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Denkmal des Reformators Martin Luther

© dpa

Harald Martenstein über Toleranz: Auch strenggläubige Christen gehören zu Deutschland

Wäre Martin Luther, ein Schandmaul vor dem Herrn, heute ein Fall für die Justiz? Die evangelische Kirche hätte heute vermutlich ein Problem mit ihm - wie mit einem fundamentalistischen Pastor aus Bremen. Eine Glosse.

Eine Glosse von Harald Martenstein

Ein Bremer Pastor namens Olaf Latzel hat eine Predigt gehalten. Seitdem tobt ein Shitstorm. Latzel wird Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie, Antisemitismus, Rassismus vorgeworfen, die volle Palette, und zwar aus seiner eigenen Kirche.

In seiner Predigt hatte der Pastor an das erste Gebot erinnert, „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“. Deshalb lehnt er es ab, gemeinsam mit Katholiken oder Muslimen zu beten. Man solle „muslimischen Menschen in Liebe begegnen“, aber sich von ihrem Glauben abgrenzen. Das muslimische Zuckerfest nennt er „Blödsinn“, was unter dem Gesichtspunkt gesunder Ernährung sicher nicht ganz falsch ist. Liebe Muslime – es ist eure Sache. Aber wenn ihr fit sein wollt, müsst ihr statt den Zucker eher die Ananas feiern. Besonders wütend machen Latzel allerdings die Buddha-Statuen, die überall herumstehen. Buddha sei ein „fetter, alter Herr“ – spielt da auch wieder zu viel Zucker eine Rolle?

Für diese Wortwahl hat Pastor Latzel sich inzwischen entschuldigt, obwohl Buddha bei ihm immerhin ein „Herr“ ist. Aufrufe zur Gewalt oder zum Menschenhass finden sich in seiner Predigt nicht, er wettert lediglich gegen „Götzenbilder“. Trotzdem hat er die Staatsanwaltschaft am Bein, Vorwurf: Volksverhetzung.

Gläubige haben mit Toleranz oft ein Problem

Latzel ist ein Fundamentalist, ich glaube nicht, dass ich irgendeine seiner Meinungen teile. Sollte allerdings die evangelische Kirche zur Auffassung gelangen, dass die Berufung auf das erste Gebot den Tatbestand der Fremdenfeindlichkeit erfüllt, dann rate ich ihr zur Selbstauflösung. Um mit Katholiken, Muslimen und Buddhisten zu beten, braucht man nicht extra eine eigene Kirche.

Was ist Toleranz? Toleranz bedeutet nicht, dass man seine eigene Meinung, seine Lebensführung oder seinen Glauben aufgibt. Toleranz bedeutet, dass man es aushält, dass andere Leute anders ticken als man selbst. Gläubige, zu denen ich auch Ideologen rechne, haben mit Toleranz oft ein Problem, weil sie ihre Meinung für Gottes Wort oder für wissenschaftlich bewiesen halten. Gleichwohl haben auch sie Anspruch auf Duldung, solange nicht zu Gewalt aufgerufen wird. Auch das strenggläubige Christentum gehört zu Deutschland. Deutschland soll bunt sein.

Ich bitte die evangelische Kirche und auch die Justiz deshalb um ein wenig Toleranz nicht nur für Buddhisten, sondern auch für Christen. Die evangelische Kirche hat doch selber gewisse historische Wurzeln im Christentum, auch wenn ihr die zehn Gebote heute peinlich sind und verboten gehören. Wäre Martin Luther, der ein Schandmaul vor dem Herrn gewesen ist, heute wirklich ein Fall für die Justiz? Bei der nächsten „Woche der Toleranz“ in der ARD sollten auch Christen vorkommen. Aber das wäre natürlich tollkühn.

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