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Iran im Umbruch: "Mit Religion ist kein Staat zu machen"

Bilder von geschminkten Frauen? Verboten. Dabei werden Kosmetika im Iran tonnenweise verkauft. Schnapstrinkende Romanhelden? Verboten. Obwohl wilde Partys längst zum Alltag gehören. Die Bigotterie zermürbt die Menschen in Teheran. Aber sie sind sicher: Das System ist am Ende.

Es sind intime Momente. Die Frauen betrachten ihre Gesichter, ernst und konzentriert. Die eine zupft ihre Augenbrauen, die andere zieht sich einen Lidstrich. „Das Selbst der Frauen“, nennt Nadia Shams ihren Zyklus. Fünf Jahre lang hat sie an den 15 großformatigen Ölbildern gearbeitet. Im Oktober wagte es die Shirin-Galerie in Teheran, ihre ungewöhnliche Serie auszustellen. Zwei Wochen ging alles gut, dann kam der Anruf. „Komm, hol alles ab, das Ministerium für Kultur und islamische Führung hat Probleme damit – und wir wollen keinen Ärger“, sagte der Galerist.

Ihre Hoffnung wurde enttäuscht

Nun ist Nadia Shams, eine zierliche Frau von 25 Jahren, in ihrem ohnehin vollgestopften Atelier also wieder von ihren 15 Heldinnen umgeben. Die Künstlerin gestikuliert mit einer Zigarette in der Hand, als sie mit sanfter Stimme klagt: „Ich hatte so viele Hoffnungen, doch es gibt wieder nur die übliche Blockade.“ Bis der Sieg des neuen Präsidenten Hassan Ruhani „bei uns Künstlern ankommt, das kann noch lange dauern“.

Nadia Shams liebt die Porträtmalerei, aber das ist heikel in der Islamischen Republik mit ihrem puritanischen Sittenkodex. Der Zyklus hatte den staatlichen Zensor noch aus einem anderen Grund verärgert. „Die Bilder werben für Make-up, das ist eine im Iran unerwünschte Kultur, die nicht unsere eigene ist“, hieß es in der Begründung. Dabei ist das Land – zusammen mit dem islamischen Gottesstaat Saudi-Arabien – der größte Konsument von Kosmetika in der nahöstlichen Region. Mit dem Urteil des Zensors sind Shams Bilder unverkäuflich. „Ich bin doppelt benachteiligt – ich bin Frau und auch noch Künstlerin“, sagt sie bitter.

Pressefreiheit? Von wegen!

Nicht nur Nadia Shams, viele junge Leute im Iran sind skeptisch, ob sich nach dem triumphalen Wahlsieg des 65-jährigen Klerikers Ruhani die Zeiten bald nachhaltig bessern. Sie hoffen auf weniger Bevormundung, ein wachsendes internationales Ansehen, ein Ende des unseligen Atomstreits und einen Aufschwung für die Wirtschaft. Vier Jahre lang, seit der manipulierten Wahl 2009 und den anschließenden Massenunruhen, hatte Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad das Land für ausländische Journalisten faktisch gesperrt. Seit kurzem sind Reisen wieder möglich – auch wenn die Überwachung des Ministeriums für Kultur und islamische Führung wie eh und je funktioniert. Jeder Gesprächspartner muss schriftlich genehmigt werden, genauso wie jede Fahrt in und außerhalb Teherans. Geht es um die Pressefreiheit, rangiert der Iran weltweit auf dem 175. von insgesamt 179 Plätzen – zusammen mit Nordkorea, Eritrea und Syrien.

Nicht jedem Gesuch geben die Behörden nach. Beim offiziellen Studententag Anfang Dezember verwehrten Sicherheitskräfte den ausländischen Journalisten den Zutritt zum Campus der Teheraner Universität. Sie sollten nicht sehen, dass drinnen hunderte Studenten mit grünen Bändern skandierten „Lasst die politischen Gefangenen frei!“. Sie sollten die Buhrufe nicht hören, als auf der Leinwand Fotos von Staatsgründer Chomeini und seinem Nachfolger Chamenei gezeigt wurden. Nach den Berichten der Augenzeugen erklang auch immer wieder dieses „Arschloch, Arschloch, Arschloch“-Zischen im Auditorium, als der Ex-Chefpropagandist von Ahmadinedschad seine Festrede hielt. Der Funktionär will die seit Jahren per Hausarrest weggesperrten Ex-Präsidentschaftskandidaten von 2009, Mir-Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi, wegen „Hochverrats und schrecklicher Verbrechen“ endlich vor Gericht zerren.

