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Geschichte: Wetterfest und sturmerprobt

Er bietet Schutz gegen Sonne und Wind. Auch gegen Regen. Er ist sehr deutsch. Und nun wird der Strandkorb 125 Jahre alt. Vielleicht.

Heringsdorf, Usedom. Luft: 16 Grad, Wasser: 14 Grad. Vom Himmel hoch fällt Regen hinab, der Wind peitscht ihn in die Waagerechte. Und die See tobt. Na ja, das ist jetzt ein bisschen übertrieben, in Wahrheit regnet es, der Wind bläst ein wenig und die See kräuselt sich. Aber Strandwetter ist ehrlich nicht an diesem späten Julitag. Es ist sogar ziemlich ungemütlich an der Ostsee. Oben auf dem Pier drängen sich die Menschen in den Cafés, die müssen ja auch keinen Selbstversuch machen.

Der Selbstversuch:

„Kann ich einen Strandkorb haben?“

„Bei dem Wetter?“

„Warum nicht?“

„Na ja, bitte. Ostsee, Nordsee oder Platte?“

„Hä?“

„Berliner, wa?“

„Ja, aber …“

„… schauen Sie, wir haben hier das Ostseemodell und das Nordseemodell und das Plattenmodell.“

„Das Plattenmodell ist das blaue da hinten, das ohne Korbgeflecht?“

„Genau, DDR, blaue Platte.“

„Das Wasser da ist ja wohl die Ostsee. Dann nehme ich auch das Ostseemodell.“

„Gute Wahl, der Herr, Stunde zwei Euro, Tag sieben.“

Man muss dazu wissen, dass das Ostseemodell geschwungene Seitenteile hat und eine rundliche Haubenform. Es sieht ein bisschen britisch aus. Das Nordseemodell hat gerade Seitenteile und eine eher kantig wirkende Haubenform. Es sieht ein bisschen nach Ikea aus. Das Plattenmodell geht gar nicht, wenn man auf der Spur des Strandkorbes ist. Platte und Korb sind nicht kompatibel.

Luft: 16 Grad. Wasser: 14 Grad. Der Wind peitscht den Regen in die Waagerechte, na und? Steht der Strandkorb mit dem Rücken zu Lee und nicht zu Luv, was will er einem antun? Für die Berliner und die anderen Landbewohner: Lee ist die Richtung, die wir Seeleute die nennen, aus der der Wind kommt. Luv ist die Richtung, aus der der Wind nicht kommt. Klar? Man muss einfach nur den Strandkorb so drehen, dass man nach Luv schaut, dann peitscht der Wind den von oben herabfallenden Regen waagerecht gegen Lee in den Rücken des Strandkorbes. So schwer ist das ja nun auch nicht.

Der Strandkorb. Wir feiern in diesem Sommer sein 125-jähriges Geburtsdatum. Es war im Frühling 1882, als eine vornehme ältere Dame die Werkstatt des Hof-Korbmachermeisters des Großherzöglichen Hofes zu Rostock Wilhelm Bartelmann, Lange Straße 73, betrat und eine Sitzgelegenheit „als Schutz gegen Sonne und Wind“ verlangte. Die Dame war ein wenig malade, hatte Rheuma, weswegen ihr der Arzt dringend vom Aufenthalt am Meer abgeraten hatte. Aber sie war, so viel zum frühen Vertrauen ins Gesundheitswesen, auch renitent und wollte das Meer nicht missen. Wilhelm Bartelmann, so geben es alte Fotografien her, ein Mann von absolut preußischem Aussehen, wiewohl mit verschmitzten, lebensfreudigen Augen, baute den Stuhl. Der Strandkorb war geboren. Dummerweise vergaß Bartelmann für sein Gebilde ein Patent anzumelden.

