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Gemeinsam trauern um die Opfer des Terrors von Paris: Vor der Merkez-Moschee in Duisburg hängen die deutsche und die türkische Fahne auf Halbmast.

© dpa/Roland Weihrauch

Islam in Deutschland: Es sind Wochen der Begegnung

Der Umgang mit dem Islam in Deutschland ist weniger konfliktträchtig als in Frankreich. Doch was, wenn ein Anschlag auch uns auf die Probe stellt? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Mein türkischer Gemüsehändler ist nett und gut integriert, aber die Muslime insgesamt sind schon ein Problem – das ist in etwa die Quintessenz vieler Gespräche über den Islam in Deutschland. Die Muslime, die man persönlich kennt, sind ganz okay, aber die unbekannte Welt des Islam bereitet den Deutschen wachsende Ängste. Vor dem Massaker an der Charlie-Hebdo-Redaktion in Paris betrachteten 57 Prozent den Islam als Bedrohung. Welche Zahl würden die Forscher in diesen Tagen messen?

Die deutschen Muslime sind gute Demokraten - nur glaubt es ihnen kaum jemand

In solchen Momenten muss eine Gesellschaft darum ringen, sich nicht von den Ängsten forttragen zu lassen, sondern sie an der Realität zu messen. Ja, es gibt gewaltbereite Islamisten, auch in Deutschland. Es ist reines Glück, dass unser Land noch keinen Anschlag mit vielen Toten erlebt hat – zum Beispiel 2006, als die Zünder in den Rohrbomben in Köln versagten. Die Zahl der potenziellen Terroristen ist jedoch sehr klein, gemessen an den rund vier Millionen friedfertigen Muslimen unter uns. Zwar liegt eine Spannbreite zwischen 230 akuten „Gefährdern“, die der Verfassungsschutz beobachtet, und den 2000 „Gewaltbereiten“, vor denen die Gewerkschaft der Polizei kürzlich warnte. Aber selbst die höhere Zahl entspricht gerade mal einem halben Promille der Muslime in Deutschland. Die von ihnen ausgehende Gefahr zu minimieren, ist Aufgabe der Sicherheitsbehörden.
Der redliche Umgang mit den Muslimen ist dagegen eine Herausforderung für jeden Bürger. Die Versuchung, den Islam pauschal zu verteufeln, wenn Extremisten ihre Gewalttaten mit dem Koran rechtfertigen, liegt in der menschlichen Natur. Die Forschungsergebnisse über die hier lebenden Muslime sprechen eine andere Sprache. 80 Prozent halten die Demokratie für eine gute Regierungsform. Unter den hochreligiösen Muslimen sagen das sogar 90 Prozent. Erstaunliche 60 Prozent der Muslime stimmen der Homo-Ehe zu. Fromm und liberal schließen sich demnach nicht aus. Offenkundig haben sich mehr Muslime an den Mainstream in Deutschland angenähert, als umgekehrt Deutsche diese Mitbürger zu unserer Gesellschaft zählen.

Der Teil der Angst, der Angst vor dem Unbekannten ist, lässt sich überwinden

Der Teil der Angst, der Angst vor dem Unbekannten ist, lässt sich überwinden: durch Begegnung. 90 Prozent der Muslime geben an, sie hätten in der Freizeit Umgang mit Nicht-Muslimen. Umgekehrt sagen das nur 37 Prozent. Das Missverhältnis liegt natürlich auch an den Größenordnungen. 95 Prozent unserer Gesellschaft sind nun einmal Nicht-Muslime. Dennoch: Jeder hat es in der Hand, auf Muslime zuzugehen und ein Zeichen zu geben, dass sie willkommen sind, gerade jetzt. Das mag leichter gesagt als getan sein. Beide Seiten sind diesen Umgang nicht gewohnt. Vorbilder wären da hilfreich. In den USA haben Prominente nach 9/11 demonstrativ Moscheen besucht, damit sich die Empörung über die Attentäter nicht gegen Muslime entlädt. Diese geistige Führung ist keineswegs nur Aufgabe der Politik, sondern aller gesellschaftlichen Eliten. Der gemeinsame Appell christlicher, muslimischer und jüdischer Religionsführer gegen die Gewalt war ein guter Anfang. Im besten Fall wird daraus ein kontinuierlicher Dialog über die Botschaft der jeweiligen heiligen Schriften. Denn da liegt tatsächlich ein Problem im Umgang mit dem Islam: Es fehlt eine Autorität wie der katholische Papst oder die evangelische Kirchenhierarchie, die ein Machtwort gegen unzulässige Auslegungen spricht – zum Beispiel bei Mord und Terror unter Berufung auf den Koran. Der Umgang mit dem Islam in Deutschland ist weniger konfliktträchtig als in Frankreich. Weder brennen hier regelmäßig Moscheen noch tobt ein Stellvertreterkrieg zwischen Muslimen und Juden auf offener Straße. Das wollen wir uns erhalten. Was wäre das für ein Signal: Wenn das Entsetzen über das Massaker von Paris in Deutschland zu Wochen der Begegnungen mit Muslimen führt, die die diffusen Ängste verringern – ehe ein Anschlag uns auf die Probe stellt, wie weit die Toleranz dann noch reicht.

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