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Ende Juli wollten Dutzende Flüchtlinge mit einem Hungerstreik die Öffnung der serbisch-ungarischen Grenze erzwingen

© Zoltan Balogh/dpa

Illegale Flüchtlingslager in Europa: Horgos - das neue Idomeni?

Lange Wartezeiten, katastrophale sanitäre Bedingungen - in illegalen Flüchtlingslagern an der serbisch-ungarischen Grenze herrschen fast so schlimme Zustände wie vor Monaten in Idomeni.

Von Matthias Meisner

"Im ersten Moment fühlt man sich in einen afrikanischen Kontext versetzt", sagt Markus Koth, Projektkoordinator der Diakonie Katastrophenhilfe. Er war vor einigen Tagen in Horgos, ein serbischer Ort an der Grenze zu Ungarn, wo rund 400 Flüchtlinge, unter ihnen viele Kinder, zum Teil seit Wochen campieren, um auf einem der letzten verbliebenen legalen Wege in die Europäische Union zu gelangen.

Das Lager ist illegal errichtet. "Die Menschen leben zum Teil in selbstgebauten Hütten aus Ästen und Bäumen und versuchen, ein bisschen Schatten zu bekommen", berichtet Koth dem Tagesspiegel. "Als ich dort war, war es unglaublich heiß. Wir hatten gefühlt bestimmt über 30 Grad."

Die sanitären Bedingungen und die Versorgungslage seien katastrophal. Helfer bekommen nicht regelmäßig Zugang. Es gibt keine Essensausgabe und gerade mal einen Wasserhahn, um den sich alle scharen, um ihre Wäsche zu waschen. Auch gibt es keinen Behandlungsraum für einen Arzt. "Es fehlt praktisch an allem", sagt der Vertreter der Diakonie Katastrophenhilfe über den Ort, der nicht nur ihn an Idomeni erinnert - jenen griechischen Ort an der Grenze zu Mazedonien, wo vor Monaten tausende Flüchtlinge unter erbärmlichen Bedingungen campierten, in der Hoffnung, weiter nach Norden zu gelangen. Erst kamen noch Iraker und Syrer durch, später gar niemand mehr.

"In Horgos entwickelt sich gerade eine ähnliche Situation, allerdings bisher in einem kleineren Rahmen", sagt Koth. Platzt der EU-Türkei-Deal, könnte sich die Lage dramatisch verschärfen. Was schon jetzt so ist wie in Idomeni: Das Leben der Flüchtlinge ist von Hoffnung bestimmt. An zwei Stellen lässt Ungarn täglich jeweils 15 Asylsuchende durch das Tor im Stacheldrahtzaun, der zur Abwehr von Flüchtlingen errichtet worden war: Transitzonen gibt es in Röszke, dem ungarischen Nachbarort von Horgos, sowie baugleich in Tompa, etwa 40 Kilometer weiter westlich. Wartelisten werden erstellt. Und serbische und ungarische Behörden entscheiden gemeinsam, wer von der Liste in eine der zwei sogenannten Transitzonen einreisen und Asyl in Ungarn beantragen darf.

Der afghanische Flüchtling Habib Rahmani, der in im serbischen Städtchen Sid gestrandet ist, berichtete dem Bayerischen Rundfunk: "Wenn sie die 15 mit Familien vollkriegen, dann lassen sie keine allein reisenden Männer mehr rein. Wenn sie wenigstens auf 50 am Tag erhöhen würden, dann können wir alle rein. So muss ich wahrscheinlich acht Monate warten."

Ende Juli traten rund 90 Flüchtlinge im Camp von Horgos in einen tagelangen Hungerstreik. Verbessert hat sich ihre Lage seitdem nicht.

Dass ausgerechnet Ungarn das Ziel der Flüchtlinge ist - jenes Land also, das eine sehr restriktive und wenig Willkommen heißende Politik macht - erscheint nach den Worten von Koth auf den ersten Blick abwegig. Doch Ungarn sei "der einzige noch offene legale Zugang in die EU, wenn man aus Serbien kommt", erläutert er. Und letztlich sei "die Hoffnung der Menschen wahrscheinlich, dass die Reise über Ungarn hinaus weitergeht".