Das kann alles so gewesen sein. Oder auch nicht. Die Geschichte macht die Runde, seit Angela Merkel die Macht der Welt im Juni des Jahres am Ostseestrand in Heiligendamm zum G-8-Gipfel empfing. Und weil das so ein, wenn nicht weltbewegender, so doch welterreichender Termin ist, hatte sich das Büro des mecklenburgisch-vorpommerischen Landesmarketings gedacht, dass es doch eine witzige Idee sei, Frau Merkel mit Mister George W. Bush, Monsieur Nikolas Sarkozy, Shinzo Abe-San, Gospodin Wladimir Putin, Mister Tony Blair, Signor Romano Prodi und Mister Stephan Harper in einen Strandkorb zu setzen. Und da so eine Idee ohne Werbeeffekt ja keinen Witz hat, wurde auch gleich noch der 125. Geburtstag des Strandkorbes ausgerufen. Der Gipfelkorb hat im Übrigen 200 Arbeitsstunden gekostet, 200 Kilometer Flechtband verbraucht, einen Kubikmeter Holz und Sperrholz und 42 laufende Meter Stoff. Er ist oben rechts zu sehen. Über die Kosten möchte der Hersteller, Mathias Fromholz, der Chef von Korb AG, der ältesten Strandkorb-Manufaktur Deutschlands in Heringsdorf auf Usedom, wirklich nichts sagen, „ich lade doch nicht Leute zu mir nach Hause ein und rechne ihnen dann vor, was das alles kostet“.

Ob die Dame aus Rostock tatsächlich den ersten Strandkorb in Auftrag gegeben hat, ist nicht ganz gesichert. Es ist nicht einmal ihr Name gesichert, die einen Strandkorbhistoriker sprechen von Friederike Maltzahn, andere behaupten, es sei ein Fräulein von Oerzen gewesen. Es gibt auf jeden Fall zahlreiche Hinweise, Gemälde, Fotografien, auf denen Strandkörbe zu sehen sind, „Esel-Siesta am Strand von Scheveningen“ von Josef Weinberger etwa, datiert 1878. Oder ein Reisebericht in der „Gartenlaube“, jener frühen Illustrierten, „Norderney: Villa Knyphausen und Villa Fresena“ von Franz Schreyer, 1880. Da haben die Maler eindeutig Strandkörbe gemalt, vor ihrer Erfindung. Aber bitte deswegen keinen Historikerstreit, ob die Welt nun das wirkliche Datum des Prototyps kennt oder nicht, es wird sie nicht erschüttern.

Fest steht, das ergab der Selbstversuch, der Strandkorb funktioniert. Mag der Sturm in Lee toben und fetzen, mögen die Möwen schreien, die Gischt über den Strand stieben, die Welt dem Untergang nah sein – im Strandkorb weht kein Hauch. „Ein eigentümlich bergendes Sitzhäuschen“, nannte Thomas Mann das Sofa am Meer und schrieb darin, im Seebad Nidden auf der Kurischen Nehrung, „Joseph und seine Brüder“. Da allerdings war Sonnenschein, und gegen den schützt so ein Strandkorb auch. Vor allen Dingen gegen die Sonne. Die war bekanntlich einst verpönt bei Adels und denen, die so wirken wollten. Braungebrannt, das war der Bauer und der Arbeiter unter freiem Himmel, wer auf sich hielt, suchte kein Sonnenstudio, sondern den Schatten.

Ostsee, Nordsee, blaue Platte? Warum es das Modell Platte, blau, gibt, lässt sich erklären, das hängt, na klar, mit der fulminanten Wirtschaftsmacht der DDR zusammen. Die ersten Körbe des Herrn Bartelmann wurden noch aus Weidenruten geflochten, schnell aber schon wurde es durch Rohr ersetzt, das aus Asien importiert wurde. Und da gab es dann in der DDR ein paar Engpässe, und Plaste kam ab 1954 zum Einsatz, die aber auch noch geflochten wurde. Es gab dann auch bei diesem Material ein paar Engpässe, auch wurden etliche Strandkorbflechter in die Kleinkorbwarenproduktion versetzt. Zurück blieben Schreiner, die die Körbe herstellten und das Flechtwerk durch gepresste Pappe oder Sperrholz ersetzten.

