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Politik: Jacke wie Dose

Seit zehn Jahren zahlen wir Pfand für die Verpackung unserer Getränke. Ebenso lange streiten wir, ob das sinnvoll ist, ob es der Umwelt dient oder eben nicht.

Von Julia Prosinger

Es ist ein Geräusch. Zisch. Ein Geschmack. Metallisch. Ein Gefühl. Wie Sonnenuntergang. Sogar wie Urlaub. Und es ist das Gefühl von Freiheit. Weil die Dose leicht ist, weil man sie überall mit hinnehmen kann. Weil man nichts braucht außer einem Zeigefinger, um die Lasche hochzuziehen. Weil sie eine Entscheidung für den Augenblick ist, für das Hier und Jetzt.

Das sagen die einen. Und dass die Politik ihnen dieses Lebensgefühl vor zehn Jahren geklaut hat.

Die anderen sagen, dass die Dose Sünde ist. Hoher Co2-Verbrauch bei der Herstellung, Vermüllung der Landschaften. Sie sprechen gar von aufgeschlitzten Kuhmägen, wenn die Dose, auf Wiesen liegen geblieben, versehentlich gehäckselt, im Heu landet. Sie feiern in diesen Tagen das Untergangsjubiläum der Dose.

Zehn Jahre nachdem die Rot-Grüne Bundesregierung das Pfand auf Einwegverpackungen eingeführt hat – Plastikflaschen einbegriffen, trotzdem spricht der Volksmund vom Dosenpfand – entschied das Bundeskabinett in der vorvergangenen Woche, die Pfandregelung zu vereinfachen. Mit Tafeln soll der Verbraucher künftig informiert werden, ob er Wegwerf- oder Mehrwegflaschen kauft. Und Dosengegner und Fans streiten sich noch immer. Sie streiten vor Gericht und vor allem mit Studien. Es gibt Untersuchungen, die behaupten, dass die Blechdose nicht schädlicher ist als andere Verpackungen und welche, die genau das Gegenteil beweisen wollen. Beide Seiten wähnen sich im Recht.

Nur auf ein paar Zahlen können sie sich einigen: Die deutsche Dose besteht zu 70 Prozent aus Aluminium, zu 30 Prozent aus Stahl. Vor 2003 wurden in Deutschland jährlich etwa acht Milliarden verkauft. 2003 brach der Markt um 90 Prozent ein, denn eine Dose, die man nicht mehr zerknüllt, weil sie 25 Cent wert ist, hat mit Freiheit nichts zu tun. Heute hat die Dose nur noch einen Marktanteil von etwa einem Prozent bei Getränkeverpackungen. Die Verbraucher bringen inzwischen 97,8 Prozent aller Einwegverpackungen, die wenigen Dosen und vielen Flaschen, in die Supermärkte zurück. Die können die Verpackungen an Recyclingfirmen weiterverkaufen.

„Bei den hohen Wertstoffpreisen ein gutes Geschäft“, sagt Thomas Fischer. Er arbeitet bei der Deutschen Umwelthilfe. Seine Studien besagen, dass Glas elf Mal weniger Abfall als Dosen verursacht, vier Mal weniger Treibhausgase. „Das Dosenpfand schadet niemandem.“

Sven Riemer, 34, braucht keine Studien. Er wippt in Socken auf seinem roten Plüschbett, in seinem Schlafzimmer in einem Hochhaus in Berlin-Lichtenberg, und dreht eine leere Cola-Dose in der rechten Hand. Vor ihm stapeln sich 2500 weitere Dosen in Pappschachteln zu einer zwei Meter hohen Mauer, in einer Kammer neben dem Bett lagern noch einige Tausende mehr. „Diese Dose ist eine der ersten, die Coca-Cola in Deutschland produziert hat. 1963, wir feiern gerade ein Jubiläum“, sagt Riemer, grünes Shirt, abrasierte Haare. Die alten Dosen sind ihm in seiner Sammlung die Liebsten. Weil sie so eine schöne Form haben, etwas kantiger sind als die heutigen.