Noch nie steckte die Islamische Republik in einer so tiefen Krise

Einige politische Gefangene sind unter Ruhani freigekommen, nicht jedoch die beiden Galionsfiguren der grünen Bewegung. Das gilt auch für den wortgewaltigen Kritiker Mustafa Tajzadeh, früher Vize-Innenminister unter Reformpräsident Mohammed Chatami. Er war 2009 von einem Revolutionsgericht wegen „Propaganda gegen den Staat“ sowie „Beleidigung der Regierung“ zu sechs Jahren verurteilt worden und sitzt seither in Einzelhaft im gefürchteten Evin-Gefängnis.

Unerschrocken kämpft seine Frau Fakhrossadat Mohtashamipour für seine Freiheit. Die Frauenrechtlerin läuft demonstrativ mit knallgrünem Kopftuch und grüner Handtasche durch die Straßen, am rechten Handgelenk trägt sie das grüne Band aus dem Wahlkampf 2009. „Ich habe keine Angst, sollen sie mich auch ins Gefängnis werfen“, sagt die Historikerin. Einmal in der Woche darf sie ihren Mann sehen, im Besucherraum durch eine Glasscheibe getrennt. Mehrmals schon ist er in den Hungerstreik getreten, um gegen seine Haftbedingungen zu protestieren.

Seine Botschaften tauchen im Netz auf

Zum Ärger seiner Bewacher gelingt es Tajzadeh immer wieder, Nachrichten aus dem Knast zu schmuggeln und sie im Internet zu veröffentlichen. In seinen letzten Kassibern schrieb er, der Oberste Revolutionsführer Ali Chamenei habe aus dem Iran eine absolute Monarchie gemacht, die Islamische Republik sei zum totalitären Staat geworden. „Wir wollten Gerechtigkeit und Freiheit – nicht das, was heute ist“, sagt seine Frau, selbst eine fromme Muslimin. „Wir wollen keine Revolution, wir wollen keine Einmischung von außen. Wir wollen Reformen, die uns zurückbringen auf den richtigen Weg.“

Doch dieser Weg scheint heute entfernter denn je. Noch nie in der gut dreißigjährigen Geschichte steckte die Islamische Republik in einer so tiefen Krise, noch nie war die Bevölkerung so verstört wie nach den beiden Amtszeiten von Mahmud Ahmadinedschad, dem Säbelrassler mit der revolutionären Windjacke. Seine politische Führungsclique hatte sich schamlos an den Öleinnahmen des Landes bereichert. „Das Land wurde systematisch ausgeplündert“, sagt ein Geschäftsmann und nennt die Ahmadinedschad-Jahre „unseren zweiten Mongolensturm, nur dass es diesmal die Iraner selber waren“. Ahmadinedschad habe überall seine Anhänger platziert, in den Ministerien, Behörden, Bürgermeisterämtern und Firmen. Es seien Aufsteiger vom Land und stammten – wie Ahmadinedschad – aus kleinen Verhältnissen. Hundertprozentig treue Männer, fachlich jedoch Nieten. Politische Beobachter schätzen die Zahl dieser Emporkömmlinge auf mindestens 200 000, die die neue Führung nun Zug um Zug wieder aus den Schaltstellen entfernen muss. „Diese Leute sind mit dem Bus gekommen, sie sollen auch mit dem Bus wieder heimfahren“, sagt ein Regierungsberater.