Aber Ostsee? Nordsee? Es lässt sich trefflich fantasieren in so einer leeabgewandten Trutzburg. Ob die unterschiedlichen Modelle etwas mit der Soziologie der Seebäder zu tun haben? Die an der Ostsee waren früh schon Reiseziel des Adels, der Vermögenden, der Herrschaften. Die an der Nordsee bekamen das bürgerliche Publikum ab, möglicherweise erklärt das den Unterschied zwischen dem eleganten Salonstil und dem funktionalen Billy-Korb.

Und wo wir jetzt schon einmal bei der Seele des Strandkorbes sind, er ist ein deutsches Stück, er hat weder den Sprung zu den nördlichen Stränden in Skandinavien, England, Holland geschafft, schon gar nicht zu denen im Süden, eher schon in die Alpen, aber da steht er nur im Garten rum. Der Strandkorb ist deutsch! Warum? Man kann ja an allem mäkeln, bitte: Der Strandkorb schottet ab, er funktioniert nach dem Guckkastenprinzip, links und rechts sind die Wände, vor einem besteht die Welt aus einem kleinen Ausschnitt. Und wenn dann noch der Vater mit dem Kinde eine schöne große Sandburg drumherum baut, und das macht er ja meistens, eine Burg, mit Muscheln verziert, dann ist das Klischee schon fast perfekt, ach ja, das Bier lagert im Fußkasten. Na, und Heimat ist der Strandkorb wahrscheinlich auch. Mathias Fromholz erzählt von einem Messebesuch in Südafrika, wo er seine Körbe anpreisen wollte. „Und von dieser Messe hatte eine Frau gelesen, die auf Norderney aufgewachsen und dann ausgewandert war. Die stand dann vor mir und berichtete, dass sie eigens 300 Kilometer von ihrem Wohnort aus gefahren sei, nur um mal wieder einen Strandkorb zu sehen.“ Aber, wenn man ehrlich ist, dann haftet dem Strandkorb auch etwas an von der gehäkelten Klopapierrolle im Heckfenster, vom fein gestutzten Vorgarten, vom Gartenzwerg.

Der Korb als solcher hat schon eine Menge mitgemacht. Erst war er eine Art hochgestellter Waschkorb mit Sitzgelegenheit darin, ausgeschlagen mit Markisenstoff. Dann wurde er Zweisitzer. Er bekam Fußstützen, Armlehnen, Seitentischchen. Dann wurde er gekippt, erst leicht, dann als Ganzlieger, und ein Modell, das war 1911, konnte man umkippen und damit aufs Meer hinausrudern. Es floppte aber. Wie auch die Erfindung eines Strandkorbes, der nach Gebrauch als Koffer zu nutzen war. Es gab, das war noch früher, 1906, den zusammenklappbaren Strandkorb, zum Patent angemeldet von einem Theodor Krech und einem Samuel Zwalina aus Meiningen. Das Modell konnte sich aber auf dem Markt nicht behaupten, vielleicht weil die Bauanleitung etwas kompliziert war: „Mit der Rückwand 1 sind die beiden Seitenbretter 2, die obere Querlatte 28 und die beiden unteren Brettchen 29 fest verbunden. Durch zwei untere, in den Brettchen gelagerte Zapfen 30 (Fig. 3, 7 und 8) und zwei obere, in der Querlatte 28 gelagerte Zapfen 31 (Fig. 3, 5 und 6) sind die Seitenwände 3 mit der Rückwand 1 gelenkig verbunden. Sie bestehen gleichfalls aus einem von Latten umgebenen Korbgeflecht und tragen durch Anschläge 32 den durch Zapfen 33 in den Seitenstücken 2 drehbar gelagerten Sitz 5.“ Dann geht man doch lieber gleich ins Wasser. Wir haben das Beispiel dem Band „Das Buch vom Strandkorb“ entnommen, in dem Moritz Holfelder allerlei Wissenswertes zum Strandkorb zusammengetragen hat. Ja, so etwas gibt es auch, ein eigenes Buch zum Strandkorb.

