vanity Fair“, in seitenlangen Dossiers geht es längst nicht mehr um Pro & Contra, um Risiken und Nebenwirkungen. Die entscheidenden Fragen sind: Wie? Was? Wo?

Es scheint, als ließe der Verlust von Bindungen und Gewissheiten im Leben uns danach streben, unser Seelenheil im kühlen Schein der Oberfläche zu suchen. Die Sucht nach Design als Surrogat für die Sehnsucht nach Sinn und Tiefe. Klingt übertrieben? Die Kritiker sehen das anders. Schon vor drei Jahren bildete sich die „Koalition gegen den Schönheitswahn“, eine Initiative der Bundesärztekammer. Gemeinsam haben Vertreter aus Politik, Kirchen und Gesellschaft darüber beraten, wie sie den Trend insbesondere bei Jugendlichen stoppen können. Schon jetzt werden 10 Prozent aller ästhetisch-plastischen Operationen an unter 20-Jährigen vorgenommen. Und sie werden immer jünger. Kürzlich berichtete „Bild“ aus Hollywood – von Schönheitsfarmen für Kleinkinder.

Wo hört natürliche Schönheit auf, wo ist die Grenze zur künstlichen? Lidstrich, Haarfarbe, Perücke: natürlich? Was ist mit Kontaktlinsen oder Zahnspange? Dem Push-up-BH?

Ob Khol und gezupfte Augenbrauen bei den Ägypterinnen, am natürlichen Wachstum gehinderte, festgebundene Füße bei den Chinesinnen, Atemluft abschnürende Korsetts bei Hofe – die Fantasie war schon immer grenzenlos, wenn es darum ging, den Körper mit Farbe und Handwerkszeug zu modellieren. Wer schön sein will, muss eben leiden. Doch im vergangenen Jahrhundert erfuhr die Sehnsucht nach ewiger Jugend technische Machbarkeit. Ihre Adepten, die Schönheitschirurgen, haben unser Verhältnis zur Schönheit grundlegend verändert. Makel gelten nun als behebbar, und die Menschen sind bereit, ihre Gesundheit zu riskieren, in der Hoffnung, mit einer Fettabsaugung auf eine Diät verzichten zu können.

Schönheit ist erschwinglich geworden. Pralle Brüste oder eine gerade Nase kosten mittlerweile auch nicht mehr als ein Urlaub, und so sind die Patienten in den Wartezimmern der einschlägigen Ärzte auch Krankenschwestern, Busfahrer oder Bankangestellte. Lieber aufs neue Sofa verzichten, um in den eigenen Liebreiz zu investieren. Erleben sie doch in Werbung und Filmen beständig, dass die Schönen das verheißungsvollere Leben führen. Schönheit gleich Glück – die Formel gilt. Sind wir erst mal schön, so lauten die Verlockungen und Glücksversprechen der uns allüberall umgebenden Bilder, ist der Weg aus unserem langweiligen Alltag mit seinen Routinen ganz einfach. Aber sind schöne Menschen wirklich glücklicher? Wir wissen es nicht. Doch dass attraktive Menschen viele Vorteile genießen, scheint bewiesen zu sein. Wissenschaftler aus der Attraktivitätsforschung konnten in zahlreichen Studien darlegen, dass überdurchschnittlich Attraktive als Kinder mehr Küsse bekommen, Lehrer ihnen höhere Intelligenz attestieren und bessere Noten geben. Die hübsche Kellnerin darf mehr Trinkgeld, der schöne Angestellte mehr Gehalt erwarten. Vor Gericht ist auch Justitia nicht blind, der gut Aussehende kommt mit einer geringeren Strafe davon.

Im Deutschen stand die Vokabel „schön“ ursprünglich für „das, was angesehen wird“. Und schon in Grimms Märchen sind die Schönen die Guten, und im Hässlichen versteckt sich das Böse.

Aber was ist schön? Liegt Schönheit nicht im Auge des Betrachters? Ganz und gar nicht. Attraktivitätsforscher sind zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen: Beispielsweise fanden Judith Langlois und ihre Kollegen von der Universität Texas heraus, dass schon vier Tage alte Babys ein schönes Gesicht länger als ein weniger attraktives betrachten. Gibt es also ein universelles Verständnis von Schönheit? Schließlich bewundern wir noch heute die Nofretete oder Botticellis Venus. Zugleich unterliegt der Körper einem steten Wandel in dem, was als attraktiv gilt. Die schöne Ägypterin war schlank, mit kleinen Brüsten. Im Barock mit seinen sprichwörtlichen Formen galt das Gegenteil. Androgyne Models wie Kate Moss prägten in den Neunzigern den Begriff vom Heroin-Chic.