Auch Saeed Leylaz, einen bekannten Ökonomen, brachte die politische Gesinnung für fast zwölf Monate ins Gefängnis, seitdem wird sein Hafturlaub immer wieder verlängert. Einzelheiten über seine Gefängniszeit gibt er öffentlich nicht preis, zu gefährlich, er darf nach wie vor nicht reisen und keine Vorlesungen halten. „Die können jeden jederzeit einsperren“, sagt er. In seinem Wohnzimmer hängt ein Aquarell des Ex-Präsidentschaftskandidaten Mir-Hossein Mussawi.

Milliarden schaufelten sie in ihre Taschen

Leylaz sagt, dass die Islamische Republik unter Ahmadinedschad ihr goldenes Zeitalter verspielt habe. Seit 1979 hatte der Iran nach seiner Rechnung rund 1000 Milliarden Dollar Öleinnahmen erzielt, allein auf die letzten acht Jahre entfielen demnach wegen der Rekordölpreise 700 bis 800 Milliarden Dollar. Doch die herrschende Klasse habe den märchenhaften Ölreichtum sinnlos verprasst. Die Staatskasse, die Nachfolger Ruhani vorfand, ist offenbar leer. „Allein 200 bis 300 Milliarden hat Ahmadinedschads neue politische Klasse in die eigenen Taschen geschaufelt“, schätzt Leylaz. Der Rest wurde vor allem für den Import von Konsumgütern ausgegeben, an denen die revolutionären Garden kräftig mitverdienten. Die öffentlichen Investitionen dagegen sanken auf ein Rekordtief, das Wirtschaftswachstum verebbte, die Inflation stieg auf über 40 Prozent. Nicht die internationalen Sanktionen hätten die iranische Wirtschaft zum Einsturz gebracht, sondern die eigene Gier und das beispiellose Missmanagement.

Intellektuelle trösten sich: Die schwerste Zeit liegt hinter uns

Die große Ernüchterung hat sich inzwischen auch auf dem Land breitgemacht. „Für uns ist nichts dabei herausgesprungen“, sagt ein Obstverkäufer. Es gebe keine Arbeit, die Preise seien um das Dreifache gestiegen, die jungen Leute zögen weg, und die Geldgeschenke der Regierung hätten die verbliebenen Leute faul gemacht. In den Städten klagen die Menschen über das moralische Korsett, das der Staat seinen Untertanen aufzwingt. In Isfahan, der Kulturmetropole des Landes, verlangten die Moralwächter von einer Schriftstellerin, in ihrem Roman die Worte Lippenstift, Kuss und Schnaps zu streichen, sonst werde der Text nicht gedruckt.

Sie setzen auf die "natürliche Lösung"

Für die Intellektuellen des Landes sind das typische Beispiele für die Bigotterie des Systems. So sieht es auch die Runde, die sich nach Einbruch der Dunkelheit in einem der traditionellen Bürgerhäuser aus Lehm versammelt hat. Alkohol sei verboten, lästern sie, aber im ganzen Land einfach zu bekommen, überall würden wilde Partys gefeiert. Mit der Wahl Ruhanis haben sich die alten Revolutionseliten, geschart um die betagten Expräsidenten Rafsandschani und Chatami, die Macht noch einmal zurückerobert. „Aber die schwerste Zeit der Islamischen Republik liegt hinter uns“, tröstet einer. Die Ayatollahs seien alt, die Existenz ihrer 1979 errichteten Theokratie werde sich bald auf natürliche Weise erledigen.

Sie johlen wie beim Karneval

Jeder einzelne Freitag scheint den Männern im Bürgerhaus Recht zu geben. Wenn es zehntausende Teheraner nicht in die Moscheen zieht, sondern in die Berge am Stadtrand, um für ein paar Stunden der chronisch-gelben Abgasglocke zu entfliehen. Unterhalb der schneebedeckten Gipfel legen viele junge Leute eine Pause ein. In der Hütte singen und johlen sie wie auf einer Karnevalsparty, während draußen die dick vermummten Wanderer vorbeistapfen. „Die islamische Republik ist am Ende“, sagt ein junger Ingenieur, der sich auf der ersten Bergstation an einem Holztisch mit einer Gemüsesuppe aufwärmt. Mit Religion sei einfach kein Staat zu machen. „So ein System hält vielleicht drei, vier Jahrzehnte, dann ist es vorbei.“

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