Und es gibt Sonderwünsche. Die Korb AG von Mathias Fromholz hat bereits Sitzheizungen eingebaut, hat einen Kühlschrank in der Mitte der Bank installiert, Halogenstrahler an die Decke geschraubt, Lautsprecher versteckt angebracht, was man eben so braucht, wenn man an den Strand geht. Einen Kinderstrandkorb kann man auch kaufen, einen Puppenkorb dazu, und für den Hund ist auch etwas Passendes da.

Der Strandkorb 2007, der Klassiker ohne Schnickschnack, heißt Rügen oder Sylt, Baltrum oder Fehmarn, Wangerooge oder Juist und besteht aus einheimischer Kiefer, aus Teak und Iroko, einem afrikanischen Gehölz, aus Stoffen und der Korb aus einem Kunststoffgeflecht. Das kostet. An die 700 Euro muss bezahlen, wer sich das Standardmodell zulegen möchte, Extras kosten extra. Wie viele Körbe an Deutschlands Küsten stehen, ist nur zu schätzen, Mathias Fromholz meint 100 000 bis 130 000, es steht demnach eine Menge Geld in Sand und Wind.

Und es sind schwere Zeiten für Strandkorbhersteller. Die Produktion ist ausschließlich Handarbeit, man kann sich die in Heringsdorf einmal in der Woche anschauen. Handarbeit ist teuer. Und in China und Indonesien sind die Arbeitskräfte billig, etwa die Hälfte aller Körbe in Deutschland, sagt Fromholz, käme inzwischen aus dem Import, „billiger, aber eben auch schlechter“. Was aber nicht heißt,wie er meint, dass der Strandkorb auf dem Rückzug sei. „Der Strandkorb ist auf dem Vormarsch, als Gartenmöbel nämlich, da wird er die Hollywoodschaukel als Statussymbol der Sechzigerjahre ablösen.“ Es ist wohl so, dass der Strandkorb bisher stark unterschätzt wurde, im „Buch zum Strandkorb“ heißt es auch abschließend ein wenig beleidigt, dass in der vierundzwanzigbändigen Brockhaus- Enzyklopädie kein Eintrag über dieses Möbel steht. „Macht nichts! Steht ja in der Zwischenzeit, bevor dieser Fehler in der nächsten Ausgabe behoben werden kann, tausendfach an deutschen Küsten.“ Wo doch so viel drin steckt in so einem Strandkorb.

Liedgut zum Beispiel. Und mit dem kehrt der Strandkorb, G-8-Gipfelkorb hin oder her, am Ende doch wieder in die niederen Gefilde deutscher Piefigkeit zurück. Ein Beispiel, ein frühes aus den siebziger Jahren? Ein Ray Miller mit Singers brachte es zum Vortrag. Eine Strophe geht so: „Und jetzt war der Strandkorb drei nicht mehr frei/ und sie sah mich allein in Nummer zwei/ und ich lachte sie ganz schön schnell an/ und sie lachte zurück, und unser Sommerglück begann ...“

Eine andere geht so: „Und jetzt ist Strandkorb zwei wieder frei/ haha, denn ich sitze mit ihr in Nummer drei!/ Keine Lust mehr zu gehen, es ist schön/ kann ich ihr, meiner Nixe, in die großen Augen sehen ...“ Puh! Ein letztes Puh, diesmal zum Besten gegeben von dem Volksmusikduo Andy & Bernd, in den neunziger Jahren: „Wenn die Strandkörbe wackeln, mein Kind, ja dann ist das nicht immer der Wind.“

Da hilft nur noch die Flucht.

„Und wollen Sie noch ein Stündchen?“

Der Strandkorbvermieter von Heringsdorf grinst immer noch ein wenig ungläubig. Der Strandkorb als solcher ist wohl doch mehr Sonnen- als Regenschutz.

„Ist meine Stunde um?“

„Wenn Sie sitzen bleiben wollen, müssen Sie nachzahlen.“

„Noch eine Frage, ist Platte, blau, billiger als Ostsee?“

„Nee, natürlich nicht.“

„Wieso natürlich?“

„Weil Sie, egal ob Sie aus Ostsee, Nordsee oder Platte, blau, gucken, immer auf das gleiche Meer gucken.“

Da ist was dran. Die Sonne kommt raus.

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