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Doch dieser Weg erweist sich für die Flüchtlinge, die es bis Serbien geschafft haben, als weiteres Nadelöhr. Insgesamt 30 Leute pro Tag, die wegen eines Asylantrags vorsprechen dürfen, das ist nicht viel. Viele versuchen in ihrer Verzweiflung dann doch, illegal über die Grenze zu gelangen, eine schwierige und dazu höchst gefährliche Unternehmung.

Anfang Juli hat Ungarn ein Gesetz geändert, das es nun erlaubt, alle Personen, die in einem Korridor bis acht Kilometer von der Grenze entfernt auf ungarischem Territorium aufgegriffen werden, nach Serbien zurückgeschickt werden können, ohne dass sie einen Asylantrag stellen dürfen - was, so die Diakonie Katastrophenhilfe, weder im Sinne des Wertekodexes der EU sei noch in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention. Teils werden Flüchtlinge aber auch in "beschleunigten Verfahren" wegen illegalen Grenzübertritts verurteilt. Die Strafe: Abschiebung und Einreiseverbot.

UNHCR: Flüchtlinge sollen gezielt abgeschreckt werden

Hinzu kommt: In Ungarn haben sich in den Grenzorten Bürgerwehren gebildet, auch neue "Polizeieinheiten" wurden geschaffen. Teils werden sie aus Spenden finanziert, teils von der Regionalregierung. Die zivilen Einsatzgruppen sind mit Sturmhauben und Masken unterwegs, wie der Sender N 24 berichtete, dies in 24-Stunden-Schichten. "Ihre Aufgabe: Flüchtlinge aufspüren, einfangen, zurück nach Serbien bringen." In hunderten von Fällen hat das bereits geklappt. Stolz posten die Flüchtlingsjäger ihre "Erfolge" auf Facebook. Markus Koth sagt: "Wir haben Berichte von unseren Ärzten, dass viele Personen behandelt werden mussten - einige hatten Bisswunden, andere wurden offensichtlich verprügelt." Wer das genau war, lasse sich nicht sagen.

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Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR wirft dem ungarischen Staat vor, Flüchtlinge gezielt abschrecken zu wollen. Zudem sind nach den Worten des ungarischen UNHCR-Sprechers Babar Baloch die Möglichkeiten eingeschränkt, Flüchtlinge etwa mit Lebensmitteln zu versorgen oder Campingzelte an sie auszugeben. Serbien derweil kündigt an, dass es einen Transitkorridor für Flüchtlinge wie 2015 nicht noch einmal geben soll - wofür die Regierung in Belgrad vom österreichischen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) ausdrücklich gelobt wird. Er bedankte sich bei der serbischen Regierung für die Schließung der Westbalkan-Route, diese habe "zur deutlichen Reduktion des illegalen Flüchtlingsstroms nach Mitteleuropa geführt". Ungarn plant für Oktober ein Referendum gegen Migration.

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Die Präsidentin der Diakonie Katastrophenhilfe, Cornelia Füllkrug-Weitzel, sieht mit Sorge, dass die Regierung in Budapest mit einer "maßlosen öffentlichen Propagandaschlacht" versuche, Flüchtlinge als Kriminelle abzustempeln, die keine humanitäre Gnade oder Rechte verdienten. "Ungarns Präsident Viktor Orbán setzt ein gefährliches Muster für die Abwertung von europäischen Werten wie Humanität und Solidarität", sagt sie dem Tagesspiegel. Orbán nutze die Flüchtlingssituation für eine Stärkung seiner autokratischen Regierungsweise und seines nationalistischen Kurses. Dass er besonders von Nicht-EU-Autokraten hofiert werde, sollte schon allein ein Alarmsignal sein, meint sie.

"Man muss die EU nicht gegen Flüchtlinge verteidigen, sondern gegen solche, die die Flüchtlinge für ihre antidemokratische und antieuropäische Politik zu missbrauchen versuchen", appelliert Füllkrug-Weitzel. "Die EU kann nicht dulden, dass einige ihrer Mitgliedsstaaten massiv Stimmung machen und sich aus der gemeinsamen Verantwortung für eine menschenrechtskonforme EU-Asylpolitik stehlen."

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