Wenn man Riemer darauf hinweist, dass Dosengegner in diesem Jahr auch ein Jubiläum feiern, flackern seine braunen Augen. „Ich hatte damals richtig Bammel“, sagt er. Dass die Dosen aussterben, dass er sein Hobby aufgeben müsste. Wie seine Liebe zu den Dosen begann, weiß er nicht mehr. Riemer ist Ossi, in der DDR musste er Glasflaschen gegen Pfand zurückbringen. Andere Verpackungen gab es nicht. Vielleicht, sagt er, standen die Dosen für den bunten Westen. Für Freiheit eben. Weil Riemer kein Bier mag, beginnt er nach der Wende alle von Coca-Cola produzierten Getränkedosen zu sammeln.

Beim Dosenhersteller Ball Packaging in Ratingen zitieren sie auch gern Studien. Wenn man Sylvia Bloemker dort fragt, warum die Dose für Menschen wie Sven Riemer Freiheit bedeutet, dann holt sie kurz Luft am Telefon. Ziiiisch macht ihre Zunge, erst leise, dann lauter. Bloemker kann die Dose nicht nur perfekt imitieren, sie mag sie auch ziemlich gern. „Die Dose hat sehr unter der politischen Diskussion gelitten“, sagt sie. Bloemker redet, als hätte die Dose Gefühle. Ball Packaging musste damals 80 Mitarbeiter entlassen.

Pfand auf Einwegverpackungen gibt es auch in anderen Ländern, beispielsweise in den USA. Dort war die Dose 1935 von Gottfried Krüger, einem Deutschen, erfunden worden. Aber nirgends hat die Einführung des Pfandes so lange gedauert, war so umstritten, wie in Deutschland.

Der „Spiegel“ widmete dieser politischen Diskussion 2004 einen ganzen Titel: „Als in der Uno über Krieg und Frieden gestritten wurde, stritt Deutschland über das Dosenpfand. Als in den Supermärkten der USA gelbe Schleifen in den Schaufenstern hingen, zum Gedenken an die Soldaten, stapelten sich hinter Deutschlands Registrierkassen Plastiksäcke mit triefenden Flaschen und klebrigen Dosen. Als an der galizischen Küste die Strände weiter unter dem Öl verstarben, überlegte die Bundesregierung, ob auch Molkeanteile von 49% im Drink zur Bepfandung führen müssten.“

Der Handel drohte damals, das Pfand zu boykottieren. Er mochte die Dose, sie war gut zu kühlen und zerbrach nicht. Anwälte zogen vors Bundesverfassungsgericht. Die Rücknahmeautomaten würden die Existenz ganzer Supermarktketten zerstören, so teuer würden sie sein, klagten sie. Punkbands riefen zum Kampf auf. „Alarmsignal“ beispielsweise sang: „Wir schreien für ein besseres Land, ohne Korruption und Dosenpfand.“

Das Pfand kam trotzdem. Es war ja auch eine alte Idee. Ursprünglich hatte es sich Umweltminister Klaus Töpfer 1988 als Drohung ausgedacht. Er legte eine so- genannte Mehrwegquote fest – wenn unter 72 Prozent aller Getränke in Mehrwegflaschen verkauft würden, so ließ er es ins Gesetz schreiben, sollte es ein Pflichtpfand geben. 1992 führte Töpfer mit der Verpackungsordnung auch das „Duale System“ ein. Die Dose bekam den „Grünen Punkt“, sie gehörte in den „Gelben Sack“ und recycelt.

Als die Mehrwegquote weiter sank, machte Rot-Grün Töpfers alte Drohung wahr. Umweltminister Jürgen Trittin wurde zum Gesicht des Dosenpfandes und plötzlich sammelten die Deutschen Getränkeverpackungen, überlegten, in welchen Behältnissen sie sie aufbewahrten, ab wie vielen Stücken sich der Gang zum Supermarkt lohnt. Paare stritten: Warum hast du die Flaschen immer noch nicht weggebracht? Schatz, wo haben wir die Bierdosen gekauft? Welcher Kupon gehört zu welcher Dose? Denn damals, Sylvia Bloemker schnaubt jetzt, konnte man die Verpackungen – oder „Gebinde“, wie die Verpacker sagen – nur dort zurückgeben, wo man sie gekauft hatte. „Entsetzlich chaotisch alles“, sagt Bloemker.

