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Der Spanier Baltasar Garzón erlangte Ruhm durch die Festnahme des Diktators Pinochet. Heute ist der Richter im Ruhestand, aber sein Tatendrang ist ungebrochen

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Interview: „Assad ist ein Kandidat für den Internationalen Strafgerichtshof“

Baltasar Garzón hat Rechtsgeschichte geschrieben. Auf seine Initiative nahm die Londoner Polizei 1998 den chilenischen Exdiktator Augusto Pinochet fest. Seither ist kein Henkersknecht mehr vor Verfolgung sicher. Auch Assad nicht. Warum unser aller Freiheit trotzdem in Gefahr ist, und wie Garzón den Wikileaks-Gründer Julien Assange vor einer Verfolgung schützen will, enthüllt der spanische Ex-Richter in diesem Interview.

Die Festnahme Pinochets gilt heute als Meilenstein des Völkerrechts. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?

Damals überschlugen sich die Ereignisse, es wallten eine Menge widersprüchlicher Gefühle in mir hoch. Aber ich wusste sehr wohl, dass dies ein historischer Tag für das Völkerrecht war. Vor allem war es eine wegweisende Neuerung im Hinblick auf die universelle Rechtssprechung bei schweren Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord, Staatsterror und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir haben damals ein völkerrechtliches Prinzip aufgegriffen, das vorher noch keiner in die Praxis umgesetzt hatte.

Pinochet wurde aber letztlich nicht nach Spanien ausgeliefert, sondern in seine Heimat abgeschoben, wo er starb, ohne verurteilt zu werden.

Ab dem Tag seiner Festnahme in London war Pinochet ein Angeklagter. Als er nach Chile zurückkehrte, hatte er bereits seine Immunität verloren und musste sich dort den Gerichten stellen. Der Prozess nahm seinen Gang, auch wenn Pinochet vor einem Urteil im Jahr 2006 starb. Das wäre ohne unser Zutun niemals möglich gewesen. Die damals in Chile gültigen Gesetze schützten ihn.

Fast zeitgleich wurde auch der Internationale Strafgerichtshof ins Leben gerufen. Dort wurden inzwischen einige Fälle verhandelt, aber der Gerichtshof wird stark kritisiert. Er sei einseitig und in einer kolonialen Mentalität verhaftet, heisst es.

Der Strafgerichtshof ist die wichtigste juristische Neuerung des 20. Jahrhunderts und unverzichtbar. Er hat mit Schwierigkeiten zu kämpfen, aber er macht Fortschritte. Ich würde nicht von einer kolonialen Justiz sprechen, vielmehr von einer beschränkten Justiz, denn wichtige Länder wie die USA, Russland, Israel und China haben die Statute nicht ratifiziert, und der Strafgerichtshof hat keine eigene Polizei und hängt daher von der Kooperation der betroffenen Länder ab. Die Finanzierung des Strafgerichtshof ist prekär. Zuerst hat er Fälle in Afrika aufgegriffen, aber es ist möglich, dass in der Zukunft auch Länder wie Kolumbien,  Mexiko und Honduras sich dort verantworten müssen. Es gibt gegen alle drei Länder bereits Vorermittlungen. Dass daraus ein konkreter Fall wird, ist schwierig. Aber es ist notwendig, dass sich der Horizont erweitert.

Ihr derzeit prominentester Schützling ist wikileaks-Gründer Julien Assange. Die USA haben gezeigt, dass sie jeden Whistleblower mit unerbittlicher Härte verfolgen . Wie nehmen Sie den Kampf gegen die US-Regierung auf?

Assange und Wikileaks haben zwielichtige Aktivitäten der US-Regierung ans Licht gebracht. Deshalb kann niemand als Spion oder Vaterlandsverräter angeklagt werden. Derzeit findet vor einem Gericht in den USA ein geheimer Prozess gegen Assange statt, der dem Angeklagten keinerlei Garantien bietet. Aus unserer Sicht ist das eine politische Verfolgung und ein schwerwiegender Eingriff in die Informations-und Pressefreiheit. Wir versuchen, dass Assange das ecuadorianische Asylangebot wahrnehmen und dort unter gewissen rechtlichen Garantien zu den Vorwürfen Stellung nehmen kann.

Sie sind ausserdem Berater des Internationalen Strafgerichtshofs. Rechtfertigt aus Ihrer Sicht der Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Regierung einen Militärschlag?

Ein Militärschlag ist nur mit Erlaubnis der UNO rechtmässig. Meiner Meinung nach sind die Vorfälle in Syrien ein Affront für die Internationale Gemeinschaft, und die UNO muss eingreifen.

Wird sich Präsident Assad deshalb vor Gericht verantworten müssen?

Er ist auf jeden Fall ein Kandidat für den Internationalen Strafgerichtshof. Der Einsatz von chemischen Waffen ist ein Kriegsverbrechen und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und könnte unter Umständen sogar als Völkermord gelten. Syrien ist aber nicht Mitglied des Strafgerichtshofs. Nur wenn der UN-Sicherheitsrat dem zustimmt, könnte der Gerichtshof trotzdem tätig werden, so wie im Fall Sudans gegen Präsident Al-Bashir. Aber wahrscheinlich werden Russland und China dagegen ihr Veto einlegen. Und wenn er nicht mehr im Amt ist und keine Immunität mehr geniesst, kann ihn theoretisch jedes Gericht der Welt verfolgen so wie wir damals Pinochet. Oder er könnte im eigenen Land vor Gericht gestellt werden.

In jüngster Zeit gibt es einige Rückschritte bei den Menschenrechten. Die UN-Menschenrechtskommission wurde auf Initiative der Schurkenstaaten entmachtet, auch die Verfolgung von Assange und Snowden ist beunruhigend.

Derzeit gibt es einige Regierungen, die gegen die Unabhängigkeit der Justiz verstossen und die Menschenrechte beschneiden wollen. Assange und Snowden sind die bekanntesten Opfer. Wir sollten da sehr wachsam sein, denn unser aller Freiheit ist in Gefahr. Und zwar just in einem Moment, in dem wir dachten, dass es nach dem Anti-Terror-Krieg der US-Regierung nicht schlimmer kommen könnte.

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