In der Beurteilung dessen, was ein schönes Gesicht ausmacht, unterliegen wir diesen Moden nicht so sehr. Hier gibt es jenseits von Zeit und Ländergrenzen Konstanten. Aber was ist ein schönes Gesicht? Auch auf diesem Feld gibt es unzählige Studien und Experimente. Sie alle kommen zu dem verblüffenden Ergebnis, dass Durchschnittlichkeit ein wesentlicher Faktor ist. Werden mehrere Gesichter fotografisch oder computergesteuert übereinandergelegt, wird das daraus resultierende Durchschnittsgesicht am attraktivsten empfunden. Zudem weisen schöne weibliche Gesichter Merkmale auf, die typisch für kleine Kinder sind: glatte Haut, große Augen, hohe Stirn, niedrige Kieferpartie. In Verbindung mit sogenannten Reifezeichen wie hohen Wangenknochen und schmalen Wangen ergeben sie das perfekte Gesicht. Brigitte Bardot ist übrigens der Prototyp für das Kindchenschema.

Schönheit ist ein Massen- und Medienphänomen. Entsteht dadurch ein gesellschaftlicher Druck, der dazu führen wird, dass jeder, der mit Nasenhöcker, Doppelkinn oder Krähenfüßen durch die Gegend spaziert, schief angesehen oder gar ausgegrenzt wird? So wie fehlende Zähne als Zeichen für Armut gelten?

Die Geschichte ist reich an Beispielen, dass Schönheit und das Streben nach ihr in vielen Gesellschaften und Kulturen einen hohen Wert hatten. Der berühmteste Schönheitswettbewerb der Geschichte, bekannt als Urteil des Paris, zog sogar den Untergang Trojas nach sich. In der Renaissance kam mit dem Aufleben des klassischen Ideals die Beschäftigung mit Schönheit wieder auf. Der Genueser Chirurg Gaspare Tagliacozzi gilt als Wegbereiter der modernen Schönheitschirurgie. Er entwickelte im 16. Jahrhundert ein Verfahren, das die Nasenrekonstruktion aus Eigengewebe erlaubte. Die erste Operation, die aus rein ästhetischen Motiven durchgeführt wurde, wurde 1898 durchgeführt, als sich ein Mann seine zu „jüdische“ Nase begradigen ließ. Und spätestens nach dem ersten Weltkrieg gab es für Ärzte mit hunderttausenden versehrten Gliedmaßen ausreichend Arbeit.

In den USA lautet die Parole: lieber künstlich schön als natürlich hässlich. Die Amerikaner sind denn auch weltweit Spitzenreiter bei Beautytreatments. Die Amerikanische Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (Asaps) nennt für das vergangene Jahr 11,5 Millionen Eingriffe, unter den nicht operativen sind Botox-Injektionen am beliebtesten, Liposuktionen bei den chirurgischen Behandlungen. Und hierzulande? Die Vereinigung der deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC) schätzt die Zahl für das Jahr 2005 auf etwa 700 000 Eingriffe, ein Viertel davon aus kosmetischen Gründen. Deutschland befindet sich damit an sechster Stelle hinter den USA, Mexiko, Brasilien, Japan und Spanien.

Der neueste Trend hat gerade deutsche Schlafzimmer erreicht: die Intimchirurgie. Schamhaartransplantation, Vaginaverjüngung, Penisverlängerung. Apropos starkes Geschlecht. Schien es nicht gefeit vor Eitelkeiten? 13 Prozent aller kosmetischen Operationen entfallen inzwischen auf Männer – mit steigender Tendenz. Gerade aus beruflichen Gründen ringen sich immer mehr Männer zu einer Operation durch. Wollen sie in einer Geschäftswelt, in der alles unter Kontrolle zu sein scheint, bestehen, müssen sie eine dynamische Figur abgeben – das macht sich schlecht mit Bierbauch. So sind denn auch Fettabsaugungen bei Männern am gefragtesten. Die Kinnkorrektur ist ebenfalls sehr beliebt. Weil ein markantes Kinn, angeblich Ausweis eines hohen Testosteronspiegels, im männlichen Gesicht ein Garant für Durchsetzungskraft zu sein verspricht.

Als Wundermittel der Branche gilt Botox, kurz für Botulinumtoxin – ein hoch wirksames Gift. Seit Mitte der neunziger Jahre wird es zur Faltenbehandlung eingesetzt. Das Gift lähmt den Muskel, so dass dieser nicht mehr kontrahieren kann und somit ein paar Tage nach der Injektion eine Entspannung der entsprechenden Gesichtspartie eintritt. Eine Botox-Spritze kostet mit rund 250 Euro auch nicht mehr als zwei paar Stiefel – mit dem Unterschied, dass die Stiefel länger als eine Saison halten. Denn nach etwa 4 bis 6 Monaten läßt der Effekt nach. Ein Berliner Schönheitsinstitut, an dessen Schaufenster bei der Eröffnung in großen Lettern „Botox to go“ prangte, wirbt auch mit einer Flatrate gegen Falten. Da verwundert es nicht, dass Botox den Ruf hat, Einstiegsdroge im Sisyphuskampf gegen das Altern zu sein. Zumal es nur bei Mimikfältchen hilft. Weil es gegen die Schwerkraft nichts auszurichten vermag, dient es doch eigentlich nur als vertrauensbildende Maßnahme und Vorbereitung für den irgendwann nicht mehr zu umgehenden ganz großen Eingriff, das Lifting.