Es entstanden sogenannte Insellösungen. „Leckerland-Tobaccoland“ kennzeichnete die eigenen Verpackungen mit einem P – andere nahmen seine Supermärkte nicht mehr an.

Verbraucher standen vor Regalen und rätselten: Pfand auf Apfelschorle, Eistee, Cola. Kein Pfand auf Apfelsaft, Eistee ohne Kohlensäure, Whiskey Cola. Warum ist das so? „Es gab für alle diese Ausnahmeregelungen offizielle Begründungen“, sagt Fischer von der Umwelthilfe. So wurden Milchprodukte oder Getränke mit Molkeanteil von mehr als 49 Prozent nicht mit dem Pflichtpfand belegt, weil eine Wiederverwendung der Verpackung unhygienisch sei. Fruchtsäfte wurden ausgespart, weil sie ohnehin in umweltfreundlichen Kartons verkauft wurden.

Auch Trittin empfand das als absurd. Künftig sollte anhand von Umweltverträglichkeit von Verpackungen bepfandet werden und nicht nach Inhaltsstoffen. Doch die Novelle der Verpackungsordnung scheitert im Bundesrat an den schwarz-gelben Bundesländern. EU-Kommissionspräsident Romano Prodi soll wegen des Pfandes sogar mit Gerhard Schröder telefoniert haben. Und der Europäische Gerichtshof mahnte Deutschland, weil es – ohne ein funktionierendes Rücknahmesystem – Importgetränke mit Pfand belegen wollte. Der Dosenkrieg wurde zum Symbol für deutsche Bürokratie, für Schwerfälligkeit, Reformunfähigkeit.

Parks und Straßen blieben trotz Pfandes vermüllt, denn ohne Pfandmarke lohnte sich das Bücken nicht und wer sich am Bahnhof Bielefeld eine Coladose kaufte, fuhr nicht aus Hamburg zurück, nur um sie abzugeben.

Trotzdem verschwinden die Dosen 2003 aus dem Handel. Zu klebrig, zu umständlich. Ball Packagings Erzeugnisse finden sich nur noch an Kiosken und Tankstellen. Fischers Umwelthilfe triumphiert. Verpackungsfirmen melden Kurzarbeit an, der Dosenmarkt bricht ein.

Dann kommt der 1. Mai 2006 und damit ein anständiges Rücknahmesystem. Jedes Geschäft muss nun das Material zurücknehmen, das es auch verkauft. Wer eine Dose anbietet, muss alle annehmen, wer bestimmte Plastikflaschen im Sortiment hat, muss das Pfand für ähnliche auszahlen. Nur kleine Geschäfte unter 200 Quadratmetern sind davon befreit.

Und mit der neuen Regelung kehren auch die Dosen zurück. Bloemker, die Frau mit dem Zisch, erzählt stolz, dass „Plus“ die Dose „wieder eingelistet“ habe. Mehr als eine Milliarde verkaufe man jetzt in Deutschland.

Der Sammler Sven Riemer gründet 2006 seine Webseite mit einem Forum, etwa 200 Sammler tauschen sich hier aus. Touren lohnen sich wieder. Die kurze führt ihn zu den großen Supermärkten: „Rewe“ und „Kaisers“ am Alexanderplatz, zu „Ullrich“ an den Zoo, an den Potsdamer Platz, zum Gesundbrunnen, zum Ostbahnhof. Bei der langen Tour erstellt er Listen aller „Edekas“ der Stadt oder klappert alle Dönerbuden auf der Karl-Marx-Straße ab. Manchmal verfährt er ein Vielfaches des Dosenwertes an Benzin und opfert freie Tage. Manchmal sucht er vergeblich nach der fehlenden Cola-Light-Dose oder der neuen Ausgabe mit den Polarbären darauf, manchmal bekommt er einen Tipp, dass er sich die Suche nach den „doofen Dosen“, wie sein vierjähriger Sohn sie nennt, sparen kann.

