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Griechische Tristesse. Ein Mann schläft im Hafenviertel von Piräus auf einer Bank.

© imago/MiS

Griechenland: Pure Verzweiflung in einem ausgebrannten Land

Die Griechen sind zermürbt vom Sparkurs der Regierung – sie sehen keinerlei Fortschritte. Am Donnerstag beginnt der Syriza-Parteitag. Mit einer dialektischen Erkenntnis.

Geduld ist eine griechische Tugend geworden. Oder eher Gleichmut, ins Gleichgültige changierend. „Warten Sie noch“, sagt die Verkäuferin im Laden eines Telefonbetreibers. Einen Monat, vielleicht auch zwei. So lange braucht OTE, das einst staatliche griechische Telekommunikationsunternehmen, um eine Leitung freizuschalten. Der Einstieg der Deutsche Telekom 2011, im zweiten Jahr der Griechenlandkrise, hat augenscheinlich wenig an den Arbeitsprozessen geändert.

Am Ende des siebten Krisenjahres und ebenso vielen Regierungen sind die Griechen müde. So müde, dass sie kaum mehr aufbegehren. Nicht gegen den Schlendrian bei OTE oder bei den Postbeamten, mit denen sie am Schalter über die Herausgabe von Sendungen verhandeln müssen, die nur noch fallweise zugestellt werden. Nicht gegen den neuen Privatisierungsfonds unter Führung des Franzosen Jacques Le Pape, der als Vertreter der Geldgeber den Verkauf von Autobahnen oder der Wasserversorgung sicherstellen soll. Und auch nicht mehr gegen die Politiker.

Ganze fünf Prozent der Wähler erklären sich zufrieden mit der Arbeit der linksgeführten Regierung von Alexis Tsipras, dem einstigen Sparkursrebellen; 86 Prozent glauben einer Umfrage zufolge, alles im Land laufe nun in die falsche Richtung. Trotzdem passiert nichts. Mit Spott oder Bitterkeit quittierten Athener Zeitungen am Dienstag die Entscheidung der Euro-Gruppe, nur wieder einen Teil einer Teilrate des Kredits auszuzahlen: 1,1 Milliarden Euro statt der erhofften 2,8.

Eine halbe Million Griechen ist bereits ausgewandert

Tsipras geht am Donnerstag mit seiner arg gerupften Regierungspartei, der Koalition der Radikalen Linken (Syriza), in einen mehrtägigen Parteitag. Mehr als ein Jahr lang, seit der Abspaltung der Kreditgegner und Grexit-Befürworter im August 2015, hat der Regierungschef diese Aufgabe vor sich hergeschoben. Syriza ist eine leere Hülle geworden. Von dem Dutzend linksgerichteter Kleinparteien – Öko-Marxisten, Trotzkisten und Reformkommunisten – ist nur noch Synaspismos übrig geblieben, die linkssozialistische Kernpartei, die Tsipras selbst führte, ehe er sie im Syriza-Bündnis aufgehen ließ. Der Parteitag in einem Sportstadion verspricht eine große dialektische Übung: wie man die Sparpolitik ablehnt, aber doch befolgt, um ihr Scheitern zu beweisen.

Den Heizölverkäufer Thassis interessiert das alles schon lange nicht mehr. Seit fünf Jahren geht er zu keiner Wahl, so erzählt er, die Schulden erdrücken ihn. Knapp über 80.000 Euro sind es jetzt. Es hätten auch doppelt so viel sein können. „Die Bank hat mich immer gedrängt. Ich soll mehr nehmen, haben sie gesagt.“ Seine Tankstelle verkaufte er notgedrungen im vergangenen Jahr, das Heizölgeschäft behielt er.

Thassis, ein junger Familienvater, und sein Geschäft sind das klassische Beispiel für die Kreditblase, die nach Griechenlands Beitritt zur Euro-Zone rasant gewachsen war. Heute versucht er, sich mit einem Anwalt die Bank vom Leib zu halten. 500 Euro Honorar, und der Anwalt kann eine Stundung der Schuldenrückzahlung für ein weiteres Jahr arrangieren. „Ist das normal?“, wundert sich der Heizölverkäufer.

Faule Kredite

Gewissermaßen schon. Auf 900 Milliarden Euro wird die Summe der faulen Kredite in der Euro-Zone geschätzt. Knapp 85 Milliarden sind derzeit allein in der kleinen Volkswirtschaft der Griechen angelaufen. Die Tendenz ist sinkend. Häuserpfändungen und der Verkauf der Verbindlichkeiten an aggressive Schuldeintreiber galten lange als Tabu. Unter dem Druck der Kreditgeber hat die Linksregierung auch in diesem Punkt nachgegeben. Nun warten die Griechen gebannt auf die Gläubiger.

Euklid Tsakalotos, der Finanzminister und marxistische Wirtschaftsprofessor mit den unausrottbar höflichen Manieren eines Eaton-Absolventen, legte vergangene Woche seinen Haushaltsentwurf für 2017 vor. 300 Millionen Euro für soziale Leistungen besonders bedürftiger Familien hat der Minister eingeplant. Doch dies verblasst angesichts der nochmaligen Pensionskürzungen und der massiven Steuer- und Beitragserhöhungen, die von Beginn des nächsten Jahres an die berufstätigen Griechen treffen. Mehr als fünf Milliarden Euro will die Regierung damit einnehmen und so das Plansoll der Kreditgeber für 2017 erfüllen, ja sogar noch übertreffen. 1,75 Prozent Primärüberschuss – das Haushaltsplus ohne Schuldendienst – haben Griechenlands Kreditgeber festgelegt. Tsakalotos hält zwei Prozent Primärüberschuss und 2,7 Prozent Wirtschaftswachstum für machbar. Sein Vorgänger dagegen, der ehemalige konservative Finanzminister und heutige Zentralbankchef Yiannis Stournaras, nennt die Haushaltsziele von Syriza „unrealistisch und sozial unerreichbar“.

Bereits eine halbe Million Griechen sind seit Beginn der Finanzkrise ausgewandert, so heißt es in einer Studie der Zentralbank. Es sind die qualifizierten Griechen, die keine Aussichten mehr in ihrem abgebrannten Land sahen.

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