In Los Angeles, der Einflugschneise Hollywoods, gilt es inzwischen als normal, operiert zu sein. Der eigene Körper wird zum Statussymbol. Niemand schämt sich mehr, dass seine Jugendlichkeit einem unechten Jungbrunnen entstammt. Im Gegenteil. Seht her, ich habe genug Geld, um mir meine hängenden Augenlider liften, mir ein anständiges Dekolleté oder eine hübsche kleine Nase machen zu lassen! Das ist die Botschaft.

Noch gibt es in unserer globalisierten Welt regionale Unterschiede in der Betrachtung dessen, was schön ist. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gilt: bigger is better. Mehr Volumen in der Bluse ist das Nonplusultra. In Mexiko liebt man einen üppigen J-Lo-Po. In Südkorea, wo sich schon 13 Prozent der Bevölkerung künstlich verschönern lassen, spielen vor allem ethnische Gründe eine Rolle. Im Land mit der höchsten Pro-Kopf-Dichte an Schönheitschirurgen weltweit sind helle Haut und westliche Kulleraugen das Objekt der Begierde, und nicht selten schenken Eltern ihrer minderjährigen Tochter eine Lidfaltenplastik zum Geburtstag. Der erste Schönheitswettbewerb der ganz besonderen Art indessen wurde in China veranstaltet. Dessen Teilnehmer rekrutierten sich ausschließlich aus Kandidaten, die sich bereits unters Messer gelegt hatten.

Wie viel Körper braucht der Mensch? Welche Einflüsse und Veränderungen haben dazu beigetragen, Schönheit als kollektive Obsession erscheinen zu lassen? Seitdem die Funktion von Mode keine verhüllende mehr ist, sondern dazu dient, den Körper auszustellen, ist dieser in den Vordergrund gerückt. Mobilität und gestiegenes Tempo lassen uns im Beruf wie in der Freizeit immer mehr Menschen begegnen – wir präsentieren uns auf dem Markt der Eitelkeiten immer schneller und öfter. Die Bedeutung des Augenblicks wächst, der erste Eindruck ist entscheidend.

Dazu kommt der demografische Wandel. In unserer rasant alternden Gesellschaft kommt Jugendlichkeit eine mythische Bedeutung zu. Zwar galt Jugend schon immer als sexy, suggeriert jugendliches Aussehen doch höchste Fruchtbarkeit. Indes bedeutet Jugend heute eher einen Zustand als eine Alterszuschreibung. Wir leben in einer Zeit, in der 40-Jährige mit dem Gefühl durchs Leben stolpern, dass das Beste noch vor ihnen liegt. In dem Maße, in dem Jugend immer seltener in der Natur vorkommt, wird sie zur unermesslichen Währung.

Und die Bilder, denen wir ausgeliefert sind: perfekt geformte Körper und makellose Gesichter, denen noch das kleinste Pickelchen wegretuschiert wurde. Wir begegnen ihnen auf Plakatwänden, Magazinen, im Kino. Diesem beständigen Input können wir uns kaum entziehen – und so kommt es zu einer immer stärkeren Diskrepanz zwischen unserem normalen Körper und seiner Idealisierung. Der durchgestylte und hochgetunte Körper wird zur Richtschnur, während der eigene als Mangelwesen betrachtet wird, das es zu bearbeiten gilt. Dass dabei in hohem Maße einem unwahrscheinlichen Körperideal gehuldigt wird, ist derzeit besonders augenfällig. Nicht nur kleine Mädchen wollen Barbie sein, deren Maße in der Natur höchst unwahrscheinlich sind: sehr groß, sehr schlank, sehr schmale Hüften, sehr lange Beine – und Körbchengröße D. Das muss scheitern wie der Kampf gegen die Schwerkraft. Doch die Sehnsucht, dem ersehnten Wesen nahezukommen, wächst proportional mit der Einsicht, dass dies eigentlich nicht zu schaffen ist. Vielleicht geht es auch gar nicht um das Ziel – vielleicht ist der Weg das Ziel. Auch wenn er gesäumt ist von kaputten Gelenken. Gutes Aussehen wird zu einer Leistung, die sich perfekt in unser protestantisch geprägtes Arbeitsethos integrieren lässt.

Was das nun alles für unsere Betrachtung von Schönheit bedeutet? Im Zeitalter der technischen Modellierbarkeit des Körpers kehrt sich das Melancholische, das dem Ursprünglich Schönen eigen ist, um. Schönheit wird nun zu einem Ziel, auf das man hinarbeitet.

Sollten Sie nicht zu denen gehören, die bisher über eine künstliche Verschönerung nachgedacht haben – sind Sie wirklich sicher, dass Sie auch in zehn Jahren noch so denken?

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