Für eine andere Art von Sammlern ist die Dose 25 Cent wert. Als das Pfand noch neu war, wühlten sie verschämt in Mülleimern an U-Bahn-Höfen, schleiften ausgeleierte Plastiktüten voller Flaschen durch die Stadt. Inzwischen leben viele davon oder bessern so ihre Rente auf. Eduard Lüning ist sogar reich geworden, verdiente in nur 30 Tagen auf Festivals 13 000 Euro und hat darüber ein Buch geschrieben. „Mit Dosenpfand zum Wohnmobil“ ist aber vergriffen. Aufmerksame Passanten stellen ihre ausgetrunkenen Flaschen gut sichtbar für den nächsten Pfandsammler an den Straßenrand. Wer nach einer Party zu verkatert ist, um das Pfandgut wegzubringen, ruft einen auf www.pfandgeben.de registrierten Flaschensammler an. In Berlin sind das mehr als 350. Sie müssen nicht im Müll wühlen und haben am Ende des Tages ein paar Euro sicher. Das Pfand, eine sozialpolitische Maßnahme.

Ganz Deutschland sammelt. Im Tiergarten zum Beispiel liegt jetzt weniger Müll. In den Zügen verstopfen nach Fußballspielen keine Bierdosen mehr die schmalen Müllfächer. Wer will, kann sein Pfand inzwischen direkt an den Automaten für einen guten Zweck spenden. Zehn Jahre nach Einführung des Dosenpfandes trinken Punks aus Flaschen und Unternehmensberater leisten sich einen Energy Drink in der Dose.

Und Bloemker arbeitet am Image der Dose. Mit einer Kampagne, „Dosionair“, Dosendesignwettbewerben in sozialen Netzwerken, DJs, die Musik mit Dosen machen, will sie die Verpackung wieder attraktiv machen. Sie erzählt gern vom Lebensgefühl Dose und den neuen Dosen. Mit Verschluss oder mit Gitter zum Schutz vor Insekten, Dosen, die man selbst bedrucken kann, manche leuchten im Dunkeln, wie Freundschaftsringe wechseln sie die Farbe mit der Temperatur, vor allem endlich: Dosen, die sich selbst kühlen. Nur sind die noch zu teuer in der Produktion.

Bloemker zitiert jetzt noch mal eine Studie. Die kommt vom IFEU-Institut in Heidelberg und wurde zwar, gibt Bloemker zu, von der Dosenindustrie in Auftrag gegeben, beweise aber, dass die Dose nicht schlechter als die Flasche sei. Es hänge von Transportwegen und davon ab, wie oft eine Pfandflasche neu befüllt wird. Die Dose sei in den letzten 15 Jahren um 15 Prozent leichter geworden und dank der hohen Recyclingquote brauche man immer weniger neues umweltschädigendes Material.

Also alles nur ein Werbegag der Grünen, ein populäres Wahlkampfthema? Das Dosenpfand, der neue Ablassbrief? „Völliger Unsinn“, sagt Thomas Fischer von der Umwelthilfe. Der IFEU-Studie lägen absurde Annahmen zugrunde, Glasflaschen würden oft mehr als 20 Mal befüllt, die Transportwege seien in Wirklichkeit viel kürzer, als das IFEU annehme.

Sie streiten also immer noch ums Pfand. Und immer noch vor Gericht. Weil Ball Packaging inzwischen mit einer Dose wirbt, die „grün“ sein soll. Fischer und seine Deutsche Umwelthilfe nennen das Verbrauchertäuschung. Fischer will die Dose ganz verschrotten, am besten mit einer Zwangsabgabe auf umweltschädliche Verpackungen. Um den Verbraucher in die richtige, die nachhaltige Bahn zu lenken.

Der aber kauft inzwischen auch kleinere Dosen. Das bedeutet noch mehr Aluminium, noch mehr Fahrten, noch mehr Umweltunverträglichkeit und noch größere Gewinnmargen für den Handel. Oder, wie es der Dosenfan Sven Riemer sieht: „Die 0,25er Dose von Coca-Cola ist ein Riesensprung gewesen“, sagt er. Kein Pfand hält ihn vom Sammeln ab.

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